Überwachung im Homeoffice - Vertrauen ist gut, Kontrolle besser?

| Zahlen & Fakten Zahlen & Fakten

Sobald der Laptop hochgefahren ist, ploppt das erste Chatfenster auf. Die Chefin wünscht einen guten Morgen, nur wenige Minuten später erkundigt sie sich nach dem Stand des Projekts. Bis zur Mittagspause folgen mehrere Anrufe und E-Mails, oft nur mit vorgeschobenen Fragen.

Wenn Mitarbeitende wegen der Corona-Krise nicht mehr im Büro arbeiten, ist die Verunsicherung bei manchen Vorgesetzten groß. Arbeitet der Kollege zu Hause gerade wirklich an dem Projekt? Oder räumt er vielleicht die Spülmaschine aus? Doch je mehr die Chefin versucht, mit Nachrichten die Kontrolle zu behalten, desto eher macht sich bei den Mitarbeitenden ein Gefühl von Kontrollverlust breit.


Anzeige

Covid-19: Corona-Schnelltest in Hotels und Restaurants

Gäste, Mitarbeiter, Hoteliers und Gastronomen wollen in der Corona-Krise mehr Sicherheit. Die neuen Covid-19-Schnelltests schaffen unmittelbar Klarheit, sind einfach in der Anwendung und inzwischen zu attraktiven Preisen frei erhältlich.

Mehr erfahren


«Wenn ich natürlich das Gefühl habe, jemand sitzt mir im Nacken, habe ich Angst vor Fehlern, Scham und Bestrafung, vielleicht sogar vor Stigmatisierungen», erklärt Tim Hagemann, der an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld die Professur für Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie innehat. «Dann ist das natürlich auch etwas, was psychisch belastend sein kann.»

Der Körper schütte in einem solchen Fall Stresshormone aus. «Stress ist immer dann, wenn ich das Gefühl habe, eine Situation nicht meistern zu können», sagt Hagemann. Mitarbeitende seien so anfälliger für bakterielle und virologische Erkrankungen. Sie können mit Schlafstörungen kämpfen, leiden langfristig möglicherweise an Problemen mit dem Magen oder dem Herz-Kreislauf-System.

Und nicht nur das: Wenn Mitarbeitende das Gefühl einer Überwachung haben, können Anreize des Unternehmens für sie ihren Reiz verlieren. «Ein Beispiel ist die Wahl des Mitarbeiters des Monats, die eigentlich motivieren soll», meint Ivo Schedlinsky von der Universität Bayreuth. Doch ein Experiment mit 170 Studierenden in Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig-Universität Gießen zeigt: Wer bei der Arbeit von einer Kamera beobachtet wird, empfindet einen solchen Leistungsvergleich eher als Kontrolle.

Vorgesetzte können natürlich nicht einfach eine Kamera bei den Mitarbeitenden daheim installieren. Aber zumindest technisch gibt es bei der Arbeitskontrolle im Homeoffice kaum Grenzen - von der Überwachung der Mausbewegungen, über die Messung von Einschlägen auf der Tastatur bis hin zu Systemen, die sich nach fünf Minuten Inaktivität automatisch auf abwesend stellen.

«Im Extremfall können Arbeitgeber im Prinzip einfach anlasslos zusehen, indem sie den Bildschirm duplizieren und schauen, was der da gerade gemacht», berichtet Joachim Posegga vom Informatik-Lehrstuhl mit Schwerpunkt IT-Sicherheit an der Universität Passau. «Technisch wäre das zumindest machbar, aber das wird wahrscheinlich von keinem Betriebsrat toleriert werden.»

Auch aus juristischer Sicht gibt es Grenzen bei der Überwachung im Homeoffice. Heimliche Kontrollen sind nur erlaubt, wenn Vorgesetzte einen «Verdacht auf pflichtwidriges oder strafbares Handeln zu ihren Lasten nur so aufklären können», betont Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft in Frankfurt.

Doch gerade in den ersten Wochen der Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr sei das teilweise zu beobachten gewesen. «Weil Arbeitgeber den Verdacht hatten, dass Beschäftigte mehr im Baumarkt oder im Garten waren als am häuslichen Arbeitsplatz, sollten Detekteien Beschattungsaufträge durchführen», berichtet der Jurist. Manche Firmen würden Überwachungen auch mit technischen Schwachstellen und einem höheren Risiko für Hackerangriffe im Homeoffice rechtfertigen.

