Das Saarland startet sein Öffnungsmodell - trotz aller Lockdown-Rufe

| Politik Politik

Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein verhagelter Auftakt. Das Wetter wollte im Saarland so gar nicht mitspielen, nur ein paar Grad über Null und eisiger Wind. Passend zur Stimmungslage in der Landeshauptstadt Saarbrücken. Dort traf das teils heftig umstrittene Corona-Modellprojekt auf gemischte Gefühle.

Seit diesem Dienstag sind für alle Saarländer die Außengastronomie, Fitnessstudios Theater und Kinos wieder geöffnet - Zugangsvoraussetzung ist ein negativer Corona-Test. Das Saarland ist damit das einzige Bundesland, das bislang einen so flächendeckenden Öffnungsschritt wagt - mitten in der dritten Pandemie-Welle. Auch unter den Einheimischen finden das nicht alle gut. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans verteidigt sein Modell gegen alle Widerstände - auch am Dienstag bekräftigte der CDU-Politiker, dass die Lockerungen konform seien mit den geltenden Beschlüssen von Bund und Ländern. Auch wenn in diesen eigentlich nur von «ausgewählten Regionen» die Rede ist, und nicht gleich von ganzen Bundesländern.

Viele Saarländer freut es trotzdem. Am Öffnungstag sind die Testzentren gut besucht. Die Café-Terrassen wohl nur wetterbedingt eher weniger: In einem beliebten Saarbrücker Restaurant an der Flusspromenade ist ein Fernsehteam zunächst der einzige Gast, bis sich eine unerschrockene ältere Dame doch noch an einen der leeren Tische traut. Der vorgezeigte Schnelltest und ein ausgefülltes Formular mit Personalien ist die Voraussetzung für den Kaffee unter Hagel-Körnern. «Wir hoffen, dass wir so wenigstens ein wenig arbeiten können», sagt eine junge Kellnerin.

Dennoch: Die Verunsicherung ist groß. Wie der Hotel- und Gaststättenverband in der Region per Umfrage ermittelt hat, wollen knapp 60 Prozent der Mitglieder mit einer Öffnung noch warten: Weil es sich wirtschaftlich nicht lohne oder aus organisatorischen Gründen, heißt es. Auch in den Kultureinrichtungen ist die Lage durchwachsen. Während Theaterkarten schon am Dienstagvormittag vergriffen sind, bleiben Kinos teilweise geschlossen. In den Fitnessstudios herrschte am Dienstag vielerorts Erleichterung und Vorfreude aufs Training.

Während das Saarland wieder öffnet, werden in Berlin die Rufe nach einem sofortigen Lockdown lauter. Die Inzidenzwerte steigen, Wissenschaftler warnen vor überlasteten Krankenhäusern und anderen Folgen der dritten Pandemiewelle. Tobias Hans bekommt heftigen Gegenwind - auch aus der eigenen Partei.

Erst kürzlich machte Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Talk-Sendung «Anne Will» deutlich, dass sie Öffnungen zu diesem Zeitpunkt für den falschen Weg hält. Am Ostermontag forderte dann der zunächst ebenfalls von der Kanzlerin gerügte CDU-Chef Armin Laschet einen «Brücken-Lockdown», der so schnell wie möglich greifen müsse. Außerdem müssten die für kommenden Montag angesetzten Bund-Länder-Beratungen über das weitere Vorgehen in der Pandemie vorgezogen werden, forderte Laschet - und traf dabei auf ein geteiltes Echo.

Aus dem Saarland kam am Dienstag keine Unterstützung für den Parteichef. Ein Vorziehen der Bund-Länder-Runde hält Hans nicht für angezeigt.

Indes äußerte sich der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach am Dienstag besorgt über das Vorgehen im kleinsten Flächenland. Lockerungen seien in der verschärften Pandemie-Situation ein falsches Signal, nötig sei vielmehr ein «harter Lockdown» mit mehr staatlichen Beschränkungen, sagte er im RTL/ntv-«Frühstart».

Steigende Inzidenzzahlen und die Sorge, alle Lockerungsmaßnahmen würden wieder zurückgenommen, beschäftigen auch viele Menschen im Saarland. Die Wirtin einer Saarbrücker Traditionskneipe spricht von einem «Damoklesschwert», das über den Gastwirten schwebe.

