Wie der Veggie-Trend im Osten ankommt

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Ob Würzfleisch, Soljanka oder Thüringer Bratwurst: Etliche Fleischgerichte aus der DDR-Zeit haben auch heute noch Kultstatus in Ostdeutschland. Vegetarische oder vegane Ernährung ist hier Erhebungen zufolge weitaus weniger verbreitet als im Westen. Sojaschnitzel oder Hafermilch haben einen schwereren Stand. Einzelhändler merken aber auch im Osten, dass der Markt für vegane oder vegetarische Ersatzprodukte angezogen hat. Fragt sich nur, wie lange der Hype überhaupt anhält - auch angesichts des Krieges.

Deutschlandweit waren die Wachstumsraten für den Veggie-Markt zuletzt immens: Einzelhändler berichten für 2021 von Umsatzsteigerungen im zweistelligen Prozentbereich. Laut Statistischem Bundesamt legte der Wert der produzierten Waren von 2019 auf 2020 um 37 Prozent zu. Mit rund 375 Millionen Euro war er aber immer noch hundert Mal niedriger, als der Wert aller in Deutschland produzierten Fleischprodukte.

Doch kommt der vorsichtige Trend zur Veggie-Wurst dennoch im Osten an? «Insgesamt und pauschal betrachtet ist die Nachfrage nach veganen Produkten im westlichen Teil unseres Absatzgebietes stärker als in Sachsen und Thüringen», teilt etwa Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka mit, der aber auch auf ähnliche Strukturen in Nordbayern verweist. In urbanen Zentren im Osten ziehe die Nachfrage jedoch an. Auch Rewe verzeichnete in seinem Vertriebsgebiet in Ostdeutschland für 2021 ein Umsatzplus «im höheren zweistelligen Prozentbereich» im Vergleich zum Vorjahr.

Zahlen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zufolge griff 2021 fast jeder Dritte in Westdeutschland öfters zu vegetarischen Alternativen von tierischen Produkten, im Osten nur jeder Fünfte. Der Anteil der Vegetarier und Veganer lag demnach im Westen bei 14 Prozent, im Osten bei neun Prozent.

Dass es diesen Unterschied gibt, hat für den Esskulturforscher Gunther Hirschfelder historische Gründe. «Fleisch wurde ab den 50er Jahren in der BRD und DDR gleichermaßen als Symbol für gesundes Leben, Kraft und auch Männlichkeit gesehen», sagt der Professor für vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg. In der BRD sei Fleisch in 1970er Jahren erst zögerlich, später aber immer vehementer skandalisiert worden. In der DDR hingegen habe die Führung versucht, trotz Mangelwirtschaft Fleisch weiter verfügbar zu halten. «Systeme, die unter Druck stehen und die autoritäre Züge haben, tun gut daran, einer Bevölkerung Sachen wie Fleisch und Alkohol zu lassen.»

Nach der Wende seien dann die jüngeren, innovativen Bevölkerungsgruppen, die eher den Vegetarismus vorangetrieben hatten, in den Westen gegangen. Übrig geblieben sei eine ältere und männlichere Bevölkerung mit eher geringerem Einkommen. Diese Faktoren begünstigten eher einen hohen Fleischkonsum. Dazu komme, dass im Osten die regionale Identität oft wichtiger sei als im Westen, weil sie stärker bedroht sei. «Und das führt dazu, dass man zu Traditionsprodukten eher steht.»

Wer herausfinden will wie es um den Veggie-Trend im Osten bestellt ist, kann im thüringischen 3000-Seelen-Städtchen Gößnitz an der Grenze zu Sachsen fündig werden. Dort machen Claudia und Uwe Lahl etwas, das man im Bratwurst-Bundesland nicht unbedingt erwarten würde: Veganen Räucherkäse. Von den Verkaufsmengen im Einzelhandel sind sie mit ihrer Manufaktur weit entfernt. Dafür sind sie als Direktvermarkter umso näher an den Kunden.

«Die Leute sind auf jeden Fall toleranter geworden», sagt Claudia Lahl. Als sie mit ihrer Manufaktur 2017 anfingen, habe es auch in den Supermärkten noch kaum Auswahl gegeben. Das habe sich gewandelt. Mittlerweile bestellten Menschen zwischen 20 und 60 Jahren bei ihnen, schräg angesehen würden sie nicht. Was man aber gerade auf dem Land merke: Hier gebe es viel weniger Geschäfte, in denen vegane oder vegetarische Produkte angeboten werden.

Vom Stadt-Land-Gefälle berichten auch die Einzelhändler. Bei Edeka werden insbesondere in Dresden und Leipzig anteilig besonders viele Ersatzprodukte verkauft, wie eine Sprecherin mitteilte. Auch in Städten mit hohen Studierenden-Anteilen, wie etwa in Jena, sei das zu beobachten.

Esskulturforscher Hirschfelder glaubt nicht, dass sich der Trend zum Sojaschnitzel im Osten auf breiter Front durchsetzen wird. In absehbarer Zeit werde die Gesellschaft nicht nur die ökonomischen Folgen der Corona-Krise stärker spüren, sondern vor allem die Folgen des Kriegs in der Ukraine. «Wir sehen, dass eine Überbewertung von Essen ein Wohlstandsphänomen ist.» Dazu komme die Nachhaltigkeitsdebatte: Gerade Fleisch-Ersatzprodukte seien meist hochverarbeitete Lebensmittel mit langen Lieferwegen. «Man kann nur darauf warten, dass die medial gebasht werden.»

Dabei verwies er auch auf den Aktienmarkt: Die Papiere des US-Produzenten Beyond Meat hatten in der jüngeren Vergangenheit immer wieder bei den Zahlen enttäuscht und herbe Kursverluste hinnehmen müssen (Tageskarte berichtete). Und auch der Kurs des Berliner Hersteller Veganz brach nach dem Börsengang im November zeitweise um rund 40 Prozent ein.


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