Interview zu „Affective Hospitality“: Das Restaurant als Bühnenstück

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Im Oktober 2019 eröffnet das Konzeptrestaurant Elysium der EHL Hotelfachschule Passugg (SSTH) seine Türen. Das digitale Restaurant entführt Gäste auf eine multisensorische, kulinarische Reise und verbindet Speisen mit neusten technologischen Effekten. Michael Hartmann, Direktor EHL Passugg, erklärt im Interview, was er unter «Affective Hospitality» versteht.

Herr Hartmann, Sie beschreiten an der EHL in Passugg neue Wege in der Ausbildung für Gastronomen der Zukunft. Grundfrage: Wann und wie haben dann die hochstehende Gastronomie und Fine Dining überhaupt noch eine Zukunft im Zeitalter von Homedelivery, Fast Food etc.?

Ich würde dies mit einer zunehmenden Ambivalenz des Konsumverhaltens beantworten. Hierbei ist alles erlaubt, was Spaß macht. Nachfrager suchen genau diese Vielfalt: heute die authentische Currywurst, morgen das 5-Gang-Menü mit Champagner. Interessanterweise entwickeln sich innerhalb der verschiedenen gastronomischen Kategorien ebenfalls neue Trends. So gibt es inzwischen beispielsweise Pommes mit Trüffel in Fast Food-Restaurants. Oder McDonalds bezeichnet sich selber als Restaurant. Somit verwischen sich gezielt die traditionellen Grenzen, um möglichst breit diese Ambivalenz abzugreifen.

Sie setzen stark auf das Konzept von «Affective Hospitality». Was verstehen Sie genau darunter?

Wir definieren an der SSTH in Passugg den Begriff «Affective» wie folgt: «Affective definition is – relating to, arising from, or influencing feelings or emotions». Übertragen bedeutet dies: Man versucht gezielt, die Sensorik ganzheitlich zu stimulieren, um Emotionen zu erzeugen, welche abgespeicherte emotionsgeladene Erlebnisse wieder an die Oberfläche bringen oder neue abspeichert. Man sagt dazu auch «Imprints». Die gezielte Erzeugung und Nutzung solcher «Imprints» kennen wir aus vielen Branchen.

 

Wie unterscheidet sich «Affective Hospitality» von der klassischen Erlebnis-Gastronomie, die man aus den 90er- und 2000er-Jahren kennt?

Grundsätzlich gibt es hier keinen Unterschied, da die Intention die gleiche ist. Jedoch hat man sich inzwischen etwas wissenschaftlicher dem Thema genähert und nutzt neu auch digitale Werkzeuge, um diese Erlebnisse zu kreieren. Oder anders gesagt: Die Maslow-Pyramide ist nicht mehr das Maß aller Dinge.

Haben Affekte, also Emotion per se, nicht immer grundlegend mit Hospitality zu tun? Was ist das Spezielle an Ihrem Ansatz?

Absolut. Unser Fokus mit «Affective Hospitality» greift hier etwas weiter. Neben den neuen Erkenntnissen aus der «Affective Science», welche uns durch die Partnerschaft mit der Universität in Genf zugänglich ist, entwickeln wir gerade ein Curriculum, das sich im «Affective»-Kontext über alle Semester steigert – bis hin zum «Stage Director». Hierbei haben wir uns ebenfalls Unterstützung durch Profi-Regisseure und Schauspieler geholt.

Kann man mehr Emotion und emotionale Kompetenz denn überhaupt lernen – ist das nicht einfach angeboren? Will heißen: Es gibt geborene Gastgeber und andere sind es eben nicht?

Das ist eine Frage der Definition. Genauso wie Intelligenz gleichmäßig auf der Welt verteilt ist, so ist das auch mit den Soft Skills. Wer Soft Skills in die Wiege gelegt bekommen hat, der ist für die Hotellerie- und Gastronomiebranche geeignet, die anderen eben nicht – so ist oft die landläufige Meinung. Diese eher digitale Betrachtungsweise – diese Entweder-oder-Logik – gilt so nicht.

Je mehr die Studierenden die sozialen Prozesse zwischen Gastgeber und Gast verstehen, je mehr sie mit Eigenreflexion arbeiten und die Affektivität ihres Handels einschätzen lernen, desto mehr können sie positive Erlebnisse inszenieren und stimulieren. Damit sind wir im Feld der «Stage Directory». Man kann oft gar nicht glauben, wie aus vermeintlich als «Mauerblümchen» eingestuften Personen plötzlich nicht wiedererkennbare, neue Persönlichkeiten werden. Wir wollen unsere Studierenden auf diesem Weg gezielt begleiten. Es geht eben um das richtige «Abholen», das «Ermächtigen» und die richtigen Werkzeuge.

An wen richten Sie sich mit Ihrem Ausbildungsangebot im Speziellen?