Ganz unberechtigt ist diese Sorge nicht: Die Öffnungen sind nach dem Beschluss der Regierung erst einmal nur bis zum 18. April angesetzt und in dieser Form nur erlaubt, solange die Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern binnen einer Woche, stabil unter 100 liegt. Steigt die Inzidenz an drei Tagen über 100, greift ein Ampelsystem - mit einer dann ausgeweiteten Testpflicht (gelb) unter anderem für den Einzelhandel. Wenn eine Überlastung des Gesundheitswesens droht, soll die Notbremse (rot) gezogen werden: Die Öffnungen werden kassiert, es folgt ein Lockdown. Wann und wie genau, ist unklar. Es gebe für das Greifen der Notbremse keine festen Obergrenzen, man analysiere die Lage täglich, heißt es aus der Staatskanzlei. Am Dienstagabend lag der Inzidenzwert im Saarland bei 77,8. (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Bei der Deutschen Bahn drohen im kommenden Jahr mehrtägige Streiks mit Tausenden Zugausfällen. Die Mitglieder der Lokführergewerkschaft GDL haben per Urabstimmung den Weg für unbefristete Arbeitskämpfe freigemacht, wie GDL-Chef Claus Weselsky am Dienstag mitteilte.

In den Tarifverhandlungen der Brandenburger Hotels und Gaststätten haben sich die Parteien schnell auf einen Lohnzuwachs für die Beschäftigten geeinigt. Doch der Dehoga rechnet im kommenden Jahr mit zahlreichen Pleiten.

Auf den 184 Seiten des schwarz-roten Koalitionsvertrages bekennt sich die neue Landesregierung in Hessen zur Bedeutung des Wirtschaftsfaktors Tourismus. Dies gebe den hessischen Betrieben wieder etwas mehr Zuversicht, kommentiert der Dehoga.

Sie liefern Essen und Lebensmittel, Pakete oder fahren Menschen durch die Stadt: Aber wann sind Mitarbeiter von Onlineplattformen noch selbstständig und wann Angestellte? Darüber gibt es oft Streit. Ein neues EU-Gesetz könnte Millionen betreffen und mehr Klarheit bringen.

Nach tagelangen Verhandlungen haben die Spitzen der Ampel-Koalition eine Einigung über den Bundeshaushalt für 2024 erzielt. Vieles wird teurer werden, mancher Zuschuss des Staates gekürzt oder gestrichen. Die reduzierte Gastro-Mehrwertsteuer fand keine Erwähnung und dürfte damit Ende des Jahres Geschichte sein.

Die Spitzen der Ampel-Koalition streben offenbar eine Kerosinsteuer für innerdeutsche Flüge an. Die Luftverkehrswirtschaft zeigte sich wenig begeistert davon: Die staatlichen Standortkosten seien bereits jetzt die höchsten im europäischen Vergleich.

Verbraucherinnen und Verbraucher in der EU sollen die Ursprungsländer eines Honigs nach dem Willen des Europaparlaments künftig auf dem Etikett nachlesen können. Für ein Verbot von irreführenden Aufschriften auf Fruchtsäften gab es hingegen keine Mehrheit.

Im Tarifstreit bei der Deutschen Bahn hält die Lokführergewerkschaft GDL ihre Streikdrohung aufrecht. «Ab dem 8. Januar sollte man mit längeren Arbeitskämpfen rechnen», sagte der Vorsitzende Claus Weselsky der «Augsburger Allgemeinen».

Die Spitzen der Ampel-Koalition haben nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur eine Einigung über den Bundeshaushalt für 2024 erzielt. Details sollen im Laufe des Tages bekanntgegeben werden, wie die dpa am Mittwochmorgen erfuhr

Die Mehrwertsteuererhöhung von sieben auf 19 Prozent auf Speisen wird gravierende Folgen für die Gastgeber haben. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des DEHOGA Bundesverbandes: 62,7 Prozent der befragten Unternehmer geben an, dass sie die Steueranhebung auf 19 Prozent zum 1. Januar 2024 wirtschaftlich hart treffen wird. Neun von zehn Unternehmen planen Preissteigerungen.