Kolumne: „Corona killed die gedruckte Speisekarte“

| Gastronomie Gastronomie

Eine Kolumne von Autor, Gründer und Blogger Steffen Sinzinger (Berliner Speisemeisterei):

Ist dir eigentlich aufgefallen, dass du im Restaurant schon wieder dein Handy bemühen musst und längst nicht mehr eine Speisekarte ausgehändigt bekommst, wenn du dein Essen aussuchen möchtest? Neben dem Bargeld hat Corona ebenfalls ein weiteres wichtiges Element in einem Restaurant platt gemacht. Die Rede ist vom gedruckten Menü. Was ich an ihm vermisse und welche Nachteile die digitale Speisekarte eigentlich hat, erfährst du in meiner Kolumne Life as a Chef.

Speisekarten are no more!

Mit dem Buch Menu Design in Europe, das ich vor ein paar Tagen vorstellte, habe ich ein wichtiges Erlebnis bei einem Restaurantbesuch besprochen, der nun leider am Aussterben ist. Es geht um den Einsatz von Speisekarten. Damit meine ich nicht die Speisekarten, die wir alle am Tisch mit dem Handy einscannen. Ganz im Gegenteil.

Corona war der Brandbeschleuniger

Corona hat gerade in der Gastronomie auf verschiedenen Ebenen wie ein Brandbeschleuniger eingewirkt. Konnten wir uns vor zwei Jahren einen bargeldlosen Bezahlvorgang eher im Ausnahmefall nur vorstellen, ist es heute offenbar genau andersherum. Wir zahlen zumeist mit der Karte oder gar mit dem Handy, welches wir lässig an den Kartenleser halten. Das bargeldlose Bezahlen ist also nicht nur Trend, sondern längst das Zahlungsmittel „by default“ geworden. Einige Restaurants oder Cafés nehmen überhaupt kein Bargeld mehr an.


Über den Autor Steffen Sinzinger

Die Gastronomie ist für mich mein Leben und das verbringe ich als waschechter Wahlberliner in der Hauptstadt. Ich liebe diesen kulinarischen Schmelztiegel, der sich stets neu erfindet und einem keine Atempause lässt. Mit dem Blog Berliner Speisemeisterei bekommt der Leser einen Einblick in meine Welt der Kulinarik. Es werden Rezepte, Kochbuchbesprechungen, Interviews und Culinary Hotspots in und um Berlin besprochen. Und all das stets aus der Perspektive eines Küchenchefs - Life as a Chef.

www.steffensinzinger.de/blog


Die Speisekarte musste dran glauben

Was neben dem Bezahlen in Cash ebenso recht schnell aus dem Alltag gewichen ist, sind die analogen und noch altmodisch gedruckten Speisekarten, die es heute nur noch in Ausnahmefällen mehr gibt. Hier ist Corona ebenfalls der Ursprung allen Übels.

In der ersten Phase der Pandemie hatten sich viele Restaurantbetreiber noch auf den Kompromiss eingelassen, die Speisekarten laminiert herauszugeben. Das hatte sicher die Funktion erfüllt, war aber rein optisch gesehen in den meisten Fällen eine eher schlecht gemachte Notlösung, die keinesfalls die Ansprüche an ein gut gemachtes Design erfüllen konnte.

Hygiene first

Da lag bei all der Digitalisierung sicher der Gedanke nahe, dass der Gastronom doch die Handys der Gäste als Plattform nutzen könne. Denn dieser musste sich aufgrund der Infektionsschutzregeln sowieso per Endgerät einloggen und registrieren. Dort konnte im selben Schritt das Menü angezeigt werden, was den Umgewöhnungsprozess in der Breite ungemein erleichterte. In kurzer Zeit wurde jeder Gast an die neue Technik per Zwang gewöhnt. Das gesteigerte Interesse an einer möglichst keimfreien Lösung war zu hoch.

Kurzerhand wurden die auf Papier gedruckten Speisekarten von der digitalen Version abgelöst, ohne dass es jemand vermisst oder gar bemängelt hat.

Heute scannt jeder aufs Selbstverständlichste den auf dem Tisch aufgeklebten QR-Code um daraus die Speisen und Getränke herauszusuchen. Einige Restaurants gehen noch einen Schritt weiter und nehmen die Bestellung über die Handys an. So erfährt der Gast nach dem Platzieren keine Kommunikation mit dem Kellner mehr, es sei denn, er fragt proaktiv nach ihm.

Ich halte das für problematisch. Dafür gibt es einige Gründe.

