Kritik und Lob von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften zur Grundrente

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Wirtschaftsverbände haben die Einigung der Koalitionsspitzen zur Grundrente kritisiert. Der Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, sagte der Deutschen Presse-Agentur am Montag: «Die Grundrente der Großen Koalition bedeutet den Dammbruch in der Rentenversicherung: weg von der Lohnleistungsrente, hin zu immer mehr beitragsunabhängigen Leistungen, die aus Steuermitteln finanziert werden.»

Ohoven sagte, er halte es für äußerst bedenklich, angesichts der drohenden Rezession die Finanzierung immer neuer sozialer Wohltaten dem Steuerzahler aufzubürden. Deutschland müsse gerade in Zeiten des Abschwungs als Standort wettbewerbsfähig bleiben. «Dazu gehört, dass die Sozialbeiträge die 40-Prozent-Marke nicht überschreiten dürfen. Die Grundrente stellt zudem kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Altersarmut dar.»

Um das Leistungsniveau trotz des demografischen Wandels zu stabilisieren, seien ein flexibles Renteneintrittsalter und Anreize für zusätzlichen Verdienst im Alter erforderlich, so Ohoven. «In den nächsten zehn Jahren werden die geburtenstärksten Jahrgänge in Rente gehen. Schon deswegen braucht es eine grundlegende Reform der Rentenversicherung. Dafür fehlt der GroKo offenkundig die Kraft.»

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer warnte die Union nach der Grundrenten-Einigung vor weiteren Zugeständnissen an die SPD. «Die Union muss irgendwann auch den Konflikt mit der SPD aushalten und darf sich nicht nur deshalb immer mehr auf sozialdemokratische Politik einlassen, weil sonst der Koalitionsbruch droht», sagte Kramer dem «Handelsblatt». Den Fortbestand der Koalition sieht der Arbeitgeberpräsident trotz der Grundrenten-Einigung auf der Kippe: «Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 50 Prozent oder mehr, dass sich die Regierungsverhältnisse irgendwann zwischen November und Februar ändern, dass wir eine neue Koalition, eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen bekommen.»

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) dagegen begrüßt den Kompromiss, den die Bundesregierung nach zähem Ringen bei der Grundrente gefunden hat. „Das ist ein wichtiger Beitrag für die Anerkennung der Lebensleistung von 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen und sorgt für mehr Gerechtigkeit im Rentensystem“, hat der NGG-Vorsitzende Guido Zeitler gesagt.

Vor allem Frauen und Ostdeutsche mit niedrigem Einkommen, die beispielsweise im Gastgewerbe oder im Bäckerhandwerk jahrzehntelang hart gearbeitet haben, würden jetzt von einer Rente oberhalb der Grundsicherung profitieren.

„Das Modell ist ein wichtiger Beitrag für mehr Gerechtigkeit im Rentensystem. Es würdigt die Leistung derer, die ein Leben lang in die Rentenkasse eingezahlt haben und verhindert ein Ausufern der Altersarmut“, betont der NGG-Vorsitzende. (Mit Material der dpa)

Mehr Geld im Alter - Wie die Grundrente funktionieren soll

Reinigungskräfte, Friseurinnen, Lagerarbeiter, Hotelangestellte - Millionen Menschen verdienen zu wenig für eine auskömmliche Rente. Die Grundrente soll helfen. Doch die Berechnung ist kompliziert.

Die wichtigsten Fragen im Überblick:

Wer soll die Grundrente bekommen?

1,2 bis 1,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner, davon rund 85 Prozent Frauen, viele Ostdeutsche. Der Rentenaufschlag zielt auf Niedrigverdiener in Voll- oder Teilzeit, die im Alter nur eine geringe Rente bekommen.

Was ist die erste Bedingung für den Bezug von Grundrente?

Mindestens 35 Jahre mit Beiträgen zur Rentenversicherung - aus Beschäftigung, Kindererziehung und Pflege von Angehörigen. Auch wer knapp darunter liegt, soll Grundrente bekommen, Details hierzu sind noch offen. Der Rentenaufschlag soll fließen, wenn jemand 35 Jahre Beiträge geleistet hat, die im Schnitt einem Wert zwischen 30 und 80 Prozent des Durchschnittseinkommens entsprechen.

Wie wird die Grundrente berechnet?

Mit der Grundrente werden die Entgeltpunkte aufgewertet, mit denen die Rente insgesamt errechnet wird. Ein Durchschnittsverdiener bekommt pro Jahr einen solchen Punkt, und für jeden Punkt gibt es derzeit im Westen 33,05 Euro Rente und im Osten 31,89 Euro. 30 bis 80 Prozent des Durchschnittseinkommens entsprechen 0,3 bis 0,8 Entgeltpunkten im Jahr. Grundrente bedeutet nun, dass die Entgeltpunkte bei all jenen erhöht werden, die im Schnitt der 35 Jahre nur zwischen 0,3 und 0,8 Punkte pro Jahr angesammelt haben. Genaugenommen werden sie für 35 Jahre verdoppelt, allerdings nur auf maximal 0,8 Punkte pro Jahr. Der so berechnete Rentenaufschlag wird dann aber in einem weiteren Schritt verringert, um 12,5 Prozent - das soll gewährleisten, dass jene, die mehr eingezahlt haben, auch mehr herausbekommen.