Im weitesten Sinne an Kommunikatoren. Nahezu 90 Prozent der CEOs von internationalen Hotelketten kommen nicht aus der Hotel-Industrie, sondern aus der Bankenbranche, Real Estate, Asset Management etc. Hotel Management-Schulen wie die EHL und die SSTH haben deshalb vor Jahren die Initiative gestartet, dies zu ändern und Hotel-Manager ausgebildet, die in der Lage sind, mit Eigentümern (Banken, Versicherungen etc.) in einem Business/Finance-Kontext zu sprechen. Deshalb ist die Ausprägung «Business» so stark verankert. Gleichzeitig hat man aber die Seite «Customer» in der Ausbildung vernachlässigt und die Kommunikationsfähigkeit einfach als grundlegendes Eignungskriterium für die Hotel-Branche vorausgesetzt. «Wir brauchen passionierte, emphatische Gastgeber», hört man oft. Deshalb wollen wir mit unseren «Affective»-Programmen diesen kundenorientier-ten Kommunikationsansatz für die Ausbildung komplett neu ausrichten.

Sie haben den Ansatz der «Affective Hospitality» mit Autismus-Forschern der Universität Genf gemeinsam entwickelt. Was konnten Sie von Ihren Kollegen lernen?

Neueste Forschungsergebnisse in ein akademisches Curriculum zu transferieren, verbunden mit dem Anspruch, anwendbare Kompetenzfelder für Studierende innerhalb einer Dienstleistungsbranche zu schaffen, das hat es bis jetzt so noch nicht gegeben. Deshalb befinden wir uns derzeit auf einer sehr aufregenden Reise.

Sie haben ein neues Konzeptrestaurant, das «Elysium», ins Leben gerufen in Passugg. Dort wird «Affective Hospitality» live gelebt (Tageskarte berichtete). Inwiefern unterscheidet sich dieses Konzept von bekannten Outlets wie dem «Sublimotion» auf Ibiza beispielsweise?

Grundsätzlich ist das «Elysium» nicht als kommerzielles Trend-Restaurant zu verstehen, sondern als «Digitales Klassenzimmer» – operated by young talents. Dies ist ein wesentlicher Unterschied. Multimediale Animationen und «Fine Dining» sind nicht unser primärer Fokus, wir nutzen eher digitale Technologien als Unterstützer für unser multisensorisches Storytelling, auch «Constructed-Emotions» genannt. Für uns ist das «Elysium» quasi eine Werkstatt, um herauszufinden, welche sensorischen Kombinationen wie funktionieren. Man könnte es auch als «Professional-Research» bezeichnen.

Was dürfen die Gäste im «Elysium» denn Spezielles erleben, was sie anderswo so nicht so fühlen, riechen, schmecken können?

Unsere Studierenden agieren als Schauspielerinnen und Schauspieler. Die Gäste sind in das Erlebnis live eingebunden und müssen dazu beitragen, etwa Düfte komplementieren. Die Storyline baut dramaturgisch wie ein Bühnenstück aufeinander auf. Eine gemeinsam erlebte Reise führt zu «Community-Bildung», der Vorhang der individuellen Fassade fällt, eigenes Sozial-Prestige tritt in den Hintergrund, der Gast ist nun Teil der Inszenierung – so unser Anspruch.

Sie bieten Erlebnisse für Gäste im «Elysium» auch für externe Gäste an. Ist ein relativ hochpreisiges Angebot wie das Ihrige eine Alternative für die Gastronomie, die generell unter großem Margendruck steht?

Wir sind eine Schule und möchten nicht mit der öffentlichen Gastronomie konkurrieren. Wir bieten ein einzigartiges Spektakel mit höchster Kulinarik, aber eben nur zu bestimmten Anlässen und mit einem anderen Anspruch: «Werden Sie Elysianer».

Lässt sich ein solch innovatives Konzept wie «Elysium» in der klassischen Hotellerie kommerzialisieren? Ist es also sozusagen ein «Blueprint» für die Branche?

Es ist ein «Blue-Print» für die Zukunft im Sinne der Multi-Sensorik und «Affective Hospitality». Im Augenblick ist das «Elysium» ja nur ein Prototyp, das «wirkliche» Elysium wird die Grundidee noch um ein Vielfaches steigern. Ich denke, die Auswahl unserer Partner und Studierenden sind hierfür ein Garant für den Anspruch.

Stichwort Digitalisierung: Kann es sein, dass in Zukunft auch Roboter für «Affective Hospitality» zum Einsatz gelangen – sprich Menschen trainieren Humanoide? 

Als integriertes Show-Element im digitalen Sinne möglicherweise. Dies ist aber nicht die Botschaft. Wie gesagt: Wir wollen Sensoren ansprechen, welche in der Kombination neue «Imprints» generieren oder bestehende wieder an die Oberfläche bringen. Diese «Imprints» sind schwer mit Humanoiden zu teilen.

Letzte Frage: Wenn Sie auswärts essen gehen – wohin zieht es Sie in Sachen Gastronomie – einfache Beiz mit «Farm-To-Table»-Angebot oder eher Fine Dining?

Hier kommt wieder die Ambivalenz ins Spiel: Ich selber fühle mich wohl mit trendy Fast-Food, aber auch mit gut inszeniertem Fine-Dining, eben auf Anlass und Stimmung bezogen. Authentizität ist für mich aber immer gleich wichtig.

Ausser am Freitag, 25. Oktober 2019 ist das Elysium auch am:

  • Freitag, 7. Februar 2020, Beginn 18.30 Uhr und am
  • Freitag, 28. Februar 2020, Beginn 18.30 Uhr

für individuelle Gäste geöffnet.


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