Die Speisekarte ist das wichtigste Kommunikation- & Marketingtool in einem Restaurant

Der wichtigste Grund für mich ist, dass die Speisekarte das wichtigste Kommunikationsmittel in einem Restaurant ist. Hier werden alle Angebote sowie deren Preise klar und verständlich kommuniziert. Man erfährt in einigen Karten sogar etwas über das Restaurant oder die Geschichte.

Neben der Information sagen die Haptik und das Design der Speisekarte viel über das Restaurant, in dem man sich befindet, aus. Ist das Papier von rauer Natur oder lackiert und glatt. Ist das Design eher schlicht oder gar verspielt. Speisekarten teilen dem Gast nicht nur das reine Angebot mit – sie sind dem Gesamterlebnis absolut zugehörig. Natürlich macht es mehr Spaß, eine richtige Speisekarte anzufassen, in ihr hin und her zu blättern und die Vorspeisen mit den Zwischengängen zu vergleichen. Je gehobener das Restaurant, umso aufwendiger die Speisekarte. Eine Speisekarte spiegelte stets die Wertigkeit des Erlebnisses wider. Ich würde sogar fast so weit gehen, dass die digitalen Versionen einer Speisekarte alle irgendwie gleich aussehen.

Der neue sterile Bestellprozess

Ich denke, eine gedruckte Speisekarte ist ein wichtiger Part bei einem Restaurantbesuch. Der Moment nach der Bestellung, bei dem du dich fragst, ob der Service das richtige Essen notiert hat und du in der Konsequenz aus Versehen etwas Anderes bekommst, was du so nie ausprobiert hättest. Der finale Anblick des Essens, welcher dir noch neu ist, weil du eben kein Bild vorab im Handy vom Teller gesehen hast. Es gibt so viele Überraschungsmomente, die uns genommen werden, weil das Handy die Bestellung derart entmystifiziert, dass es fast schon ein steriler Prozess geworden ist.

Ist die digitale Speisekarte wirklich ressourcenschonend?

Natürlich sehe ich ein, dass in Zeiten des Klimawandels jeder Papierverbrauch nach Möglichkeit zweimal überdacht werden sollte. Das ist bei Menükarten nicht anders. Doch ist es in der Regel bei der Speisekarte im Restaurant nicht so, dass dort täglich die Karten neu gedruckt werden müssen. Solche Menükarten halten oft mindestens drei bis vier Wochen durch, bevor sie ersetzt werden. In dieser Zeit waren sie jeden Abend zigmal im Einsatz und haben so gänzlich ohne Energiekosten den Gast über das Angebot informiert.

20 Googleanfragen = 1 h Stromverbrauch einer Glühbirne

Im Gegensatz zum Konzept per Smartphone würden bei einem Vierertisch jeder Gast für sich das Handy zücken und im Internet die Speisekarte abrufen. Dieser Vorgang verschlingt ebenso Ressourcen. 20 Anfragen bei Google ziehen beispielsweise in etwa genauso viel Strom wie eine Energiesparlampe in einer Stunde. Sicherlich kann ich jetzt aus der Entfernung nicht genau sagen, was unter dem Strich günstiger ist, müsste man für eine finale Aussage über die Energiekosten wirklich alle Faktoren (Verbrauch bei der Konzeption, Erstellung, Druck & Pflege) in Betracht ziehen. Jedoch gibt es ebenfalls bei der digitalen Version einen nicht zu unterschätzenden Energiebedarf, der am Ende den klimabedingten Fußabdruck größer werden lässt.

Die Vor- & Nachteile der digitalen Speisekarte

Ich habe mir mal die Mühe gemacht, und die Vor- als auch Nachteile der digitalen Speisekarte zusammengefasst. Bei den Energiekosten kann ich recht schlecht einen Vor- bzw. Nachteil ausweisen, da ich aufgrund mangelnder Kenntnis nicht feststellen kann, welche Version ressourcensparender ist.

Vorteile der digitalen Speisekarte

  • Sie spart Personal ein.
  • Sie kann mehr Informationen transportieren, da sie im Platz nicht limitiert ist.
  • Sie kann täglich an das wechselnde Angebot oder das Verbraucherverhalten angepasst werden.
  • Der Service geht schneller, da das Verteilen der Speisekarten ausbleibt.
  • Digitale Karten sind hygienetechnisch reiner.

