Attila Hildmann: Vom Vegan-Koch zum Reichsbürger in drei Monaten

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Implantierung von Mikrochips, Impfzwang oder Geheimbunde, die die Macht übernehmen: Mit dem Corona-Virus verbreiten sich auch immer absurdere Verschwörungstheorien in Deutschland. Ganz vorne mit dabei ist der Berliner Vegan-Koch und Buchautor Attila Hildmann. So hetzte er bereits vor Wochen auf seinem Instagram-Profil unter anderem gegen das Maskentragen und verglich es mit der Sklaverei, erfundene Zwangsimpfungen, die Bundespolitik und Bill Gates.

Anfang Juni schrieb er auf seinem Telegram-Kanal, dass er nun wüsste, worum es bei Corona gehe: „Euer Ego soll in eine Cloud hochgeladen werden, die Leitung in Euren Körper wird gelegt durch eine Impfung und die darin enthaltene Nanotechnologie stellt die Verbindung her zu Cloud. Ihr sollt ungefragt unsterblich werden (…) das ist Satans Plan“, so Hildmann. Wenige Wochen zuvor war er allerdings noch davon überzeugt, dass die Weltbevölkerung von dunklen Mächten auf 500 Millionen Menschen reduziert werden soll.
 

Zum Reichsbürger in Rekordzeit

Nachdem sich Hildmann zu Beginn noch auf Bill Gates fokussierte, rückten in den vergangenen Wochen auch Angela Merkel und eine vermeintliche „zionistische Weltverschwörung“ in seinen Fokus. Merkel, die von Hildmann ausnahmslos als „Kröte“ diffamiert wird, sei in Wahrheit eine Zionistin und die Rache für das dritte Reich. Zudem würden die Zionisten hinter allem stecken, die Weltbank sowie alle UN-Behörden kontrollieren. 

Wie stark sich Hildmann radikalisiert hat, ist an seinen aktuellen Beiträgen zu erkennen. Mittlerweile ist er davon überzeugt, dass die Bundesrepublik kein souveräner Staat mehr sei, sondern noch immer von den Besatzungsmächten kontrolliert werde. Dementsprechend sei auch die Fahne der „BRD GmbH“ abzulehnen. Stattdessen veröffentlichte er mehrfach Bilder der Fahne des Deutschen Reichs und rief Soldaten der Bundeswehr sowie Polizisten zur Befehlsverweigerung auf. Das Bundeskabinett müsse laut Hildmann hingegen vor ein militärisches Strafgericht der US-Amerikaner, da Deutschland ja immer noch besetzt sei.

Expertin: Corona-Verschwörungen haben Grenze des Sagbaren verschoben

Die vielen im Zuge der Corona-Krise kursierenden Verschwörungserzählungen werden nach Ansicht der Sozialpsychologin Pia Lamberty auch über die Pandemie hinaus wirken. «Ich befürchte, dass von den Narrativen etwas zurückbleibt», sagte die Wissenschaftlerin der Johannes Gutenberg-Universität der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. «Die Grenze des Sagbaren hat sich verschoben.» Das reiche bis hin zur Bagatellisierung des Holocausts, wenn auf Demonstrationen gegen Corona-Auflagen Menschen einen Judenstern trügen.

Lamberty forscht seit Jahren zu Verschwörungstheorien weltweit. Es dürfe nicht vergessen werden, dass es schon immer die Neigung zu Verschwörungen gegeben habe, zumal in Verbindung mit Epidemien oder Krankheiten. Das habe sich während der Pest gezeigt, da sei unter anderem behauptet worden, Juden hätten Brunnen verseucht. Auch während der Spanischen Grippe oder Ausbrüchen von Ebola oder des Zikavirus habe es Verschwörungsgeschichten gegeben. Impfgegner sähen sich sich als Opfer eines Impfzwangs, seien auch mit nachgeahmten Judensternen auf Demos gewesen.

Diese NS-Vergleiche im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien seien etwas Besonderes in Deutschland, sagte Lamberty. «Das habe ich in dem Maße woanders nicht gesehen.» Dass auch Corona-Verschwörungstheorien gerade hier, wo die Pandemie bislang vergleichsweise glimpflich verlief, Konjunktur haben, wundert die Wissenschaftlerin nicht.

