„Die jungen Menschen wollen nicht wie Sklaven arbeiten“

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Sechs prominente Spitzenköche und Gastronomen diskutierten beim Chef´s Talk in Hamburg über die Zukunft der Gastronomie. Thomas Imbusch, Thomas Kellermann**, Julia Komp*, Dirk Luther**, Billy Wagner* und Paul Ivic* waren sich einig darüber, dass der gesellschaftliche Stellenwert der Gastronomie steigen muss und dass junge Menschen nicht wie Sklaven arbeiten wollen.
 
Die Zukunft der Gastronomie scheint derzeit in aller Munde. Mit Michelin Sternen dekorierte Restaurants schließen, Welt-, Regio- und Veggi-Konzepte erobern die Städte. Aber ist das wirklich das Ende der Gastronomie, oder geht es derzeit eher darum, Gastronomie neu zu definieren? All diesen Fragen gingen am gestrigen Montag beim Chef’s Talk in Hamburg die sechs prominenten Spitzenköche Thomas Imbusch (100/200 Kitchen, Hamburg), Thomas Kellermann (Restaurant Dichterstub´n, Tegernsee), Julia Komp (Schloss Loersfeld), Dirk Luther (2 Michelin Sterne, Restaurant Meierei, Glücksburg), Billy Wagner (1 Michelin Stern,  # 88 auf der The World’s 50 Best Restaurants Liste, Nobelhart und Schmutzig, Berlin) und Paul Ivic (Österreichs einziger vegetarischer Sternekoch, 1 Michelin Stern, Tian Restaurant, Wien) nach.

Mehr als 50 Journalisten, Gastronomiekritiker und Food Blogger beteiligten sich an der lebhaften Diskussion, die von Gabriele Heins, stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Der Feinschmecker“, moderiert wurde. Und dabei wurde nicht um den heißen Brei herumgeredet. Besonders kontrovers waren Themen wie die Nachwuchssorgen der Branche, die fehlende Wertschätzung in der Gesellschaft gegenüber den Lebensmitteln und dem Koch-Handwerk, Stornogebühren und mangelnde Unterstützung aus der Politik. 
 

Ein großes Thema, das alle sechs Küchenchefs beschäftigt, sind die Personalsorgen in der Branche – kontrovers wurde aber diskutiert, wie man künftig damit umgehen soll. Der Österreicher Paul Ivic sagte, es sei ein gesellschaftliches Problem, wenn die Menschen am Mittwoch bereits auf das Wochenende warten würden. „Man muss die jungen Menschen auch fordern und dazu erziehen, etwas zu leisten. Es darf nicht alles wohlbehütet sein.“ Für die junge Sterneköchin Julia Komp hat sich in den wenigen Jahren seit ihrer Ausbildung vieles verändert. „Natürlich stecken wir in einer Krise. Heute wollen die jungen Menschen nicht mehr wie Sklaven arbeiten.“ Dirk Luther versuchte, die positiven Aspekte der Branche hervorzuheben. „Es ging uns noch nie so gut wie heute, wir haben bereits viel bessere Bedingungen in der Küche geschaffen, aber die jungen Leute müssen wieder Spaß daran finden, ein Handwerk zu erlernen. Auch die Polizisten, Krankenschwestern etc. haben schwierige Arbeitszeiten, aber uns als Köchen steht die Welt offen, wir können reisen.“ Thomas Kellermann erwiderte, dass die jungen Menschen aber gerade diesen Spaß an der Arbeit gar nicht mehr verstehen würden und es die große Herausforderung sei, diesen wieder zu vermitteln. Paul Ivic, dessen großes Vorbild sein Großvater ist, sagte: „Du musst den Menschen auch aufzeigen, dass sie ein Handwerk lernen, das viel Wert ist und mit dem man anderen Menschen eine Freude bereitet. Wenn Du als junger Koch oder Servicemitarbeiter die Möglichkeit bekommst, dann musst Du auch Eigeninitiative zeigen. Jeder ist für seinen Weg selbst verantwortlich. Wir als Chef müssen schauen, dass wir sie nicht verheizen.“ Thomas Kellermann forderte aber auch ein Umdenken beim Einstellungsprozess. „Wir müssen wieder daran denken, dass es Mitarbeiter gibt, die nicht unbedingt Spitzenkoch werden wollen, sondern einfach nur ein guter Postenkoch. Und der kann 35, 40 oder 45 Jahre oder älter sein.“ 

