«Unspektakulär und doch ein Muss» - Fünf Jahre EU-Mitte bei Würzburg

| Tourismus Tourismus

IMAGO / Panthermedia

 

 

«Unspektakulär und doch ein Muss» - Fünf Jahre EU-Mitte bei Würzburg

Menschenmassen sieht man an diesem touristischen Ort selten. Im Wind wehen drei Flaggen - umgeben von Äckern. Auf einem Feld bei Würzburg liegt seit fünf Jahren der geografische Mittelpunkt der Europäischen Union. Genauer gesagt seit dem 1. Februar 2020.

Dem Brexit sei Dank - die Gemeinde Veitshöchheim, in deren Ortsteil Gadheim der Mittelpunkt verortet ist, ist seit dem EU-Austritt der Briten um einen Tourismusfaktor reicher. Bekannt ist Veitshöchheim außerhalb der Region vor allem durch die Fernsehsendung «Fastnacht in Franken», die seit Jahren aus dem fränkischen Ort im Bayerischen Rundfunk übertragen wird. Mittelpunkt der EU zu sein - davon erhoffte sich die Gemeinde eine zusätzliche touristische Wirkung. 

«Nett, aber nach 15 Minuten auch jut»

«Wir haben keine genauen Besucherzahlen, aber wenn ich vorbeifahre, sehe ich oft Einzelpersonen oder Kleingruppen», sagt Bürgermeister Jürgen Götz (CSU/Veitshöchheimer Mitte). Oft sieht man allerdings auch nur die drei Fahnen - die von Veitshöchheim, von Deutschland und natürlich die der EU - die etwas verloren auf dem Acker wehen. Für manche Besucher ist es offenbar gar nicht so einfach, die abgelegene Stelle zu finden. Einige müssen eine Weile suchen. Andere erkundigen sich in der Touristeninformation nach dem Weg.

Das Feedback ist ambivalent. Im Internet haben über 250 Besucherinnen und Besucher Rezensionen hinterlassen. Es sei ein netter Ort zum Verweilen. «Allerdings stellt sich die Frage, ob man extra einen Umweg fahren würde, um dorthin zu gelangen. Wir waren 15 Minuten vor Ort und dann war es auch jut.» «Scheinbar nichts Besonderes aber doch interessant und sehenswert, wenn man in der Nähe ist», schreibt ein anderer. Oder: «Recht unspektakulär, dennoch fast schon ein Muss als Europäer - wenn man in der Gegend ist.»

Viele Besucher verbinden den Besuch vermutlich mit einem Spaziergang. Oder sie nehmen an einer Führung teil - Dauer etwa 30 bis 45 Minuten.

Selfie vom EU-Mittelpunkt

Das Gelände, das bis zum Brexit landwirtschaftlich genutzt wurde, hat die Gemeinde gepachtet. Neben Infotafeln hat sie einen Selfie-Point in Form eines überdimensionalen Bilderrahmens eröffnet. Zwei Weinstöcke - einer mit roten Reben und einer mit weißen - sollen die fränkischen Farben repräsentieren. Ein zweiter Rotwein-Stock ist gepflanzt, um laut Bürgermeister irgendwann zur Bayerischen Vertretung nach Brüssel umzuziehen.

Außerdem führt der sogenannte Narr-Erholungs-Weg am Punkt vorbei. Tafeln mit Witzen aus verschiedenen europäischen Ländern säumen den Pfad. Er erinnert daran, dass Veitshöchheim auch Mittelpunkt des närrischen Treibens in Bayern ist. Die Idee stammt laut Bürgermeister vom Kabarettisten Oliver Tissot.

Wenn in der Touristeninfo Menschen nach dem EU-Mittelpunkt fragen, dann meist mit zwei Anliegen: «Die meisten wollen wissen, wie sie hinkommen und ob es Gastronomie gibt - was wir leider verneinen müssen», erzählt die Leiterin Petra Reichert-Südbeck. So wie der Ort aktuell gestaltet ist und besucht wird, würde ein Café oder Restaurant in der Tat überdimensioniert wirken.

Identitätsstiftender Ort

Ob Gadheim nun als touristischer Hotspot der EU gelten sollte, darüber kann man wohl streiten. Aber für die Menschen in der Region sei es ein wichtiger identitätsstiftender Ort geworden, sagt Bürgermeister Götz. «Bei Veranstaltungen mit Gästen aus anderen Regionen erwähne ich in meinem Grußwort immer, dass ich sie am Mittelpunkt der Europäischen Union begrüßen darf», sagt Götz. 

