Öffnung mit Hindernissen: Wie Corona den Fachkräftemangel in Restaurants und Hotels verschärft

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Das  Sommerwetter lockt die Menschen in Scharen in die Außengastronomie. Drinnen geht es vielerorts auch schon wieder los. Fehlende Mitarbeiter gestalten den Re-Start allerdings schwierig. Mehr als 42 Prozent der Gastgeber berichteten, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in andere Branchen abgewandert seien.

Doch selbst wenn die Inzidenzen mitspielen, dürfte der Neustart hier und da an seine Grenzen stoßen - oder gar ausbleiben. Denn zahlreiche Betriebe haben zu wenig Personal. Gerade nun, wo das Geschäft unter Auflagen anlaufen soll, könnte manche Terrasse unbewirtet, mancher Tresen unbesetzt, manches Gästezimmer unvermietet bleiben. Die Krise entfaltet ihre Spätwirkungen auf die Hilfs- wie auf die Stammjobs.

Ein aktuelles Stimmungsbild unter Mitgliedern des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) zeigt, wie eng es beim Service zum Start in die für viele existenzielle Sommersaison aussieht. Mehr als 42 Prozent der Teilnehmer berichteten, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in andere Branchen abgewandert seien. Dabei hätten fast drei Viertel (73,7 Prozent) der Betriebe «mit aller Kraft gekämpft», um das Beschäftigungsniveau durch die Pandemie-Zeit zu halten, während die übrigen (26,3 Prozent) Kündigungen aussprechen mussten.

Die Hauptgeschäftsführerin der Dachorganisation, Ingrid Hartges, nennt «dauerhafte Öffnungen» als Bedingung für eine Rückkehr. Aber wie lange wäre die - idealerweise nur vorübergehende - Unterbesetzung beim Kellnern, Kochen oder an der Rezeption auszuhalten? Von jenen Unternehmen, die zurzeit noch gar nicht aufmachen können, gab in der ersten Juni-Woche nahezu ein Drittel «fehlende Mitarbeiter» als Grund an.

Dabei ist die Sehnsucht der Kundschaft nach Eisdiele, Feierabend-Bier oder einem guten Essen auswärts in Gesellschaft groß. Im Tourismus zogen die Buchungen für etliche Inlandsziele an. Dennoch ist zu berücksichtigen: Es geht nicht nur um Assistenzkräfte, die anderswo mehr Chancen sehen. Es gibt auch ein Strukturproblem, das die Pandemie verschärft hat: den Mangel an Fachkräften beim Stammpersonal.

Schon der leidlich verlaufene Sommer 2020, als manch einer das Virus unter Kontrolle wähnte, hinterließ seine Spuren. Bis Ende September war die Gesamtbeschäftigung - Mini-Jobber sowie mitarbeitende Inhaber und Familienangehörige eingeschlossen - in der Branche von mehr als 2,4 Millionen im Jahr zuvor auf knapp 2,1 Millionen abgesackt.

Der Drei-Sterne-Koch Christian Bau sagte der Zeitung Die Welt: «Anfangs hatte man noch gedacht, durch eine gewisse Bereinigung im Restaurantmarkt würden wieder Arbeitskräfte frei, doch das Gegenteil ist eingetreten. Die Restaurants, die nicht alle Mitarbeiter durch die Krise hinweg halten konnten, suchen jetzt händeringend nach Personal. Das war vor der Krise schon ein Problem, jetzt haben sich viele Köche und Servicekräfte zusätzlich beruflich umorientiert und sind der Branche verloren gegangen. »

In der Analyse des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) zur Tourismus-Konjunktur in diesem Frühsommer wird der Engpass deutlich: 48 Prozent der befragten Gastronomen bezeichneten den Fachkräftemangel als ernstes Risiko für das eigene Geschäft - beinahe eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahreszeitpunkt (17 Prozent). Bei Beherbergungsbetrieben wie Hotels oder Pensionen ergab sich eine ähnlich kritische Entwicklung von 11 auf 46 Prozent.

Arbeitnehmervertreter bestätigen die Schwierigkeiten - weisen jedoch auf eine Mitverantwortung der Arbeitgeber hin. Der Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Guido Zeitler, sagt: «Viele Restaurants, Bars und Hotels dürfen zwar wegen sinkender Corona-Zahlen endlich wieder öffnen. Aber sie finden leider häufig niemanden, der ihre Gäste empfangen oder für sie kochen möchte.»

Die plötzliche Überraschung mancher Betriebe sei stellenweise etwas scheinheilig, meint der Gewerkschafter - denn die Personalknappheit sei in Teilen ein «hausgemachtes Dilemma»: «Statt die Fachkräfte mit attraktiver Bezahlung zu binden, wurde auf Tarifflucht, Mini-Jobs und prekäre Beschäftigung gesetzt.» Zeitler verweist etwa auf die hohe Zahl von Ausbildungsabbrechern unter angehenden Köchinnen und Köchen. In anderen Branchen sähen junge Leute oft bessere Verdienstchancen und mehr Wertschätzung: «Hunderttausende derer, die in Corona-Zeiten gehen mussten, werden dem Gastgewerbe in Zukunft fernbleiben.»

Auch in Niedersachsen mit seinem volkswirtschaftlich bedeutenden Küsten-Tourismus sowie den Urlaubsgebieten in Harz und Heide haben viele Gastronomen und Hoteliers nicht ausreichend Personal. Besonders bei den Saisonkräften habe sich «ein nicht unerheblicher Teil der Mitarbeiter in andere Beschäftigungsbereiche hinein verlagert», sagte Dehoga-Landeschef Rainer Balke schon vor den ersten Öffnungen.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hält die Situation für heikel. Der Wettbewerb um die besten Kräfte werde nun voraussichtlich noch intensiver werden, schätzt der BA-Regionalchef für Niedersachsen und Bremen, Johannes Pfeiffer. Mit der Wiederbesetzung zwischenzeitlich verwaister Arbeitsplätze dürfte es teilweise schwierig werden. In ganz Deutschland waren im März 944 000 Menschen in der Gastronomie und Hotellerie sozialversicherungspflichtig beschäftigt - im Vor-Pandemie-Jahr 2019 waren es zu der Zeit noch 125 000 mehr.

Der niedersächsische Tourismusverband differenziert nach Sektoren. «In Unternehmen, die im Kurgeschäft aktiv sind, können wir keinen Abtrieb feststellen.» Anders sei es in der Gastronomie, wo sich der Personalmangel durch Insolvenzen verschärfen könnte. Eigenen Nachbesserungsbedarf gebe es durchaus: «Die Attraktivität der Jobs muss erhöht werden.» Einstweilen bleibe der Bedarf an Saisonkräften aber groß, betont die Tourismusexpertin der IHK Ostfriesland, Kerstin Kontny: «Das wird ein Problem entlang der ganzen Küste werden.»

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