Corona-Inzidenz erstmals seit Mai wieder dreistellig

| Politik Politik

Die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland hat erstmals seit Mitte Mai den Wert von 100 erreicht. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner und Woche am Samstagmorgen mit exakt 100,0 an. Zum Vergleich: Am Vortag hatte der Wert bei 95,1 gelegen, vor einer Woche bei 70,8. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 15 145 Corona-Neuinfektionen. Das geht aus Zahlen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards von 04.31 Uhr wiedergeben. Vor einer Woche hatte der Wert bei 10 949 Ansteckungen gelegen.

Deutschlandweit wurden nach den neuen Angaben binnen 24 Stunden 86 Todesfälle verzeichnet. Vor einer Woche waren es 75 Todesfälle gewesen. Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 4 452 425 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden.

Die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen - den für eine mögliche Verschärfung der Corona-Beschränkungen wichtigsten Parameter - gab das RKI am Freitag mit 2,68 an (Donnerstag 2,45). Bei dem Indikator muss berücksichtigt werden, dass Krankenhausaufnahmen teils mit Verzug gemeldet werden. Ein bundesweiter Schwellenwert, ab wann die Lage kritisch zu sehen ist, ist für die Hospitalisierungs-Inzidenz unter anderem wegen großer regionaler Unterschiede nicht vorgesehen. Der bisherige Höchstwert lag um die Weihnachtszeit bei rund 15,5.

Die Zahl der Genesenen gab das RKI mit 4 200 000 an. Die Zahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 95 077.

Die Infektionen steigen rasch - wie viel Impfen geht noch?

Der zweite Winter in der Corona-Pandemie steht bevor, die Hoffnung auf Herdenimmunität gilt als nicht mehr realistisch. Nun ist die Inzidenz auf 100 gestiegen. Lassen sich einschneidende Maßnahmen dennoch vermeiden?

Berlin (dpa) - Angesichts der deutlich steigenden Corona-Infektionen raten viele Experten zum Impfen. Doch dies ging in Deutschland zuletzt nur noch schleppend voran. Bisher haben sich laut den offiziellen Meldedaten knapp 70 Prozent mindestens eine Dosis gegen Covid-19 spritzen lassen. Gut 66 Prozent gelten als vollständig geimpftReicht das angesichts der Pandemie-Entwicklung? Die Inzidenz - die Zahl der Infektionen in sieben Tagen pro 100 000 Einwohner - hat in Deutschland gerade den Wert von 100 erreicht.

Herdenimmunität nicht realistisch

Der Anteil der Geimpften kann Erinnerungen wecken an die frühe Phase der Pandemie 2020: Damals hatten Fachleute davon gesprochen, dass zum Erreichen der Herdenimmunität ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung durch Impfung oder Infektion immun geworden sein müssten. Diese Schwelle wäre nun ungefähr erreicht - allerdings gilt die Annahme von einst mittlerweile als überholt.

Seit dem Aufkommen der ansteckenderen Delta-Variante gehen Expertinnen und Experten nicht mehr davon aus, dass rund zwei Drittel Immune in der Bevölkerung ausreichen, um das übrige Drittel vor Corona zu bewahren. Schon im Sommer hieß es vom Robert Koch-Institut (RKI), die Vorstellung von Herdenimmunität im Sinne eines weitgehenden Zurückdrängens oder Ausrottens der Krankheit sei nicht realistisch. Das heißt für den Einzelnen: Man kann sich nicht darauf verlassen, durch ein weitgehend geimpftes Umfeld geschützt zu werden.

Was kann also noch bevorstehen in diesem Herbst und Winter? Sind ein extrem steiler Anstieg der Fallzahlen-Kurve, ein anhaltender Anstieg bei den Patientenzahlen in Kliniken und ein erneuter Lockdown ausgeschlossen? Die Antworten, die Fachleute mehrerer Disziplinen geben, lassen sich auf die kurze Formel bringen: Es ist gerade schwer vorherzusagen. Das liegt nicht nur an Daten-Unschärfen, etwa die Impfquote betreffend. Auch das Verhalten der Bevölkerung, politische Entscheidungen und etwaige Veränderungen des Virus ließen sich schwer abschätzen.

