Besser direkt kündigen? Was tun, wenn der Arbeitgeber insolvent ist?

| Zahlen & Fakten Zahlen & Fakten

Oft gab es bereits Anzeichen, mitunter kommt es für die Beschäftigten aber auch unerwartet: Die Firma ist zahlungsunfähig, sie hat Insolvenz beim zuständigen Amtsgericht angemeldet.

Doch was bedeutet das eigentlich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ändert sich, wenn der Arbeitgeber Insolvenz anmeldet?

Bis das Amtsgericht als Insolvenzgericht über den Insolvenzantrag entschieden hat, bestellt es für die jeweilige Firma einen vorläufigen Insolvenzverwalter. «Der Regelfall ist in der Praxis die Bestellung eines sogenannten "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalters, dem das Insolvenzgericht bestimmte Verfügungsbefugnisse einräumen kann», sagt Daniel Stach, Arbeitsrechtler bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.

Dann ändert sich bis zum Eröffnungsbeschluss für die Beschäftigten nichts - es sei denn, dem «schwachen» vorläufigen Insolvenzverwalter wird ausnahmsweise eine gerichtliche Einzelermächtigung für arbeitsrechtliche Angelegenheiten erteilt. Das kommt aber nur selten vor.

Wird hingegen ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet und ein sogenannter «starker» vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, gehen die Befugnisse des Arbeitgebers vollständig auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über.

Wichtig zu wissen: «Der Insolvenzantrag verändert erst einmal noch gar nichts am Arbeitsverhältnis», sagt der Offenburger Fachanwalt für Arbeitsrecht Jürgen Markowski. Der Arbeitsvertrag ist weiter gültig, es besteht weiterhin die Pflicht, die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen.

«Zu empfehlen ist aber, sich selbst eine Aufstellung zu machen über alle geldwerten Ansprüche, die bis zum Zeitpunkt des Antrages gegen den Arbeitgeber entstanden waren und noch nicht erfüllt sind», so Markowski.

Was passiert mit meinem Anspruch auf Lohn?

Ausstehende Gehaltszahlungen aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung muss der Arbeitgeber nicht mehr bezahlen, er ist ja insolvent. Diese Ansprüche sind zur Insolvenztabelle anzumelden. Ist nach Abschluss des Insolvenzverfahrens noch Vermögen übrig, wird es nach einer Quote auf die Insolvenzgläubiger verteilt. Zu ihnen gehören auch die Beschäftigten. Um die eigenen Forderungen anmelden zu können, bekommen Betroffene zumeist ein Anschreiben vom zuständigen Insolvenzverwalter.

Zudem gilt: «Beschäftigte sollten möglichst umgehend nach Bekanntwerden der Insolvenz Insolvenzgeld bei der zuständigen Agentur für Arbeit beantragen», rät Arbeitsrechtler Stach. Hierfür müssen sie eine Insolvenzbescheinigung vorlegen, die sie beim Arbeitgeber oder beim Insolvenzverwalter anfordern können. In der Regel erhalten Arbeitnehmende Insolvenzgeld in der Höhe des Nettoverdienstes.

Bei drohender Arbeitslosigkeit ist es außerdem sinnvoll, sich frühzeitig bei der örtlichen Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden und Arbeitslosengeld zu beantragen. Das Arbeitslosengeld fließt schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn ein Arbeitsentgelt- oder Urlaubsabgeltungsanspruch besteht, der aktuell nicht realisierbar ist.

Wie lange fließt das Insolvenzgeld?

Insolvenzgeld gibt es für ausstehendes Arbeitsentgelt, maximal aber für drei Monate. «Das müssen nicht immer die letzten drei Monate vor der Insolvenzeröffnung sein», so Markowski.

In vielen Fällen ist das zwar so. Aber auch Arbeitnehmer, denen beispielsweise schon vier Monate vor der Insolvenzeröffnung kein Lohn mehr bezahlt worden ist und die dann gekündigt und den Ausstand gerichtlich eingeklagt haben, könnten den ausstehenden Lohn als Insolvenzgeld beantragen, so Markowski. Wenn wegen des Insolvenzereignisses keine Zahlung mehr erfolgt.

Für die Beantragung von Insolvenzgeld gibt es entsprechende Formulare auf der Website der Bundesagentur für Arbeit. Den Antrag können Betroffene dort schriftlich oder elektronisch innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach der Insolvenzeröffnung einreichen. «Häufig wird aber durch den Insolvenzverwalter für eine Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes gesorgt, so dass die Betroffenen nicht erst noch lange warten müssen, bis sie das Insolvenzgeld erhalten», sagt Markowski.

Muss man trotz Insolvenz weiter zur Arbeit kommen?

Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens an seine arbeitsvertraglichen Pflichten gebunden. «Auch bei größeren und längerfristigen Lohnrückständen sollte er nicht voreilig seine Arbeitsleistung zurückbehalten, bis die ausstehenden Lohnforderungen wieder ausgeglichen sind, sondern wohlüberlegt vorgehen», sagt Daniel Stach.

In Zweifelsfällen können sich Beschäftigte bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht oder ihrer zuständigen Gewerkschaft beraten lassen.

