Merkel sichert Soforthilfe zu - Gigantische Schäden nach Unwetter

| Politik Politik

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat binnen weniger Tage zum zweiten Mal die Hochwassergebiete in der Eifel besucht und den Betroffenen unbürokratische Soforthilfe zugesagt. Man werde alles daran setzen, «dass das Geld schnell zu den Menschen kommt», sagte die CDU-Politikerin am Dienstag in der stark vom Hochwasser beschädigten Stadt Bad Münstereifel. «Ich hoffe, dass das eine Sache von Tagen ist.»

Immer deutlicher treten die Schäden an der Infrastruktur zutage - mit zerstörten Straßen, Bahngleisen, Brücken, Mobilfunkmasten, Strom-, Gas- und Trinkwasserleitungen. Nach Angaben der Deutschen Bahn haben die Wassermassen allein sieben Regionalstrecken in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz so stark beschädigt, dass man sie neu bauen oder umfangreich sanieren müsse. Gleise auf rund 600 Kilometern seien betroffen.

Am Dienstag wurde zudem die Befürchtung laut, dass sich bei den Aufräumarbeiten in den Katastrophengebieten verstärkt Corona-Infektionen ausbreiten könnten. Gleichzeitig ging die Debatte um den Katastrophenschutz in Deutschland weiter. Es geht dabei um die Kritik, dass Warnungen der Meteorologen die Menschen vor Ort zu spät erreicht hätten. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sprach sich dafür aus, Betroffene künftig per SMS zu warnen.

Scheuer plädierte außerdem dafür, Gemeinden und Länder bei Behelfsbrücken finanziell zu entlasten, wie aus einem Schreiben von ihm an Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hervorging. Es sei davon auszugehen, dass mindestens 20 Behelfsbrücken in den vom Unwetter betroffenen Regionen errichtet werden müssten, um den Straßenverkehr wieder normalisieren zu können.

Merkel sagte, die Wiedererrichtung etwa von Straßen und Bahnstrecken werde länger als ein paar Monate dauern. Es sei sehr klar, «dass wir hier einen sehr langen Atem brauchen werden». Sie sah sich in Bad Münstereifel eine Halle mit gespendeten Hilfsgütern an und verschaffte sich bei einem Gang durch das im Kreis Euskirchen im Süden Nordrhein-Westfalens gelegene Städtchen einen eigenen Eindruck. Begleitet von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sprach sie mit Helfern und Bürgern.

Merkel war am Sonntag bereits in Rheinland-Pfalz gewesen und hatte sich dort mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) informiert. In Nordrhein-Westfalen war tags zuvor der Bundespräsident zu Besuch: Frank-Walter Steinmeier hatte sich die Situation im vom Hochwasser zerstörten Erftstadt angeschaut. Dort hatte im Stadtteil Blessem ein gewaltiger Erdrutsch Straßen und Häuser mitgerissen.

In Blessem ist die Situation weiter angespannt. Es gebe eine Sicherheitszone von 100 Metern rund um die Abbruchkante, hieß es am Dienstag vom Rhein-Erft-Kreis. Diese dürfe nicht betreten werden, vor allem an der Abbruchkante bestehe weiter «akute Lebensgefahr». Dennoch sollen viele Bewohner und Bewohnerinnen zumindest zeitweise in ihre Häuser zurückkehren dürfen, um ihr Hab und Gut zu sichern.

Von Deutschlands größtem Entsorgungsunternehmen, Remondis, hieß es, allein in Erftstadt seien nach dem Unwetter bis Dienstag 1400 Tonnen Sperrmüll abtransportiert worden. Ein Ende ist - wie auch für die Abfallentsorger andernorts - nicht absehbar.

Die Zahl der Todesopfer war bis Dienstag auf mindestens 170 gestiegen: Aus Rheinland-Pfalz wurden 122 und aus NRW 48 Unwetter-Tote bestätigt. Auch am Dienstag wurden noch Menschen vermisst - allein 155 im Kreis Ahrweiler im Norden von Rheinland-Pfalz. Rund 40 000 Menschen galten dort als betroffen von den Folgen des verheerenden Hochwassers. Es sei eine «ungeheure große Zahl von Menschen» auf einer «ungeheuren Fläche», sagte der Leiter des Krisenstabes des Landes Rheinland-Pfalz, Thomas Linnertz.

