Erst letzte Woche hat Marko Seibold wieder eine Überraschung auf seinem Acker entdeckt. Noch winzig klein streckten sich Blätter vom roten Neuseeländischen Spinat aus der Erde. «Es ist Jahre her, dass wir den dort hatten», sagt der 53-Jährige. «Irgendwie haben sich die Samen im Boden gehalten und jetzt entschieden zu keimen. Es sind Hunderte Pflanzen, die da kommen. Das hat mich selbst erstaunt.»
Dabei ist es genau das, was Marko Seibolds Arbeit als Gärtner ausmacht: Auf einer Fläche von vier Hektar in Syke-Henstedt bei Bremen lässt er Wildkräuter einfach wachsen. Er sät nicht mehr, er düngt nicht, er wässert nicht. Geordnete Beete gibt es nicht. «Wenn die Kräuter von allein wachsen, ist das viel effizienter», begründet Marko Seibold. Er erntet Blätter, Knospen, Triebe, Blüten und manchmal auch Samen und Wurzeln von dem, was da ist: Süßdolde, Gewürzfenchel, Nachtkerze, Taubnessel oder Postelein.
«Unfassbare Intensität»
Seine Frischware ist bei Sternerestaurants in ganz Deutschland begehrt. Jedes Blatt, jeder Stängel wird per Hand geerntet. Seibold liefert seine Kräuter küchenfertig. «Die Köche müssen sie im Grunde nur noch auf den Teller legen», sagt er. Die Küchenteams setzen auf ihren kunstvoll angerichteten Tellern Akzente mit den Wildkräutern, die nach Lakritz, Erdnuss, Zitrone oder Champignon schmecken.
Unter den Kunden ist auch Thomas Imbusch, Küchenchef des Zwei-Sterne-Restaurants 100/200 in Hamburg. Wöchentlich bekommt er eine Lieferung. Er schätze die „unfassbare Intensität“ der Kräuter. „Das, was Marko Seibold in dieser Form macht, ist einzigartig“, schwärmt er.
Das Drei-Sterne-Restaurant «Schanz» in Rheinland-Pfalz ließ sich jüngst 500 Spitzen der Vogelmiere schicken. Andere wollen den roten Klee. «Der hat eine ganz tolle Säure», sagt Seibold. Gleich neben dem Hof hat er ein Waldstück gepachtet, dort erntet er frische Fichtenspitzen, Waldsauerklee oder Lindenblätter.
Von der schwäbischen Alb nach Niedersachsen
Marko Seibold kommt von der schwäbischen Alb, seinen Dialekt hat er auch nach mehr als 20 Jahren in Norddeutschland nicht abgelegt. In den idyllischen Ort Henstedt verschlug es ihn durch Zufall. Seine Frau und er suchten ein altes Bauernhaus und konnten dort günstig eins kaufen. «Mir ist es egal, wo ich bin. Ich bin immer der, der es anders macht», sagt er. Die Landwirte in der Nachbarschaft, auf deren Felder das Kraut regelmäßig weggespritzt wird, wundern sich im besten Falle schon lange nicht mehr über die Unordnung, die auf seinem Acker herrscht. Was nebenan auf den Feldern als Unkraut gilt, das sind bei Seibold wertvolle Pflanzen, die Lebensraum für Insekten und Genuss für Gourmets bieten.
Gärtner im Demeter-Betrieb gelernt
Seibold hat sein Metier von der Pike auf gelernt, er hat eine Ausbildung als Gärtner in einem Demeter-Betrieb absolviert. Zunächst baute er alte Gemüsesorten an, bis er sich schließlich nur noch auf Wildkräuter konzentrierte. Von Anfang an waren Restaurants seine Kunden. Geerntet wird frühmorgens, wenn der Tau noch auf den Pflanzen liegt. Dann wird die Ware in der Scheune zwischengelagert, die durch den alten Steinboden immer kühl ist. Abends wird sie in Schalen verpackt von einem Kurier abgeholt und per Express verschickt. Am nächsten Tag sind die Kräuter in den Küchen der Top-Restaurants.
Sorgen bereitet Marco Seibold zurzeit der fehlende Regen. «Bei der extremen Bodentrockenheit muss man in zwei Wochen schauen, ob tatsächlich was durch Bewässern gerettet werden muss», sagt er. Es wäre das erste Mal in 20 Jahren. Langfristig werden sich die Pflanzen durchsetzen, die sich mit Dürre arrangieren können, sagt er. So wie der Neuseeländische Spinat. «Dass ist eine super Pflanze, die verträgt auch Trockenheit.» Dass sie wild wächst, hat er allerdings noch nie erlebt. «Das ist das Beste, was passieren kann. Wenn sie selbst keimt, hat sie gute Chancen zu überleben.» (dpa)