USA: Trinkgeld spiegelt Ungleichheit

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Quentin Tarantinos legendäres Filmdebüt «Reservoir Dogs» beginnt mit einer nachdrücklichen Debatte mehrerer Banditen am Restaurant-Tisch: «Ich gebe kein Trinkgeld, weil die Gesellschaft sagt, ich muss», konstatiert Mr. Pink und zieht das Unverständnis der anderen Männer auf sich. «Dieses automatische Trinkgeld ist nutzlos», fügt er hinzu. Knapp 30 Jahre nach dieser Szene wird noch immer diskutiert. Denn im amerikanischen Obolus stecken ethische Konflikte, die Generationen überdauern.

Trinkgelder haben in den USA eine andere Bedeutung als in Europa. 20 Prozent gehören zum guten Ton nicht nur in Restaurants, sondern auch Bars, Cafés und manchmal sogar Imbissen. Und der «New York Times»-Kommentator David Brooks regte 2019 sogar an, 30 Prozent zu geben - was in den Kommentaren zu wütenden Reaktionen wegen dessen angeblichen Snobismus führte. Wie «Reservoir Dogs», aber umgekehrt.

Tatsächlich sind Trinkgelder in den allermeisten Teilen der USA kein nettes Extra, sondern Säule des Geschäftsmodells. Nach landesweiter Gesetzgebung müssen Bedienungen mindestens 7,25 Dollar pro Stunde (etwa 6,25 Euro) erhalten - und bei den meisten besteht dieses Gehalt bereits aus mehr als 5 Dollar Trinkgeld. «Ich könnte den Job nicht machen, wenn ich nur den Stundenlohn bekäme», erzählt eine Kellnerin in einem Brooklyner Bar-Restaurant.

Die Frau, die ohne festen Vertrag arbeitet und deshalb anonym bleiben möchte, weiß aus eigener Erfahrung, inwieweit das System sie abhängig von Stimmung und Willen der Kundinnen und Kunden machen kann. «Die Kellnerinnen und Barfrauen kriegen ganz sicher mehr Trinkgeld als die Männer», erzählt sie. Und wenn dann einige ihrer Kolleginnen zur Partymusik «ihre Hintern schwingen» sei das ein «besseres Erlebnis für bestimmte Kunden» - und werde mit mehr Geld bedacht.

Sie und viele weitere Bedienungen aber schätzen das Trinkgeld auch, denn es bringe oftmals 30 Dollar und mehr pro Stunde für eine größtenteils angenehme Arbeit und erhöhe die Service-Qualität. Die Organisation ROC, die die Verbesserung der Arbeitsumstände in dem US-Gewerbe verfolgt, hält dagegen. Trinkgelder «erhöhen die Rate sexueller Belästigung in der Gastronomie, die eine der höchsten ist», meint ROC-Chef Sekou Siby. Der Lohn an sich müsse ausreichend sein, denn «Trinkgelder sind kein Gehalt, sondern Sondervergütung».

Untersuchungen hätten nicht nur gezeigt, dass Frauen mehr als Männer bekommen, sondern auch attraktiver wahrgenommene Menschen - zum Beispiel Junge oder Schlanke - bevorzugt werden. «Im Frontbereich des Restaurants sehen die Menschen mehr wie Models aus», so Siby. Eine vom ROC durchgeführte Studie sei auch zu dem Schluss gekommen, dass Restaurantbesitzer seltener People of Color für die Jobs mit Kundenkontakt einstellen, weil diese weniger Umsatz generierten. Als People of Color bezeichnen sich Menschen, die nicht als weiß oder westlich wahrgenommen werden.

Damit verbunden identifiziert Siby ein weiteres Problem der Ungleichbehandlung, denn während die oft weißen Bedienungen und das Bar-Personal Trinkgelder bekommen, geht das Küchenpersonal - das im Vergleich öfter etwa aus Latinos oder Schwarzen besteht - meist leer aus. Dies trage überproportional zum strukturellen Rassismus in den USA bei und mache das System zusätzlich unmoralisch.

Wissenschaftler Michael Lynn von der Cornell-Universität in New York hat Dutzende Aufsätze über die amerikanische «Tipping Culture» geschrieben. Er fand heraus, dass auch gesellschaftlich verankerte Charakterzüge eine Rolle dabei gespielt haben dürften, dass das System in den USA stärker ausgeprägt ist als wohl überall sonst - und damit auch seine ethischen Probleme.

«Je extrovertierter die Menschen in einem Land sind, desto mehr Berufe werden mit Trinkgeld versehen und desto mehr Trinkgeld wird gegeben», so Lynn. Er erklärt das damit, dass Extrovertierte die Aufmerksamkeit mögen, die ihnen vom Personal entgegengebracht wird. Und Menschen in den USA sind Lynn zufolge im Schnitt deutlich extrovertierter als in vielen anderen Ländern.

In den letzten Jahren hat es immer wieder Versuche von Gruppen und einzelnen Gastronomen gegeben, die Abhängigkeit von Trinkgeldern einzuschränken. Etwa durch das Anheben der Gehälter auf das Niveau des allgemeinen Mindestlohns oder durch das automatische Aufschlagen von zum Beispiel 18 Prozent. Einige jener Restaurants, die ganz auf Trinkgelder verzichteten und die Preise generell erhöhten, scheiterten aber. Studien zeigen, dass Kunden sich durch die vermeintlich höheren Kosten abschrecken lassen und schlechtere Bewertungen geben.

Schlussendlich reflektiert das Trinkgeld in den USA auch eine Facette des amerikanischen Turbo-Kapitalismus. Während in den Diners an den Highways oder den Dive-Bars in der Nachbarschaft weniger Umsätze - und damit auch wenig Trinkgelder - gemacht werden, geben Gäste in Luxus-Restaurants in Manhattan, Miami oder San Francisco pro Person schon mal 300 Dollar aus. Einige wenige Bedienungen kommen so auf ein Jahresgehalt von teilweise bis zu 150 000 Dollar. Dazu hätte Mr. Pink aus «Reservoir Dogs» sicher auch eine Meinung. (dpa)


 

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