Gerade dass sich die Krise in Grenzen halte, mache es einfacher, das Virus als gar nicht so schlimm darzustellen. In Italien sei es fast unmöglich, das neue Virus zu leugnen. In Deutschland glaubten auch mehr Menschen an Verschwörungstheorien über die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA als in den Vereinigten Staaten selbst.

Doch warum neigen Menschen zu Verschwörungstheorien? «Es ist eine Form des Umgangs mit einer Bedrohung, sie wird entweder heruntergespielt oder personalisiert», sagte Lamberty. Der Glaube, dass die Regierung das Coronavirus erfunden habe, mache die Situation greifbarer. Außerdem erhöhten Verschwörungstheorien die Urheber, sagte die Autorin und Sozialpsychologin. «Sie verfügen scheinbar über Geheimwissen, glauben Dinge zu kennen, von denen andere nichts wissen.» Der Urheber von Verschwörungstheorien erscheine als Widerstandskämpfer gegen Verschwörer. «Man ist in der eigenen Wahrnehmung heroischer», sagte Lamberty.

Corona-Verschwörungstheorien weltweit

Corona-Fehlinformationen sind ein weltweites Problem - doch in den meisten Ländern scheinen sie nicht vorherrschend zu sein. Zusammenkünfte wie die sogenannten Hygiene-Demonstrationen in Deutschland sind anderswo meist weniger ausgeprägt, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur weltweit ergibt. Das gilt für das Baltikum ebenso wie für Länder wie Ungarn oder Bulgarien. Auch den Skandinaviern sind Ideen wie die Bill-Gates-Verschwörung fremd.

GROSSBRITANNIEN: Vor allem der Astrophysiker Piers Corbyn fällt im Land der Briten derzeit als Corona-Verschwörungstheoretiker auf. Der Bruder des früheren Chefs der oppositionellen Labour-Partei beschwört einen Zusammenhang zwischen dem Ausbruch des Coronavirus und dem superschnellen 5G-Mobilfunknetz. Der 73-Jährige, der auch den vom Menschen verursachten Klimawandel für Unsinn hält, hat schon diverse Protestzüge angeführt. Er meint, die Menschen würden mit Lügen «einer Gehirnwäsche unterzogen». Piers Corbyn soll Medienberichten zufolge auch Angriffe auf die «gefährlichen» G5-Anlagen befürworten.

SCHWEIZ: Viele Demonstranten hier sind Anhänger der europaweiten Bewegung «Corona-Rebellen». Unter ihnen ist auch der Kardiologe Thomas Binder, dessen vorübergehende Festnahme Ostern nach einem Aufruf zum bewaffneten Kampf Schlagzeilen machte. Auch er behauptet, die Verbreitung des Coronavirus hänge mit den 5G-Mobilfunkantennen zusammen, und warnte vor «Weltputschterroristen», die Regierungen kontrollieren und Menschen eine Corona-Impfung aufzwingen wollten.

FRANKREICH: Verschwörungstheorien sind in Frankreich ein Thema, vor allem im Internet. Die drei Organisationen SOS-Racisme, die Vereinigung jüdischer Studenten in Frankreich (UEJF) und SOS Homophobie erstatteten Anzeige, da Hasskommentare bei Twitter während der coronabedingten Ausgangsbeschränkungen um 43 Prozent gestiegen seien. Frankreich gehört in Europa zu den Ländern, die besonders von der Pandemie betroffen sind.

ISRAEL: Da sich einige der Verschwörungstheorien insbesondere gegen Juden richten, werden diese genau beobachtet. Das Ministerium für strategische Angelegenheiten stellte in der Krise eine Zunahme antisemitischer Rhetorik fest, die von Gewaltandrohungen begleitet werde. Befürchtet wird, dass es in der Folge zu Angriffen von Extremisten auf Juden und jüdische Einrichtungen kommen könnte, insbesondere nach der Aufhebung der Corona-Beschränkungen.