Vandalismus und Fußballfans

Die genauen Koordinaten lauten 9 Grad, 54 Minuten, 7 Sekunden östlicher Länge und 49 Grad, 50 Minuten, 35 Sekunden nördlicher Breite. Berechnet wird der Mittelpunkt der EU vom Nationalen Geografischen Institut Frankreichs (IGN). Dabei wird anhand der EU-Grenzen der sogenannte Flächenschwerpunkt berechnet. Würde man die Konturen der Fläche auf eine Platte übertragen, sie aussägen und an einer Schnur am berechneten Mittelpunkt aufhängen, wäre diese Platte perfekt ausbalanciert.

Doch nicht alle Besucherinnen und Besucher scheinen sich mit dem europäischen Charakter des Ortes zu verbinden. Der Selfie-Bilderrahmen musste laut Bürgermeister aufgrund von Vandalismus schon mehrfach ausgebessert und ausgetauscht werden. Auf den Infotafeln, die etwas über die Entwicklung der EU erzählen, kleben Aufkleber von Fußballvereinen.

«Ehre auf Zeit»

Sollte sich die Europäische Union durch weitere Beitritte oder Austritte verändern, will sich Veitshöchheim die Attraktion nicht nehmen lassen. Der Mittelpunkt sei eine «Ehre auf Zeit», meint der Bürgermeister. Man werde dann «natürlich» weiter Werbung machen - mit «ehemaliger Mittelpunkt der EU». 

So macht es schließlich auch der Vorgänger-Mittelpunkt. Vor dem Brexit lag die EU-Mitte 70 Kilometer von Gadheim entfernt, ebenfalls in Unterfranken, im Ort Westerngrund bei Aschaffenburg. 

Die EU-Mitte hat sich im Laufe der Jahre mehrfach verschoben. Von 2007 bis 2013 befand sie sich im hessischen Gelnhausen. Damals gab es dort EU-Brot, T-Shirts, ein Maskottchen, Feste und «Tanken im Mittelpunkt der EU». Vor 2007 wiederum stellte das belgische Viroinval die Mitte der EU dar. Mittelpunkt der EU zu sein, ist offenbar weniger einzigartig als es auf den ersten Blick scheint.


Notizblock

Internet

Zurück

Vielleicht auch interessant

Das Reiseportal Urlaubsguru hat seinen jährlichen Trendreport für das Jahr 2026 veröffentlicht. Die Ergebnisse beleuchten neue Trendreiseziele, veränderte Lifestyle-Präferenzen und entscheidende Kriterien im Familienurlaub.

Omio hat seinen jährlichen NowNext '25 Report veröffentlicht. Dieser zeichnet ein Bild des zukünftigen Reiseverhaltens weltweit, von emotionalen Beweggründen über generationsspezifische Vorlieben bis zu gefragten Reisezielen und veränderten Ansprüchen.

Eine TUI-Analyse zeigt eine klare Tendenz zu bewusstem, individuellem Urlaub, wobei fast die Hälfte der Deutschen das meiste Geld im Urlaub für Essen und Trinken ausgibt. Gleichzeitig bleibt der Wunsch nach Planbarkeit hoch.

Eine aktuelle Untersuchung des Reiseveranstalters Fit Reisen beleuchtet, welche der UNESCO-Welterbestätten weltweit die höchste Online-Aufmerksamkeit generieren. Die Ergebnisse zeigen eine klare Dominanz europäischer Stätten.

Zwei Professoren haben in einer Studie das Reiseverhalten von Kreuzfahrttouristen in Hamburg anhand mobiler Standortdaten untersucht. Dies kann zur Lenkung von Touristenströmen und dem Ausbau von Angeboten abseits überlaufener Gebiete beitragen.

American Express Global Business Travel und SAP Concur haben eine strategische Allianz bekannt gegeben, um das Geschäftsreisemanagement zu transformieren. Die Partnerschaft zielt darauf ab, Software, Dienstleistungen und Marktplatz-Angebote beider Unternehmen zu bündeln.

Fliegen ab Deutschland ist teuer – und Urlauber buchen laut CDU-Politikerin Karliczek schon heute eher ab Amsterdam oder Warschau. Die Vorsitzende des Tourismusausschusses fordert Entlastungen.

Entgegen dem globalen Trend des sogenannten "Set-Jettings" – dem Reisen zu Drehorten fiktionaler Produktionen – lässt sich hierzulande eine Mehrheit vor einer Reise primär von Dokumentationen inspirieren.

Auf der Nordseeinsel Norderney startet mit „Neywork“ – Tiny Workspaces ein Projekt, das dem wachsenden Trend des flexiblen Arbeitens Rechnung trägt. Das Angebot richtet sich an Selbstständige, Kreative sowie kleine Teams und Unternehmen, die einen professionellen Arbeitsplatz auf der Insel suchen.

Erstmals seit drei Jahren könnte es bei der Lufthansa wieder Streiks der Piloten geben. Die Mitglieder der Vereinigung Cockpit sind laut einer Urabstimmung bereit zum Arbeitskampf.