Für die Katastrophengebiete wird nun teils befürchtet, dass sich bei den Hilfsaktionen und bei der Unterbringung in Notunterkünften verstärkt Corona ausbreiten könnte. «Derzeit kommen viele Menschen auf engstem Raum zusammen, um die Krise gemeinsam zu bewältigen. Wir müssen jetzt aufpassen, dass die Bewältigung der Katastrophe nicht zu einem Superspreader-Event wird», sagte David Freichel vom Corona-Kommunikationsstab der Staatskanzlei in Rheinland-Pfalz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Landesregierung und Kreisverwaltung schickten im Ahrtal am Dienstag einen Impfbus los, in dem sich Bewohner der Region ohne Anmeldung impfen lassen können.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte davor, Flutopfer in Sammelunterkünften unterzubringen. «Es wäre fatal, wenn die ohnehin dramatische Situation in den Hochwasserregionen durch massenhafte Infektionen mit der Delta-Variante zusätzlich erschwert würde», sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Die Sieben-Tage-Inzidenz - also die Zahl der binnen einer Woche erfassten Neuansteckungen pro 100 000 Menschen - lag in den von der Unwetterkatastrophe besonders betroffenen Eifel-Regionen am Dienstag allerdings recht niedrig. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab den Wert für den Kreis Ahrweiler mit 3,8 an, im Rhein-Erft-Kreis lag er ebenfalls bei 3,8 und im Kreis Euskirchen bei 3,6.

Für die Menschen in den Flutgebieten gilt es weiter, Schlamm und Trümmer beiseitezuschaffen. Wie ernst die Situation teils immer noch ist, zeigte sich etwa in der Eifel-Gemeinde Echtershausen nahe Bitburg, die nach wie vor nur über einen Waldweg erreichbar war. Die einzige Straße in den Ort mit rund 100 Einwohnern sei von den Wassermassen zerstört worden, sagte der Brand- und Katastrophenschutzinspekteur Willi Schlöder. Im Eifelkreis Bitburg-Prüm (Rheinland-Pfalz) gebe es noch keine Entspannung. Fortschritte wurden rund 30 Kilometer südöstlich aus dem Örtchen Kordel im Kreis Trier-Saarburg gemeldet. Die meisten Trümmer seien dort entfernt, sagte ein Polizeisprecher.

Hinzu kommen noch ganz andere Probleme: Nach Polizei-Angaben geben sich in den Katastrophengebieten in Rheinland-Pfalz Rechtsextremisten als «Kümmerer vor Ort» aus. «Wir haben die Lage in Bezug darauf genauestens im Blick (...)», schrieb die Polizei Koblenz auf Twitter. Auch Plünderer machten den Menschen mancherorts weiter zu schaffen.

Unwetter hatten am Wochenende auch Teile Bayerns getroffen. Im südöstlichen Landkreis Berchtesgadener Land kam es in einigen Orten rund um Watzmann und Königssee zu Erdrutschen und Überflutungen. 50 Millionen Euro Soforthilfe sollen die dortigen Hochwasseropfer vom Land erhalten.

In Belgien gab es am Dienstag einen Staatstrauertag, um der Opfer der Hochwasserkatastrophe zu gedenken. Menschen im ganzen Land legten eine Schweigeminute ein. König Philippe hielt eine Ansprache und dankte den Helfern. In Belgien liegt die Zahl der Unwetter-Toten nach offiziellen Angaben bei mindestens 31.

In der Debatte um mögliche Versäumnisse beim Katastrophenschutz in Deutschland warnten mehrere Politiker und Verbände davor, zu früh mit der Aufarbeitung zu beginnen oder Schuldzuweisungen vorzunehmen. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Burkhard Jung, forderte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe «nach der akuten Nothilfe eine glasklare Analyse» dessen, was für die Zukunft aus der Unwetterkatastrophe zu lernen sei. Als Beispiel nannte er «Konsequenzen für die künftige Kommunikation bei Extremwetter».

