„Neustart Gastro bedeutet auch Neustart Digitalisierung!”

| Gastronomie Gastronomie

Das Gastgewerbe ist von der Corona-Krise gebeutelt wie kaum eine andere Branche. Mit den gerade beschlossenen Lockerungen in mehreren Bundesländern beginnen langsam die Aufräumarbeiten, viele Gastronomen beschäftigen sich jetzt mit dem Thema Wiedereröffnung. Im Doppelinterview verraten die Digitalisierungsexperten Stefan Brehm (Gastrofix) und Henning Wolter (Vasol), wie sie den Corona-Wahnsinn erlebt haben, welche Fehler die Politik gemacht hat und worauf es in Zukunft ankommt.

Wie haben Sie die letzten Wochen erlebt?

Stefan Brehm: “Es war schon eine irre Zeit. An einem Tag ist man noch auf der Skipiste im Allgäu, am nächsten wirst du quasi zu Hause eingesperrt und siehst Deine Mitarbeiter nur noch per Videokonferenz. Hinzu kamen die unzähligen Gespräche mit verzweifelten Gastronomen, die uns um Unterstützung baten, weil sie wegen Corona buchstäblich mit dem Rücken zur Wand stehen. Ich habe trotzdem versucht, positiv zu bleiben.”

Henning Wolter: “Ich bin ein Kind der 1960er, einer der stabilsten Epochen überhaupt. Eine Situation wie jetzt gerade habe ich in dieser Dramatik nicht für möglich gehalten. Vor allem bin ich erstaunt, wie wenig anpassungsfähig viele in der Krise sind und passiv verharren statt aktiv tätig zu werden. Das zeigt, wie sehr wir in unserer Gesellschaft noch daran arbeiten müssen, uns auf sich schnell wandelnde Zeiten einzustellen – ein Paradigmenwechsel, der nun hoffentlich den letzten nötigen Impuls bekommt.”

Was hat sich Ihrer Meinung nach während der Corona-Krise bei den Gastronomen verändert?

Brehm: “Ich glaube, vielen ist gerade schmerzhaft bewusst geworden, wie wichtig eine gute Organisation auch außerhalb des Tagesgeschäfts ist. Solides Finanzmanagement und ausreichend Rücklagen für unvorhersehbare Zeiten haben vor Corona wohl nur wenige Gastronomen auf dem Zettel gehabt. In unserer Branche wird ja oft von der Hand in den Mund gelebt. Die digitale Verwaltung der Geschäftszahlen hat jedenfalls oft zu wenig Raum im Tagesgeschäft gehabt. Das wird sich jetzt sicherlich ändern.”

Wolter: “Die Gastronomie lebt vor allem von kreativen Menschen, die ihren Gästen mit unfassbarem Einsatz eine tolle Zeit bereiten. Das unternehmerische Handeln stand und steht da in der Regel leider eher im Hintergrund. Sehr viele Betriebe agieren am Rande des wirtschaftlichen Minimums und nicht zuletzt führen fragwürdige Praktiken dazu, dass keine Gewinne erwirtschaftet wurden. Das fällt jetzt sehr vielen bei der Beantragung von Krediten auf die Füße: Kein Gewinn, keine Kredite. Ich hoffe, dass diejenigen Gastronomen, die nach Corona übrig bleiben, daraus lernen und künftig stärker nachhaltig in die Zahlenwerke schauen.”

Wie sehen Sie die Rolle der Politik?

Brehm: “Viele Gastronomen haben hautnah miterlebt, wie wenig Rückhalt ihre Branche in der Politik hat. Der überwiegende Teil der Unternehmer, mit denen ich gesprochen habe, ist dementsprechend bitter enttäuscht von der Art und Weise, wie die Bundesregierung mit dem Gastgewerbe umgegangen ist. Es gab wiederholt große Versprechen, die nur in sinnlose Hilfen wie die Mehrwertsteuersenkung mündeten. Die Gastronomen werden das nicht so schnell vergessen. Auch persönlich empfinde ich die Vorgehensweis der Regierung bei den Hilfen für die Gastronomie in den letzten Wochen als ziemlich planlos und chaotisch.”

Wolter: “Die Politik ist gesetzlicher Rahmensetzer und damit maßgeblicher Faktor für das Zusammenleben insgesamt. Eine dazu 2017 vom Bundestag in Auftrag gegebenen Risikostudie zeigt, welche Auswirkungen eine Pandemie konkret auf unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft hat, darunter Wirtschaft, Umwelt, Kultur, Sterblichkeitsrate und Gesundheit. Leider hat sich die Bundesregierung in den ersten Wochen der Pandemie lediglich auf die beiden letztgenannten konzentriert und die anderen Bereiche dramatisch unterbetrachtet. Das ändert sich ja zum Glück endlich.”

Wie muss sich die Branche jetzt aufstellen?

Brehm: “Eigentlich so, wie wir es schon vor Corona gebetsmühlenartig wiederholt haben: Digitalisiert eure Prozesse und optimiert so euren Betrieb! Noch viel zu wenige Gastronomen nutzen die Möglichkeiten der Digitalisierung. Reservierungssysteme, Online-Lieferservice oder das cloudbasierte Kassensystem: Die Corona-Krise zeigt doch gerade, wie digitale Tools und Services dem Gastronomen helfen, seine Zahlen besser zu kennen und dadurch flexibel reagieren zu können. Darauf wird es in Zukunft mehr denn je ankommen. Neustart Gastro bedeutet nämlich auch Neustart Digitalisierung.”