Was bedeutet das zum Beispiel?

Eine Friseurin mit 40 Jahren Lohn auf einem Niveau von 40 Prozent des Durchschnitts kommt im Schnitt auf 0,4 Entgeltpunkte pro Jahr. Die monatliche Rente beträgt 528,80 Euro. Der nach dem beschrieben Verfahren errechnete Grundrenten-Zuschlag liegt bei 404,86 Euro. Insgesamt kommt die Frau also auf 933,66 Euro. In vielen Fällen dürfte der Zuschlag aber deutlich darunter liegen.

Bekommen alle nach diesem Muster die Grundrente?

Nein - denn vorher greift die Einkommensprüfung. Um den vollen Rentenaufschlag zu erhalten, darf das monatliche Einkommen nicht über 1250 Euro bei Alleinlebenden, bei Paaren über 1950 Euro liegen. Maßgeblich ist das zu versteuernde Einkommen, hinzugerechnet werden der steuerfreie Anteil der eigenen Rente und Kapitalerträge. Aber es soll nicht so sein, dass bei 1251 Euro auf einen Schlag gar keine Grundrente mehr fließt. Über diesen Grenzen liegende Einkommen werden bis zu einem noch festzulegenden Prozentsatz auf die Grundrente angerechnet. Konkret: Bei einem Einkommen bis 1300 Euro und einem Grundrentenanspruch von 60 Euro werden 50 Euro des Einkommens angerechnet. Falls dies beispielsweise zu einem Prozentsatz von 40 Prozent geschieht, würde der Rentenaufschlag um 20 auf 40 Euro sinken.

Muss man die Grundrente beantragen?

Nein. Sie soll automatisch durch die Rentenversicherung berechnet werden. Die nötigen weiteren Daten für die Einkommensprüfung sollen von den Finanzämtern kommen. Dazu muss ein entsprechender Datenaustausch neu aufgebaut werden. «Das ist voraussetzungsvoll, das ist neu, dass wir diesen Datenaustausch organisieren, und das ist auch ambitioniert», sagt Heil. Warnungen, nach denen Tausende neue Stellen bei der Rentenversicherung gebraucht würden, wies er aber zurück. Noch offen ist, wie die Erfassung von Kapitalerträgen bei der Einkommensprüfung funktionieren soll, da die Abgeltungssteuer für Kapitalerträge von den Banken automatisch an die Finanzämter überwiesen wird.

Müssen Grundrenten-Bezieher um ihr Wohngeld fürchten?

Ein Freibetrag soll dies weitgehend verhindern. Bei der Festsetzung des Wohngelds - ein staatlicher Zuschuss zur Miete für Bedürftige - soll die Grundrente also nicht voll als Einkommen angerechnet werden. Bereits geregelt ist, dass das Wohngeld alle zwei Jahre an die Miet- und Einkommensentwicklung angepasst wird.

Wie groß ist eigentlich die Altersarmut in Deutschland?

Rund 559 000 Menschen bekamen zuletzt Grundsicherung im Alter. Allerdings dürften deutlich mehr Menschen Anspruch auf Hilfe vom Sozialamt haben, aber den Gang zum Amt scheuen - die Zahl könnte laut Schätzungen drei Mal so hoch liegen. Jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte arbeitete zuletzt bundesweit zu einem Niedriglohn - und sammelt damit nur wenig Rentenpunkte.

Was ist, wenn man zu wenig verdient hat für Grundrente?

Das Alterseinkommen soll trotzdem oberhalb der Grundsicherung liegen - sorgen soll dafür ein Freibetrag für jene, die 35 Jahre Beiträge gezahlt haben. Also: Ihre Mini-Rente soll nicht mehr komplett bei der Ermittlung des ihnen zustehenden Betrags aus der Grundsicherung berücksichtigt werden. Der Freibetrag soll individuell berechnet werden und höchstens 212 Euro betragen. Rund 200 000 Menschen sollen davon profitieren. Der Freibetrag soll rund 400 Millionen Euro kosten. Dadurch, dass Menschen mit der Grundrente aus der Grundsicherung herauskommen, soll diese allerdings auch um 200 Millionen Euro entlastet werden.

Wie teuer wird die Grundrente insgesamt?

Bis zu 1,5 Milliarden Euro im Startjahr 2021. Der Großteil des Geldes soll über eine Steuer hereinkommen, die es noch gar nicht gibt, nämlich die Finanztransaktionssteuer. Vereinbart sei nun, dass diese rechtzeitig zum 1. Januar 2021 kommt, hieß es.

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