Muss man nach einer Insolvenz automatisch mit einer Kündigung rechnen?

«Nein, es gibt kein spezielles Kündigungsrecht aufgrund der Insolvenz an sich», sagt Jürgen Markowski.

Zeigt sich aber, dass das Unternehmen entweder gar nicht oder nur in einer geschrumpften Form nach einer Umstrukturierung fortzuführen ist, fallen Arbeitsplätze weg - das kann zu Kündigungen führen. Besteht ein Betriebsrat, dann muss mit diesem die Umstrukturierung verhandelt werden, auch in der Insolvenz. Zudem ist ein Sozialplan nach den Regeln der Insolvenzordnung abzuschließen. Erst dann kann es zu Kündigungen kommen.

Kann man das Arbeitsverhältnis früher als vorgesehen kündigen?

«Zwar können Beschäftigte unter bestimmten Umständen das Arbeitsverhältnis in der Insolvenz durch außerordentliche fristlose Kündigung vorzeitig beenden», sagt Daniel Stach von Verdi. Ob dies jedoch sinnvoll ist, stehe auf einem anderen Blatt.

In jedem Fall benötigten Arbeitnehmer hierfür einen wichtigen Grund, so Stach. Das Bundesarbeitsgericht nehme einen wichtigen Grund an, wenn Lohn in nicht unerheblicher Höhe aussteht. Gleiches gelte, wenn die sich die Lohnzahlung erheblich verzögert und der oder die Beschäftigte den Arbeitgeber zur Lohnzahlung gemahnt hat. Oder wenn die Mahnung ausnahmsweise entbehrlich war, weil klar ist, dass der Arbeitgeber sowieso nicht mehr zahlt.

Kann man weiterhin Urlaub nehmen?

Die Urlaubsansprüche bleiben erst einmal bestehen. «Bereits genehmigter Urlaub kann auch nicht einfach widerrufen werden», sagt Jürgen Markowski. Für alle Fragen rund um Urlaub ist dann der vorläufige Insolvenzverwalter oder der Insolvenzverwalter zuständig. Und: «Wer weiterarbeitet, erwirbt auch weitere Ansprüche auf Erholungsurlaub», so Daniel Stach von Verdi. (dpa)


Zurück

Vielleicht auch interessant

Im Gastgewerbe sind Praktika schon lange einer der wichtigsten Wege, um junge Leute für eine Ausbildung zu gewinnen. Auch branchenübergreifend finden 61 Prozent der Unternehmen ihre Auszubildende über Praktika. Eine neue Webseite bündelt jetzt alle Informationen.

Der Frust muss raus! Auf Bewertungsplattformen können Arbeitnehmer Arbeitgeber bewerten. Aber wie sieht es rechtlich aus? Ist es unbedenklich, solche Bewertungen im Netz zu verfassen? Und bleibt die Anonymität immer gewahrt?

Sie waren auf Dienstreise, mussten ein Werkzeug selbst kaufen oder haben das Geld für den Blumenstrauß zum Geburtstag des Kollegen vorgestreckt? Welche dieser Kosten erstattet der Arbeitgeber und wie bekomme ich dieses Geld zurück? Zwei Experten erklären, worauf Sie bei Spesen und Auslagen besonders achten müssen.

Sie waren auf Dienstreise oder haben was für die Arbeit gekauft, und bekommen das Geld vom Arbeitgeber erstattet? Wann Steuern anfallen und wie Erstattungen in der Steuererklärung angegeben werden.

Schon ein paar Infos zum Job genügen KI-Programmen wie ChatGPT, um binnen Sekunden ein ansprechendes Bewerbungsschreiben zu erstellen. Wie gehen Unternehmen damit um?

Im Jahr 2023 haben rund 479.900 Personen in Deutschland einen neuen Ausbildungsvertrag in der dualen Berufsausbildung abgeschlossen. Das waren zwar 2,1 Prozent mehr als im Jahr 2022, aber noch immer sechs Prozent weniger als vor der Corona-Pandemie.

Galeria-Investor Beetz ist zuversichtlich, den insolventen Warenhauskonzern wiederbeleben zu können. Die meisten Filalen sollen erhalten bleiben. Welche geschlossen werden, steht noch nicht fest.

Arbeitsunfälle passieren auch im Homeoffice. Zwar verschwimmen hier die Grenzen zwischen Job und Privatleben oft. Wann dann die Unfallversicherung greift und wann nicht, zeigt ein exemplarischer Fall.

E-Mail statt Brief für die Rechnung, Screensharing statt Ausdruck für das Meeting, QR-Code statt Papierticket für die Dienstreise – in deutschen Büros wird deutlich weniger gedruckt als noch vor fünf Jahren.

Es muss sich etwas ändern auf den Chefetagen: Die Führungskräfte, die heute über die Zukunft von Unternehmen entscheiden, sollen nicht einfach nur funktionieren. Sie müssen Vorbildfunktion repräsentieren. Kommunizieren statt regieren. Anpacken statt anpassen. Zuhören statt ständig senden. Doch die Entwicklung scheint gerade andersherum zu laufen. Gastbeitrag von Albrecht von Bonin.