Nachteile der digitalen Speisekarte

  • Ein großer Teil des Erlebnisses in der jeweiligen Gastronomie geht verloren.
  • Die Kommunikation mit dem Gastgeber wird enorm reduziert.
  • Die Möglichkeit, sich individuell mit einer anspruchsvollen Speisekarte abzuheben, ist genommen.
  • Ausgrenzung älterer Gästegruppen, die kein Smartphone besitzen oder nicht damit umgehen.
  • Die Mitarbeiter müssen für solch einen Einsatz entsprechend geschult werden.
  • Arbeitet man mit digitalen Endgeräten, die man den Gästen ausgibt, müssen diese kostspielig angeschafft werden.

Fazit

Ich bin ein großer Fan der Erlebnisgastronomie. Ich gehe nicht in ein Restaurant des Essens wegen, sondern weil ich unterhalten werden will. Die Speisekarte trägt dazu bei. In Zeiten, in denen ich täglich mehr auf einen Bildschirm schaue, als mir lieb ist, möchte ich in einem Restaurant lieber auf ein Stück Papier, welches im hohen Maße der Wertschöpfung dient, schauen als in mein Smartphone.


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Die Schnellrestaurantkette Burger King verschärft mit Preissenkungen für Veggie-Gerichte den Wettbewerb um Marktanteile in der Branche. Das wirtschaftliche Kalkül bei Burger King beruht nicht auf der Gewinnspanne des einzelnen Gerichts, sondern auf der Annahme, dass mehr Gäste kommen.

„Kinder bleiben nach Möglichkeit an ihrem Tisch“ oder „Toilettengänge bitte immer in Begleitung eines Erwachsenen“ – so lauten einige der „Spielregeln“, die ein Restaurant im Saarland für seine jungen Gäste auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht hat. Online gibt es dafür vor allem Lob.

Pret a Manger eröffnet weitere Filialen in der Berliner City. Mit den Eröffnungen am Leipziger Platz, in der Schlossstraße und am Potsdamer Platz schließt das Unternehmen sein Expansionsvorhaben in der Hauptstadt mit insgesamt fünf Filialen vorerst ab.

Die US-amerikanische Fast-Food-Kette Wendy’s kündigte an, in Zukunft weiter auf KI zu setzen und „dynamische Preisgestaltung“ zu testen. Ganz nach dem Motto: „Angebot und Nachfrage regeln den Preis“. Auch KI-gesteuerte Anpassungen der Speisekarte gehören zu der neuen Strategie der Burger-Kette.

​​​​​​​Ab sofort bis zum 31. Mai 2024 können sich Gastronomiebetreibende für den neuen METRO GastroPreis bewerben – und zwar in den Kategorien Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Team.

Im Zwei-Sterne-Restaurant Le Cerf des Wald & Schlosshotel Friedrichsruhe erleben Gäste Kulinarik jetzt auf andere Weise: Speisen wie etwa Fingerfood richtet der Hobbyhandwerker auf selbst gestalteten Hirschgeweihen, Keramikkissen oder einer Seezungenkarkasse an.

Die Hospitality-Branche wird immer wichtiger für die Gesellschaft. Aber die Herausforderungen bleiben. Die Krisen der letzten Jahre waren ein Brandbeschleuniger für Veränderungen. In seinem kostenfreien Gastro-Trendreport 2024/25 analysiert Pierre Nierhaus die Lage und blickt in die Zukunft der Branche. (Mit Video-Interview)

Die US-Coffee-Shop-Kette Starbucks eröffnet an einer der prominentesten Straßen Berlins ein neues Café: Unter den Linden 39. Vormieter am Standort war das Restaurant Casa Italia. Starbucks ist bereits seit Jahren, nicht weit entfernt, am Pariser Platz, auf dem das Brandenburger Tor steht, mit einem Store vertreten.

Die neue Hamburger Erlebnisgastronomie „Le big TamTam“ sollte eigentlich im Februar feierlich eröffnet werden. Doch weil es noch Fragen zum Brandschutz gibt, bleibt der Food-Market im ehemaligen Mövenpick-Restaurant weiter geschlossen. Einen neuen Starttermin gibt es bislang nicht.

Die „Menterschwaige“ in Harlaching bekommt neue Pächter, wie BILD exklusiv erfuhr. Das Wirtepaar Till und Pamela Weiß übernehmen die Menterschwaige ab Herbst 2024. Das bekannte Ausflugslokal ist seit März 2022 geschlossen, nachdem der langjährige Pächter, Wiesnwirt Christian Schottenhamel, den Pachtvertrag kündigte.