Die deutsche Hotellerie steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Steigende Kosten, insbesondere durch den Mindestlohn, zwingen viele Betriebe zum Umdenken. Die Frage, ob persönlicher Service in Zukunft zu einem Luxusgut wird, wird in der Branche rege diskutiert.
Marco Nussbaum, CEO der HIAMO AG, beleuchtete in einem vielbeachteten LinkedIn-Beitrag die aktuellen Herausforderungen. Er wies darauf hin, dass der Mindestlohn bis 2027 um fast 50 Prozent steigen wird, während Hotelpreise diese Entwicklung kaum widerspiegeln könnten. Dies setze klassisch betriebene und kleinere Hotels zunehmend unter Druck. Für ihn ist klar: KI-basierte Prozesse und Automatisierung werden zur Notwendigkeit. Betreiber mit geringem Personaleinsatz, wie Numa oder limehome, könnten dadurch deutlich höhere Pachten zahlen. Auch flächeneffizienteres Bauen werde zur Kernkompetenz, um Kosten zu senken und die Rendite zu steigern.
Nussbaums Fazit ist deutlich: "Persönlicher Service wird in Zukunft zum Luxusgut. Die Hotellerie steht vor einem tiefgreifenden Strukturwandel, wer wirtschaftlich überleben will, muss neu denken. Nicht morgen. Jetzt."
Die Debatte: Zwischen Kostenexplosion und dem Wert menschlicher Nähe
Die Aussagen von Marco Nussbaum lösten eine rege Diskussion unter Branchenexperten und Hoteliers aus, die sich um die Vereinbarkeit von Wirtschaftlichkeit, Digitalisierung und dem Wunsch nach menschlicher Gastfreundschaft dreht.
Einige Kommentatoren hinterfragen den Fokus auf den Mindestlohn als Ausgangspunkt der Debatte. Richard J. Vogel, Consultant und ehemaliger CEO von Pullmantur Cruceros und TUI Cruises, betonte, dass viele Mindestlohnempfänger den direkten Kontakt zum Gast haben und die Visitenkarte des Unternehmens darstellen. Es sei unerlässlich, ihnen die notwendige Wertschätzung, auch finanziell, zukommen zu lassen. Marco Nussbaum präzisierte daraufhin seine Intention: Es gehe ihm darum aufzuzeigen, wie groß die Herausforderung für klassische Betriebe werde, faire Löhne dauerhaft erwirtschaften zu können, wenn Preis- und Kostenentwicklung auseinanderdriften. Roland Krüger von 1st SELECTION GmbH ergänzte, dass ausgebildete Fachkräfte nicht mit Mindestlohn bezahlt werden sollten, da gerechter Lohn die Motivation steigere und die Frage nach der Auskömmlichkeit eines Mindestlohns als Familieneinkommen im Raum stehe.
Die Rolle von Künstlicher Intelligenz und Automatisierung im Gastgewerbe war ein zentrales Thema. Thorsten Moennich, Hospitality & Service Industry Consultant, bemerkte, dass der Trend zur Automatisierung schon lange absehbar sei und Hoteliers, die jetzt erst über neue Betriebsmodelle nachdächten, wertvolle Zeit verschenkt hätten. Roland Schegg, Swiss Tourism Expert, bestätigte, dass das Gastgewerbe in puncto Produktivität im Vergleich zu anderen Branchen strukturell zurückliege, da es stark arbeitsintensiv sei und die persönliche Betreuung schwer zu skalieren. Er betonte, dass persönlicher Service dadurch zu einem echten Differenzierungsmerkmal werde. Marco Nussbaum stimmte zu, dass es um intelligente Kombinationen aus Technologie und Menschlichkeit gehe: Technologie solle entlasten, um Raum für echte Gastfreundschaft zu schaffen.
Besondere Sorge bereitet die Entwicklung kleineren Betrieben. Dirk Klein, Digitalisierungsbotschafter, wies darauf hin, dass diese oft kein eigenes Tech-Team haben und auf teure, wenig offene Softwarelösungen angewiesen seien. Marco Nussbaum pflichtete dem bei und forderte einfachere, modulare und bezahlbare Lösungen. Andere, wie Susanne Frankenhauser von TH-Experts, sehen hier jedoch Chancen, wenn die Bedürfnisse des Hotels und die Leistungen der Softwareanbieter richtig aufeinander abgestimmt werden. Thorsten Moennich hob hervor, dass gerade kleine Hotels mit KI eine riesige Chance hätten, wenn sie aktiver würden.
Hinsichtlich der Zukunft des persönlichen Services zeichnete sich ein differenziertes Bild ab. Oliver Thiele von T&T Hotel Consulting geht davon aus, dass es zukünftig beides geben wird: KI-basierte Prozesse für Geschäftsreisende, die Effizienz schätzen, und persönlichen Service für Privatreisende, bei denen das "Look & Feel" und individuelle Erlebnisse zählen. Er betonte, dass es am Management liege, sich mit den wachsenden Kostenstrukturen auseinanderzusetzen und alte Planungsgewohnheiten zu verlassen. Christoph Heinzle, Reporter beim NDR Info, bestätigte als langjähriger Hotelgast die unterschiedlichen Ansätze von effizienten Ketten bis hin zu umständlichen mittleren Hotels, die noch viel Potenzial zur Optimierung böten.
Hotelier Amir Ben Mansour sieht den täglichen Spagat zwischen steigenden Kosten und dem Wunsch der Gäste nach echtem Service. Er betrachtet persönliche Gastfreundschaft als USP: "Echte Erlebnisse, echte Menschen, echte Verbindungen: Das ist kein Kostenfaktor, das ist unsere Identität als Gastgeber." Sebastian Schauer, Experte für Hotelbau und -betreiber, ergänzte, dass jene, die KI nutzen, um persönlichen Service preiswert anbieten zu können, einen starken Wettbewerbsvorteil gegenüber vollautomatisierten Boardinghäusern haben werden. Götz Braake plädierte für eine optimale Gestaltung der Rahmenbedingungen, bei der beides angeboten wird und Service wirklich großgeschrieben wird. Er ist überzeugt, dass auch diese Menschen mit KI arbeiten werden, um möglichst effizient auf Gästewünsche eingehen zu können: "Es gibt kein entweder oder, sondern nur die optimale Gestaltung der Rahmenbedingungen."
Die Diskussion zeigt: Die Hotellerie ist sich des Wandels bewusst. Die Kernfrage bleibt, wie sich die Branche neu erfinden kann, um traditionelle Werte wie Gastfreundschaft mit den Anforderungen an Effizienz und Digitalisierung intelligent zu verbinden und gleichzeitig faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.