Wo Impfungen fehlen

In jedem Fall bestehe noch eine Impflücke bei der am stärksten gefährdeten Gruppe über 60 Jahre, erklärte Ralf Bartenschlager, der Präsident der Gesellschaft für Virologie. Man müsse bedenken, dass in dieser Altersgruppe etwa 20 Prozent aller übermittelten Covid-19-Fälle stationär versorgt werden müssten, sagte Bartenschlager. «Daher sollten wir sehr darauf achten, dass ältere Menschen in unserem Umfeld geimpft sind und, wenn die vollständige Immunisierung bereits länger als sechs Monate zurückliegt, eine dritte Immunisierung erhalten.»

Bezogen auf die Gesamtbevölkerung haben mehr als 25 Millionen keinen Impfschutz - darunter 9,2 Millionen Kinder unter zwölf Jahren, für die es bislang in Europa keinen zugelassenen Impfstoff gibt. Es gibt damit unter dem Strich weitaus mehr ungeschützte Menschen als sich in bisherigen Wellen in Deutschland nachweislich infiziert haben.

Umfrage sieht Möglichkeiten bei Impfbereiten fast ausgereizt

Resultate der Cosmo-Erhebung, für die seit März 2020 regelmäßig knapp 1000 Erwachsene befragt werden, lassen es jedoch fraglich erscheinen, ob die noch klaffenden Impflücken bei Erwachsenen überhaupt durch Impfangebote geschlossen werden können: Demnach haben sich fast alle impfbereiten Erwachsenen unter 75 Jahren bereits die Spritzen geben lassen. Nur noch sechs Prozent in dem Alter seien impfbereit. «30 Prozent der Ungeimpften sind zögerlich, 64 Prozent sagen, sie wollen sich auf keinen Fall impfen lassen.»

Die RKI-Zielimpfquoten lauten: mindestens 85 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen und mindestens 90 Prozent bei Menschen über 60. Zudem werden Maske, Abstand und Co. bis zum Frühjahr empfohlen. Spielraum zum Erhöhen der Impfquoten gäbe es laut Cosmo vor allem in der Gruppe der 12- bis 17-Jährigen, die aber verglichen mit Älteren auch deutlich seltener schwer erkranken.

Impfquote nicht allein maßgeblich

Bartenschlager macht aber auch deutlich: Eine bestimmte Impfquote sei nicht allein ausschlaggebend dafür, wie ein Land in nächster Zeit mit der Pandemie zurechtkomme. Er verweist auf Faktoren wie zum Beispiel die Bevölkerungsdichte, das Durchschnittsalter, Test- und Interventionsstrategien sowie den Anteil der Vorerkrankungen.

In der Annahme, dass die Infektionszahlen nun im Herbst weiter deutlich steigen dürften, sind sich viele Experten einig. Die Zeit, in der sich die Menschen viel drinnen aufhalten, wo das Ansteckungsrisiko höher ist, hat schließlich begonnen. «Es wird sich sehr wahrscheinlich ein sehr heterogenes Bild in Deutschland zeigen», erwartet Bartenschlager. RKI-Daten zeigen schon derzeit verschiedene Lagen je nach Bundesland, nicht nur bei Inzidenzen. Zwischen Spitzenreiter und Schlusslicht bei der Impfquote liegen satte rund 20 Prozentpunkte.

Viel ist geschafft - aber nicht auf Impfungen allein verlassen

Gleichwohl sehen Fachleute mit der bisherigen Impfquote in Deutschland auch schon viel erreicht - etwa verglichen mit dem Herbst 2020. «Das Schlimmste sollten wir als Gesellschaft jetzt hinter uns haben», sagte die Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, Jana Schroeder, mit Blick auf die vergangenen rund anderthalb Jahre in der Pandemie. Trotzdem sei weiter Vorsicht angebracht. Die Politik brauche einen Plan für den Fall, dass sich die Lage rapide verschlechtert.

Der Immunologe Carsten Watzl zeigte sich vorsichtig optimistisch angesichts der vom RKI vermuteten Untererfassung bei der offiziellen Impfquote. «Wir könnten es mit den aktuellen Maßnahmen schaffen, gut durch den Winter zu kommen.» Aber man müsse die Situation genau beobachten und Maßnahmen, etwa von 3G auf 2G verschärfen, sollte es einen deutlichen Anstieg der Krankenhausbelegung geben.