Auch die fehlende Wertschätzung in der Gesellschaft gegenüber gutem Essen kreideten die Köche bei der Diskussionsrunde an. „Es ist möglich, für 6 Euro ein gutes und anständiges Gericht zu kochen, überall, auch im Krankenhaus, in den Kantinen oder in den Kindergärten – man muss es nur wollen“, betonte Billy Wagner. Thomas Imbusch sprach von seinem Konzept, ein Tier komplett zu verarbeiten. „Es ist möglich, alles von einem Tier auf den Tisch zu bringen. Dazu gehört dann auch, die Menschen mit Gerichten zu überraschen, die sie sonst eher ablehnen würden, wie Innereien“, betonte er. Billy Wagner bedauerte, dass es in der deutschen Kultur keinen Stolz gegenüber kleinbäuerlichen Strukturen gebe. „Das ist in Frankreich oder Italien deutlich anders.“ Und Paul Ivic fügte hinzu: „Wir müssen mal wieder zeigen, was Essen eigentlich ist. Essen verbindet, Essen zeigt Wertschätzung gegenüber Kindern, Freunden, etc. Und es geht nicht um das Geld. Heute geht man in den Supermarkt und kauft sich das günstigste. Aber wie teuer ist es, wenn wir krank werden?“ Thomas Imbusch fand, dass schon bei kleinen Kindern angesetzt werden muss. „Mit Essen kann man das Größte erreichen und es ist das Schlimmste zu sehen, wenn Kindern das verwehrt wird. Genau deshalb wollen wir junge Menschen ausbilden und an eine Esskultur heranführen.“

Einig waren sich die Spitzenköche, dass eine Veränderung bei all diesen Themen nur mit Hilfe der Politik möglich sei. „Die Vorgaben und die nötigen Investitionen müssen von der Politik geleistet werden“, sagte Dirk Luther. Er forderte auch die Aufhebung der 7- und 19%-Mehrwertsteuerregelung. „Kaufe ich in der Stadt eine Pizza auf die Hand, zahle ich 7% Mehrwertsteuer – gehe ich in ein Restaurant zahle ich 19%. Das verstehe ich bis heute nicht. Das ist auch ein Grund, warum die Städte immer mehr „to Go“ Angebote haben und immer weniger Restaurants.“ Auch Billy Wagner kreidete den Politikern an, dass keine einzige Partei das Thema Esskultur oder Gastronomie in ihr Parteiprogramm aufgenommen habe. „Es gibt keine Politik zum Thema Ernährung. Dabei geht es darum, dass die Menschen die Möglichkeit haben, gut zu essen. Meiner Meinung nach ist jeder, der etwas zu günstig anbietet, Schuld. Genauso wie jemand, der etwas zu günstig kauft.“ 

Paul Ivic sieht die Verantwortung auch bei den Küchenchefs. „Die Politik kann natürlich etwas tun. Aber auch als Küchenchef kann man etwas tun. Indem wir Rückgrat zeigen und keine Ware servieren, die minderwertig ist. Ein Koch ist kein Tellerarchitekt, sondern ein Koch hat die Kochjacke von den Medizinern überreicht bekommen. Wir müssen den Gästen zeigen, was Produkte, Gewürze, etc. bewirken. Wir können die Verantwortung nicht abgeben, wir müssen uns selbst engagieren“, entgegnete er. 

Im Anschluss an die Talkrunde ging die Diskussion im kleinen Kreis weiter. Als perfekte Bühne des ersten großen Chef´s Talk diente das neu eröffnete Restaurant 100/200 Kitchen von Thomas Imbusch. Imbusch verwöhnte seine Gäste mit mehreren kleinen Gerichten aus der offenen Küche. Unterstützt wurde die Veranstaltung von den beiden Weingütern Dreissigacker (Rheinhessen) und Anette Closheim (Nahe).

Die von 2-Sterne-Koch Dirk Luther initiierte Veranstaltungsreihe Chef´s Talk fand erstmals vor drei Jahren statt. Seitdem hat Luther bereits mit renommierten Kollegen wie Thomas Martin, Bobby Bräuer, Tim Raue und Fritz Fischer diskutiert. Die Veranstaltung in Hamburg hat erstmals mehrere Gesprächspartner auf einem Podium vereint und wurde von den befreundeten PR-Agenturen Die Schneiderei – Atelier für Texte und Konzepte aus Berlin und StörrFaktor aus München organisiert. Ziel der Veranstaltung: Aufmerksamkeit schaffen für die Vielfalt der deutsch-österreichischen Spitzenküche, für Herausforderungen aber auch Trends und Entwicklungen der Branche.
 


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