Es war einmal die Spontanität: Früher ging man in Deutschland einfach so ins Wirtshaus oder in die Gaststätte, bekam ohne Reservierung einen Platz, bestellte sein Gericht, hat recht zügig gegessen und am Ende (bar) gezahlt. Und heutzutage? Oft muss man in Großstädten lange vorher planen und reservieren, um einen Tisch zu bekommen. Die Gegenbewegung: sogenannte Walk-ins. Sprich: Auf Laufkundschaft zu setzen, scheint wieder «in» zu sein.
Das liegt wohl auch daran, weil einige Menschen die Reservierkultur mit No-shows (Nicht-Erscheinen) oder «Reservation Ghosting» (Plötzlich unerreichbar bei zuvor bekundetem Interesse) missbrauchen. Doch dazu später mehr.
«Uns war wichtig, einen Ort zu schaffen, der ohne Verpflichtungen auskommt», sagt der Gastronom Sören Zuppke. Er ist in Berlin einer der Betreiber angesagter Locations wie «Trio» und «Otto» und neuerdings vom «Pluto», das in Prenzlauer Berg eine Weinbar für Nachbarn, Freunde, Familie sein wolle, «ganz ohne Menüzwang oder lange Vorausplanung».
«Reservierungen würden dem Ganzen nur die Leichtigkeit nehmen»
Dass sie im «Pluto» keine Buchungsmöglichkeit anbieten und keine Zeitslots vergeben, erklärt Zuppke so: «Wir fühlen uns selbst sehr hingezogen zu offenen Orten, wo man einfach reinschneit – sei's für ein schnelles Glas und einen Teller Schinken oder für einen langen Abend mit mehreren Flaschen Wein. Jeder ist willkommen, ganz ohne Plan. Reservierungen würden dem Ganzen nur die Leichtigkeit nehmen.»
Ähnlich funktioniert in Berlin-Mitte in einem früheren Supermarkt auch das «Pinci», das sich Tagesbar nennt und etwa social-media-taugliches Trüffel-Toast serviert. Botschaft bei Instagram: «No Reservations».
Hier bildet sich auch schon mal eine längere Warteschlange, als gäbe es hier gerade das angesagteste Gericht des Internets, etwa viral gegangene Bagels, Pizzas, Tacos, Eisbomben oder irgendwelche gehypten Nudeln.
Die stylishen Lokale der Big-Squadra-Gruppe in München, Berlin und Hamburg («Giorgia», «Coccodrillo», «Edmondo») betonen, zwar mit Reservierungen zu arbeiten («Kalender öffnet 30 Tage im Voraus»), jedoch auch begrenzt verfügbar «Walk-in-Tische» bereitzuhalten.
An alledem zeigt sich, dass Gastronomie gerade in den Metropolen heute ziemlich anders funktioniert, als sie es in der Zeit vor dem Smartphone tat.
Bei aller Modernität können durchaus altmodische Lokale zum Tiktok-Trend werden. Gutes Beispiel sind etwa die Wiener Kaffeehäuser, in die Leute früher entspannt hineinspazierten, wenn sie - frei nach dem österreichischen Schriftsteller Alfred Polgar - zum Alleinsein Gesellschaft brauchten.