Bei der Impfquote bewirke jeder Prozentpunkt mehr etwas, betonte Schroeder. «Jede Impfung trägt dazu bei, Infektionsketten zu unterbrechen.» Bedenken müsse man jedoch, dass Impfungen nicht völlig gleichmäßig über die Bevölkerung verteilt sind. Insbesondere in gesellschaftlichen Kreisen mit vielen Ungeimpften habe das Virus leichteres Spiel.

Aber auch Geimpfte sind nicht gänzlich außen vor und können sich infizieren. «Solche Fälle sehen wir beim Personal im Krankenhaus zunehmend.» Darauf müsse man sich mit der Zeit einstellen - es sei denn, es werde ein drittes Mal geimpft, sagte Schroeder. Der Schutz auf den Schleimhäuten vor Ansteckung und Weitergabe schwinde in den Monaten nach der Impfung. «Der Schutz vor schwerer Erkrankung und Tod hält hingegen länger.»


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Mobilität und Digitalisierung standen inhaltlich im Mittelpunkt des Parlamentarischen Abends der Tourismuswirtschaft: Die notwendigen Investitionen in die digitale und Verkehrsinfrastruktur müssten genauso wie in die Erforschung und Produktion von E-Fuels sichergestellt werden.

Paris mobilisiert vor den Olympischen Spielen im kommenden Sommer gegen Betrug und Abzocke in Hotels, Restaurants und Cafés. Dazu sollen 10.000 Betriebe überprüft werden, kündigte das Wirtschaftsministerium in Paris an.

Der Bundeshaushalt 2024 wird, aller Voraussicht nach, nicht mehr in diesem Jahr vom Parlament beschlossen. Damit laufen die sieben Prozent Mehrwertsteuer für Speisen in der Gastronomie automatisch aus. Alle Präsidenten der DEHOGA-Landesverbände und des Bundes richten in einem Offenen Brief einen Appell an Olaf Scholz, an der einheitlichen Besteuerung von Essen mit sieben Prozent festzuhalten.

Patientinnen und Patienten können sich unter bestimmten Voraussetzungen künftig telefonisch von ihrer Arztpraxis krankschreiben lassen. Die Regelung gilt ab sofort, wie der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken mitteilte.

Nährwerte und Zusatzstoffe müssen vom 8. Dezember an auch auf Wein- und Sektflaschen zu finden sein - allerdings noch nicht sofort auf allen, wie es Winzer und Sekthersteller befürchtet hatten. In der EU-Verordnung gibt es eine Übergangsvorschrift.

Acht bis zehn Prozent mehr Geld empfiehlt die NGG ihren Tarifkommissionen als Forderung für die kommenden Tarifverhandlungen. Für die Beschäftigten im Gastgewerbe soll zudem ein monatlicher Lohn von mindestens 3.000 Euro anvisiert werden.

Die EU-Länder dürfen während einer Pandemie Reiseverbote in Hochrisikogebiete verhängen - ein solches Verbot müsse jedoch begründet sein und klare Vorschriften enthalten. Das teilten die Richter am Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit.

Größere Arbeitgeber mit mindestens 250 Beschäftigten sind bereits seit dem Sommer verpflichtet, interne Meldestellen für sog. „Whistleblower“ einzurichten und zu betreiben. Ab dem 1. Dezember stellt ein Verstoß gegen diese Pflicht eine Ordnungswidrigkeit dar, die ein Bußgeld bis zu 20.000 Euro nach sich ziehen kann.

Der DEHOGA Bundesverband hielt zu Beginn der Woche seine Delegiertenversammlung in Berlin ab. Neben vielen weiteren Politkern sprach sich auch die Berliner Senatorin Franziska Giffey deutlich für den Erhalt der reduzierten Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie aus und kündigte weitere Aktivitäten im Bundesrat an.

Die EU-Kommission hat einen ersten Entwurf für eine neue Pauschalreiserichtlinie vorgelegt. Erklärtes Ziel der EU-Kommission war es, den Reisenden mehr Rechte einzuräumen. Dieser Anspruch spiegelt sich nun in dem vorgelegten ersten Papier wider, auch wenn es insgesamt nicht so drastisch ausfällt, wie von den Verbänden befürchtet.