Dry January - Vier Wochen Trockenzeit in Deutschland?

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«Für mich bitte nur Wasser – ich mach' Dry January!» Das hört man auf Partys und in Kneipen derzeit häufiger. Der «Trockene Januar», übernommen aus Großbritannien, hat für viele die Fastenzeit abgelöst. Der Jahresanfang bietet sich an, weil es traditionell die Zeit der guten Vorsätze ist und die Feiertage mit häufigem Anstoßen erst mal vorbei sind. 

Der Arzt und Fernsehjournalist Eckart von Hirschhausen (57) macht schon seit drei Jahren beim Dry January mit, zusammen mit seiner Frau. «Es fällt mir eigentlich überraschend leicht», erzählt er der Deutschen Presse-Agentur in Köln. «Alkohol hat ja sehr stark einen ritualisierten Charakter, zum Beispiel, um zu markieren: Jetzt ist Feierabend. Und dann trinkt man eben ein Bier oder ein Glas Rotwein zum Abendessen.» Er glaubt: Die Kunst besteht darin, ein anderes Ritual zu finden, das einem auch das Gefühl gibt, dass man sich etwas gönnt. 

Wird Deutschland trockengelegt? Das nun nicht gerade

So habe er mit seiner Frau neulich auf seine letzte Samstagabendshow angestoßen - «mit einem sehr eleganten, prickelnden Getränk aus einer schicken Sektflasche, aber mit 0,0 Prozent Alkohol, aromatisch mit Teeauszügen, Früchten, wirklich lecker. Und alkoholfreies Bier ist so viel besser geworden.» 

Hirschhausen hat am 18. Januar zum letzten Mal «Was kann der Mensch?» moderiert, ist aber am kommenden Montag (27.1.) zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr mit der WDR-Doku «Hirschhausen und die Macht des Alkohols» im Ersten zu sehen. Auf den Bestsellerlisten wiederum ist der Wissenschaftsjournalist Bas Kast mit seinem neuen Buch «Warum ich keinen Alkohol mehr trinke» nach oben geschossen.

Es gibt noch nicht viele Daten dazu, in welchem Ausmaß der Dry January angenommen wird. Das Statistische Bundesamt hat auf der Basis von Scannerdaten aus dem Lebensmitteleinzelhandel allerdings ermittelt: Im Januar 2024 wurde fast 50 Prozent weniger Alkohol gekauft als im Dezember 2023. 

Insgesamt geht der Alkoholkonsum in Deutschland seit rund 40 Jahren zurück. Nach Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln ist der Verbrauch an Reinalkohol pro Kopf im Alter ab 15 Jahren von 15 Litern im Jahr 1980 auf 10 Liter im Jahr 2020 gesunken - wobei er 2022 wieder leicht höher lag, bei 10,6 Litern. 

Deutschland im Vergleich ein Hochkonsumland

Aber: «Trotz dieser positiven Entwicklung ist Deutschland im internationalen Vergleich ein Hochkonsumland und liegt über dem EU-Durchschnitt», sagt eine BZgA-Sprecherin. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung war der durchschnittliche Alkoholkonsum in Deutschland 2019 mehr als doppelt so hoch wie im weltweiten Durchschnitt.

Doch in letzter Zeit hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung etwas verändert. So hieß es vor noch gar nicht langer Zeit oft, ein tägliches Glas Rotwein zum Essen schade nicht, sondern beuge im Gegenteil Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor. Mittlerweile wird das anders gesehen. So hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung im vergangenen Jahr ihre Linie verändert und empfiehlt nun nicht mehr, geringe Mengen Alkohol zu trinken, sondern gar keinen Alkohol mehr: Es gebe keine potenziell gesundheitsfördernde und sichere Alkoholmenge für einen unbedenklichen Konsum, heißt es nun.

Auch Hirschhausen hat das eine Glas am Tag lange für unbedenklich gehalten. «Ich wollte es natürlich auch glauben», gibt er zu. «Aber Alkohol ist und bleibt ein Nervengift. Und was mich schon überrascht hat an den Studien, ist die Klarheit, mit der das Krebsrisiko benannt wird, das lange in der Öffentlichkeit überhaupt keine Rolle gespielt hat.» Eine Flasche Wein sei für das Brustkrebsrisiko einer Frau so schädlich wie zehn Zigaretten. «Ich finde, das sollte so klar aufs Etikett wie bei den Zigaretten.»

Wenn sich Politiker mit einem Bier in der Hand über Cannabis aufregen

Die Realität sieht jedoch so aus, dass man fast nirgendwo sonst so problemlos an Alkohol kommt wie in Deutschland - sogar nachts noch, an Tankstellen. Alkoholkonsum wird als Kulturgut überhöht: Besonders Bier gilt als typisch deutsch, das Münchner Oktoberfest prägt das Bild von Good Old Germany weltweit. 

Was Hirschhausen zum Lachen bringt: «Wir sehen jetzt im Bundestagswahlkampf regelmäßig Politiker, die sich mit einer großen Maß Bier in der Hand über Cannabis aufregen - dabei ist Alkohol, gemessen an dem angerichteten Gesundheitsschaden, ohne Zweifel die gefährlichste Droge der Welt. Und die Einzige, bei der man sich entschuldigen muss, wenn man sie nicht nimmt.»

Eine spannende neue Entwicklung ist für ihn: In der Generation der 20- bis 30-Jährigen trinke ein Drittel gar nicht mehr. «Gerade junge Frauen sagen heute oft sehr selbstbewusst: "Ich brauche das nicht. Mir fehlt nichts, wenn ich keinen Alkohol trinke. Im Gegenteil, ich weiß, dass ich schlechter schlafe, wenn ich getrunken habe, dass ich schlechter gelaunt bin."» In manchen Milieus mag der Verzicht auch Ausweis von Selbstdisziplin und sichtbares Zeichen für einen bewussten Lebensstil sein. 

Richtig aufregen kann sich Hirschhausen über das Konzept des «begleiteten Trinkens ab 14». Jugendliche dürfen in Deutschland nach Jugendschutzgesetz regulär vom 16. Geburtstag an Bier, Wein und Sekt kaufen sowie trinken. In Begleitung einer sorgeberechtigten Person ist das aber sogar schon ab 14 Jahren erlaubt - auch in Gaststätten oder in der Öffentlichkeit. «Dass wir just in der labilen Entwicklungsphase der Pubertät ganz systematisch an den Alkohol herangeführt werden, so als wäre der Rausch das entscheidende Kennzeichen fürs Erwachsenwerden, ist geradezu krank. Und da ist derjenige, der Nein sagt, schnell der Spielverderber.»

Hirschhausen selbst trinkt heute deutlich weniger als früher, will aber nicht völlig verzichten. Seine Faustregel lautet: Alkohol soll eine Ausnahme vom Alltag sein - keine Routine also, sondern immer etwas Besonderes. «Und ich würde mir wünschen, dass es viel normaler und akzeptierter wird, nicht zu trinken. Das fängt schon bei den Bezeichnungen dafür an.» Wie nennt man jemanden, der auf Alkohol verzichtet? Abstinenzler? Nicht-Trinker? «Das ist so uncool wie Nicht-Schwimmer, als hätte man es nicht bis zum Schwimmer geschafft!» (dpa)


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