IRAN: Im März wurde im Iran Corona noch als «biologischer Angriff» der USA und Israels bezeichnet, der sowohl den Iran als auch China schwächen solle. Diese Verschwörungstheorie konnte vom erzkonservativen Klerus in den Freitagsgebeten nicht weiter thematisiert werden, da diese wegen Ansteckungsgefahr abgesagt wurden - und bis heute in den Großstädten nicht stattfinden. Angesichts der anfangs sehr hohen Anzahl der Corona-Toten und -infizierten sind die Iraner aber sowieso mehr an medizinischen Lösungen interessiert.

USA: Präsident Donald Trump misstraut Experten und wissenschaftlichen Erkenntnissen und wenn Vertreter seiner Regierung sich äußern, verschwimmen zuweilen die Grenzen zu abseitigen Theorien: Wird die Zahl der Corona-Toten übertrieben? Wird sich das Virus bei wärmerem Wetter einfach in Luft auflösen? Hat China das Virus absichtlich als Waffe in die Welt gesetzt? Solche Fragen werden in den USA auch von Trump oder seinen Beratern gestellt. Konkrete Belege bleiben sie meist schuldig.

ARABISCHER RAUM: Waren Verschwörungstheorien zu Beginn der Seuche im März noch ein Thema, sind sie jetzt eher eine Internet-Randerscheinung. Im Irak machte der einflussreiche schiitische Prediger Muktada al-Sadr etwa US-Präsident Donald Trump direkt verantwortlich. In Ägypten griffen regierungsnahe Medien dagegen die Theorie auf, dass Sars-CoV-2 eine Biowaffe aus dem Labor sei, um die chinesische Wirtschaft zu zerstören. Andere machten die in Ägypten verbotene Muslimbruderschaft verantwortlich oder sahen Fledermaus-Suppe als Ursprung des Virus. Im Libanon und im Irak kam es während der Ausgangsbeschränkungen zwar auch zu Protesten, das waren aber meist Fortsetzungen vorheriger politischer Proteste.

SPANIEN: Obwohl der Unmut in Spanien über die Corona-Politik der Regierung groß ist, gibt es keine Verschwörungstheorien wie in Deutschland. Sogenannte Hygienedemos sind in Spanien unbekannt. Die Proteste beschränken sich auf relativ kleine Kundgebungen. Im privaten Gespräch sind der Fantasie bei Vermutungen über den Ursprung des Virus sowie Profiteure der Pandemie aber kaum Grenzen gesetzt.

AFRIKA: Verschwörungstheorien wie in Deutschland sind auch hier eher selten. Obwohl die meisten Regierungen schnell und entschlossen teils überaus strenge Restriktionen angeordnet haben, sind Massenproteste rar. Vorübergehend für Aufregung sorgten missverständliche Äußerungen französischer Mediziner, Covid-19-Mittel in Afrika zu testen. Viele Afrikaner hoffen auf pflanzliche Heilmittel: Auf der Gewürzinsel Madagaskar wird ein «Covid Organics» genannter Gesundheitstrunk propagiert, trotz erster Expertenwarnungen. Tansanias Präsident John Magufuli empfiehlt Zitronen und Ingwer sowie Beistand von oben: Er propagiert die Kraft des Gebetes.

BRASILIEN: Immer wieder gehen Anhänger des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro im Streit über den richtigen Umgang mit dem Coronavirus auf die Straße und fordern ein Eingreifen der Streitkräfte. Die Proteste richten sich gegen die Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die Bürgermeister und Gouverneure erlassen haben, um das Virus einzudämmen. Der brasilianische Außenminister Ernesto Araújo glaubt, dass sich hinter dem Coronavirus ein großer Plan verbirgt, den Kommunismus in der Welt zu verbreiten. «Das Comunavirus (Wortspiel Coronavirus und «comunista») ist gekommen», heißt ein Text auf seinem Blog, in dem er schreibt: «Das Coronavirus weckt erneut den kommunistischen Albtraum.» Nationale Kompetenzen der WHO zu übertragen sei nur der erste Schritt zum Aufbau einer kommunistischen Solidarität auf der Welt.

(Mit Material der dpa)


 

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