Dabei muss Kontrolle nicht nur negative Folgen haben. «Wer überwacht wird, dessen Leistung wird auch gesehen», sagt Schedlinsky. Gerade wer sich für eine Beförderung beweisen möchte, könne davon profitieren. Auch Fehler lassen sich dadurch schneller ausbügeln oder sogar vermeiden.

Vor allem Mitarbeitenden mit weniger Erfahrung fehle im Homeoffice außerdem die Rückmeldung von Kollegen oder der Chefin. «Da entsteht die Unsicherheit nicht unbedingt durch Kontrolle, sondern eher durch die Isolation und mangelndes Feedback, das mir sonst hilft, mich selbst einzuschätzen», meint Psychologe Hagemann.

Regelmäßige Nachrichten der Chefin können also auch hilfreich sein. Und auch im Homeoffice kann sie sich natürlich nach dem Stand des Projekts erkundigen, sagt Wedde. Aber umgekehrt gelte genauso: Wenn Mitarbeitende sich normalerweise vor der Kaffeemaschine im Büro über ihre Wochenendpläne unterhalten, dürfen sie das im Homeoffice auch während eines dienstlichen Telefonats tun.

«Gleiches gilt für einen Abstecher in die häusliche Küche für das Kochen eines frischen Tees», meint der Jurist. «Wenn dabei festgestellt wird, dass keine saubere Tasse mehr im Schrank ist, kann die häusliche Spülmaschine bei dieser Gelegenheit ebenso ausgeräumt werden, wie das im Büro auch passieren würde.» (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Wer vorübergehend weniger arbeiten möchte, kann auf das Modell der Brückenteilzeit setzen. Aber wer hat eigentlich Anspruch? Und wie läuft das mit dem Antrag? Die wichtigsten Antworten im Überblick.

Für viele Menschen ist die Arbeit im Homeoffice nicht mehr wegzudenken. Doch einige Firmen fordern nun wieder mehr Präsenz ein. Steht ein Umdenken bei den deutschen Unternehmen bevor?

Mehr als jede vierte Fachkraft übt einen Zweitjob aus oder sucht eine zusätzliche Beschäftigung. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie des Jobportals meinestadt.de. Hauptgrund für diesen Trend: Bei vielen Fachkräften reicht das Geld nicht.

Am 1. März tritt die zweite Stufe des neuen „Fachkräfteeinwanderungsgesetzes“ in Kraft. Ein Bestandteil ist die sogenannte kurzzeitige kontingentierte Beschäftigung. Diese ermöglicht es, vor allem auch Arbeitgebern aus dem Gastgewerbe, in Spitzenzeiten kurzfristig ausländische Arbeitskräfte einzustellen. Alle Infos.

Das Gastgewerbe in Deutschland hat das Vor-Corona-Niveau trotz Umsatzzuwächsen im letzten Jahr noch immer nicht erreicht. Damit blicken Deutschlands Gastgeber auf das vierte Verlustjahr in Folge zurück, kommentierte DEHOGA-Präsident Guido Zöllick.

Das Gastgewerbe in Deutschland hat nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2023 real 1,1 Prozent mehr Umsatz erzielt als im Vorjahr. Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 war der reale Gastgewerbeumsatz im Jahr 2023 um 11,3 Prozent niedriger.

In Deutschland gibt es zwar mehr Beschäftigte, aber die geleistete Arbeit steigt nicht entsprechend. Das Problem könnte abgemildert werden, wenn Teilzeitkräfte wieder voll arbeiten. Doch am Ende bleiben oft nur ein paar Euro mehr.

Wer sich in einer Sandwich-Position befindet, muss auf mehreren Ebenen kämpfen und zugleich für Einheit sorgen. Wie schaffen es Führungskräfte im mittleren Management, nicht zerrieben zu werden?

Ab Anfang 60 fragen sich viele, wann ein Übertritt in die Rente infrage kommt. Viele steigen vor dem regulären Rentenalter aus dem Job aus. Doch es gibt einen gegenläufigen Trend.

Über Geld spricht man nicht? Die Gehälter der Kollegen dürften dennoch viele interessieren. Was gilt, wenn der Arbeitgeber Gespräche darüber unterbinden will?