Nach Ansicht von Scheuer sollen Warnungen in Zukunft per SMS erfolgen. «Ich bin dafür, dass wir diese Push-Nachrichten auch über die Mobilfunkanbieter beim Bürger ankommen lassen», sagte der CSU-Politiker am Dienstag im «Bild live»-Polittalk. Merkel sagte in Bad Münstereifel: «Vielleicht ist die gute alte Sirene nützlicher als man gedacht hat.»

Nach recht sommerlichen Tagen, die Hoch «Dana» bringt, erwartet der Deutsche Wetterdienst (DWD) den nächsten Wetterumschwung zum Wochenende. Von der Nacht zum Samstag setzt sich den Angaben zufolge vom Südwesten aus wieder zunehmend wechselhaftes Wetter mit lokal kräftigen Schauern und Gewittern durch. (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Praxen seien als «Verfolgungsbehörden der Arbeitgeberverbände denkbar ungeeignet», schimpft der Präsident des Kinderärzteverbandes. Er verlangt, Ärzte bei Attesten und Bescheinigungen zu entlasten.

Für die Zeit der Fußball-EM hat das Bundeskabinett eine sogenannte „Public-Viewing-Verordnung“ beschlossen. Sie ermöglicht den Kommunen, Ausnahmen von den geltenden Lärmschutzregeln zuzulassen. Vergleichbare Verordnungen hatte es bereits bei früheren Fußball-Welt- und Europameisterschaften gegeben.

Die Institutionen der Europäischen Union haben sich am 15. März im sogenannten Trilog-Verfahren auf eine Verpackungs- und Verpackungsabfallverordnung (Packaging and Packaging Waste Regulation - PPWR) geeinigt. Der Umweltausschuss (ENVI) und das Plenum des Europäischen Parlamentes werden die Einigung voraussichtlich noch im April annehmen.

Einigung im Tarifstreit zwischen der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL: Insbesondere bei der 35-Stunden-Woche macht der Konzern weitgehende Zugeständnisse. Weitere Streiks sind damit vom Tisch.

Der Bundesrat hat in seiner heutigen Sitzung dem Wachstumschancengesetz zugestimmt und damit einen Kompromissvorschlag des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat vom 21. Februar 2024 bestätigt. Der DEHOGA stellt klar, dass aus Sicht des Verbandes die Inhalte des Wachstumschancengesetzes nicht ausreichen.

Arbeitgeber sollen die Bedingungen ihrer Arbeitsverträge nach dem Willen der Ampel-Koalition künftig nicht mehr in Papierform mit Unterschrift an künftige Mitarbeiter aushändigen müssen. Ein entsprechender Passus soll in den Gesetzentwurf zur Bürokratieentlastung eingefügt werden.

Vor dem Hintergrund des schwierigen Konjunkturumfelds und einer hartnäckigen Schwächephase des deutschen Mittelstandes mahnt die Arbeitsgemeinschaft (AG) Mittelstand​​​​​​​ von der Wirtschaftspolitik dringend Maßnahmen zur Stärkung der Wachstumskräfte an.

Die Bürokratie in Deutschland ist immens. Die Bundesregierung kündigt mit großen Worten eine Entrümpelung an. Der DEHOGA sagt: Das reicht noch lange nicht. Der Verband sagt, dass insgesamt immer noch viel zu wenig Bürokratieentlastung im Betriebsalltag der Unternehmen ankomme.

Bund und Länder haben sich, wie insbesondere von den Steuerberatern gefordert und vom DEHOGA unterstützt, auf eine letztmalige Fristverlängerung für die Schlussabrechnung bei den Coronahilfen bis Ende September 2024 geeinigt, sofern eine Fristverlängerung bis zum 31. März 2024 beantragt und bewilligt wurde.

In Berlin arbeiten viele Menschen unter prekären Bedingungen, sagen Fachleute. Häufig nutzen ihre Chefs schamlos aus, dass sie kein Deutsch sprechen oder sich illegal hier aufhalten. Einen Schwerpunkt dabei bilde laut Hauptzollamt das Gastgewerbe.