Wolter: “Wie die gesamte Gesellschaft muss auch das Gastgewerbe jetzt seine Resilienz steigern, also flexibler werden, damit es sich künftig schneller an neue Situationen anpassen kann. Es muss stärker darauf geachtet werden, dass die unternehmerische Tätigkeit auch in Ertrag mündet. Was bringt es mir, wenn mein umsatzstärkstes Produkt einen Verlust erwirtschaftet? Die fehlende Transparenz, welche Auswirkungen die unternehmerische Tätigkeit auf meinen Ertrag hat, muss zwingend beseitigt werden.”

Worauf wird es in Zukunft vor allem ankommen?

Brehm: “Leider lernen Menschen oft am meisten, wenn es weh tut. Die Situation heute ist für viele Gastronomen jedenfalls so schmerzhaft, wie es nur geht, und sie müssen leidvoll erfahren, wie schnell ein Geschäft ohne Vorsorge in Schieflage geraten kann. Für eine erfolgreiche Zukunft kommt es daher auf die innere Einstellung eines jeden Gastronomen an und inwieweit er bereit ist, sich mit neuen Denkansätzen zu beschäftigen. Letztlich müssen alle organisatorischen Arbeitswege auf den Prüfstand, ob diese nicht besser zu digitalisieren sind.”

Wolter: “Das Gastgewerbe mit seinen kreativen, arbeitswilligen und eigenverantwortlichen Persönlichkeiten ist ein enorm wichtiger Rückhalt unserer gesellschaftlichen Vielfalt. Um diese Vielfalt zu erhalten, müssen die Gastronomen sich dem stellen, was die Systemgastronomie in den letzten Jahren so beeindruckend vorgelebt hat: höchste Professionalität nicht nur im Gastraum, sondern auch im Backoffice. Nur dort wird nämlich der langfristige wirtschaftliche Erfolg sichergestellt.”

Stefan Brehm ist Mitgründer und Digitalisierungsexperte beim Kassenanbieter Gastrofix by Lightspeed aus Berlin. Henning Wolter ist geschäftsführender Gesellschafter der Vas Value Added Solutions GmbH und lehrt an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg.


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Das OLG Düsseldorf hat die Vorwürfe, die Gault&Millau International gegenüber dem Lizenznehmer in Deutschland, der Henris Edition GmbH, erhoben hat, zurückgewiesen. Das sagt die Henris Edition und setzt die Tests für die App und den im Herbst erscheinenden Führer fort. Der Markenrechtsstreit scheint so schnell vorbei, wie er begonnen hat.

Die Schweizer Polizei hat Ermittlungen wegen möglicher Diskriminierung von Juden durch ein Bergrestaurant in Davos aufgenommen. Eine Privatperson habe die Polizei am Sonntag auf einen Aushang an dem Restaurant hingewiesen, sagte der Sprecher der Polizei Graubünden, Roman Rüegg, am Montag.

Wie mehrere regionale Medien berichtet, hat der Immobilienunternehmer Harald Panzer aus Fellbach das Zwei-Sterne-Restaurant Speisemeisterei in Stuttgart verkauft. Neuer Betreiber soll demnach der Wasenwirt Michael Wilhelmer sein.

 

Mit derzeit elf Standorten bildet die wineBANK das weltweit größte Netzwerk an Private Members’ Clubs für Weinbegeisterte. Im letzten Jahr eröffnete die wineBANK Mosel in Bernkastel-Kues. Aktuell entstehen weitere Locations in Erfurt, Heidelberg, Saarbrücken sowie am Niederrhein und an der Ahr.

Der ehemalige Zwei-Sternekoch Lothar Eiermann ist tot. Wie der SWR berichtet, starb Eiermann am Samstag nach schwerer Krankheit und wurde 78 Jahre alt. Eiermann war von 1973 bis 2008 war Chefkoch des Gourmethotels Wald- und Schlosshotel Friedrichsruhe in Zweiflingen.

Die Verwirrung um die Lizenz für die Marke Gault&Millau in Deutschland geht in die nächste Runde. Nachdem am Donnerstag Gault&Millau per Mitteilung über die Kündigung des Lizenzvertrages informiert hatte, verwies Henris nun auf eine weiterhin gültige Lizenz. 

Pressemitteilung

Der FCSI-Stammtisch entwickelt sich immer mehr zum Highlight-Event. So auch bei der INTERGASTRA in Stuttgart: Fünf Profis aus Gastronomie, Retail-Management, Stadt- und Küchenplanung diskutierten einen Nachmittag lang zum Thema „Stadt der Zukunft – Zukunft der Stadt”.

Standing Ovations, Euphorie und Freudentränen, wo man hinschaute: Die Begeisterung, sich nach vier Jahren, in Stuttgart wiederzusehen, war förmlich greifbar. Mehr als 1.200 Teilnehmende, davon 88 Mannschaften aus insgesamt 55 Nationen kamen zu IKA/Olympiade der Köche.

Hamburgs ehemaliger Cocktail-König (O-Ton Bild-Zeitung) Hubert Sterzinger eröffnet sein neues Lokal in den Räumlichkeiten des ehemaligen "SoHo Chicken" von Dirk Block. In der "Moto59 Foodgarage" will die Gastrolegende Sterzinger künftig eine "Fusion aus italienischer und amerikanischer Küche" servieren.

DISH Digital Solutions, eine Tochter der Metro AG, hat die die Art und Weise untersucht, wie der Valentinstag in Deutschland gefeiert wird. Im Mittelpunkt standen unter anderem Vorlieben, bevorzugte Landesküchen und Buchungsgewohnheiten.