Pubs in England öffnen wieder: Angst vor dem Mega-Besäufnis

| Gastronomie Gastronomie

Cheers! Für viele Engländer hört am Samstag eine monatelange Leidenszeit auf. Denn in der Corona-Krise haben sie vor allem eines vermisst: ihren Pub. Nach mehr als drei Monaten ist nun ein Pint nach Feierabend in den urig-gemütlichen Kneipen wieder möglich. Doch was viele Briten freut, lässt Polizei, etliche Politiker und Mediziner die Haare zu Berge stehen: Sie warnen vor Gewalt und Zuständen in Notaufnahmen wie in einem «Zirkus voller betrunkener Clowns». Das Virus könnte sich auch schneller ausbreiten.

Scotland Yard hat vorsichtshalber die Zahl der Einsatzkräfte in der Hauptstadt für das Wochenende stark erhöht. «Verhalten Sie sich ruhig. Seien Sie sensibel. Passen Sie auf sich und Ihre Familie auf», warnte Polizei-Chefin Cressida Dick in London. In den vergangenen Wochen hatte es die Einsatzkräfte im wahrsten Sinne des Wortes hart getroffen. Bei Demonstrationen gegen Rassismus und der Auflösung illegaler Straßenpartys flogen ihnen Flaschen und Feuerwerkskörper entgegen. Dutzende Polizisten erlitten Verletzungen.

Viele hätten es lieber gesehen, wenn die Pubs im größten britischen Landesteil nicht an einem Wochenende öffnen würden. «Wir haben dann mehr Gewalt, Störungen auf Straßen, sexuelle Übergriffe, Vermisste und Verletzte, die möglicherweise medizinische Hilfe benötigen», sagte der Chef des Polizeiverbandes West Yorkshire, Ian Booth, voraus. Er und viele Kollegen hätten daher einen Werktag bevorzugt.

«Lasst es uns nicht vermasseln», sagte Premierminister Boris Johnson am Freitag an seine Landsleute gerichtet im Interview mit dem Radiosender LBC. Auf Fragen, warum die Regierung denn schon jetzt und ausgerechnet an einem Samstag die Öffnung der Pubs erlaube, antwortete Johnson. «Wir haben sorgfältig darüber nachgedacht.»

Der Bier- und Pubverband dürfte froh sein, dass überhaupt wieder etwas aus den Zapfhähnen strömt. Er hatte den Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze befürchtet. Schon zuvor ging es der Branche nicht gut. Sie beklagt seit Jahren ein Pub-Sterben vor allem auf dem Lande, bedingt unter anderem durch zu hohe Biersteuern. Nun könnten die Besucher allein am ersten Wochenende Schätzungen zufolge 210 Millionen Pfund (etwa 231 Millionen Euro) ausgeben.

Was fasziniert die Menschen so sehr an den Pubs? Viele der Kneipen sind jahrhundertealt. Verklebter Tresen, alte Holzbohlen, biergeschwängerte Luft, Fish und Chips, Burger oder Pies auf der Speisekarte - all das zeichnet einen Pub aus. Der Begriff stammt vom Public House ab, einem der Öffentlichkeit zugänglichen Haus. Der Parlamentarier kann im Pub neben einer Studentengruppe sein Ale süffeln. Klassenunterschiede verschwimmen hier.

Gewöhnen müssen sich die Briten aber an neue Sicherheitsmaßnahmen: Menschentrauben an der Theke soll es zum Beispiel nicht mehr geben. Bestellungen werden künftig am Tisch oder per App abgegeben. Kontaktdaten der Besucher werden vorübergehend gespeichert.

Die Öffnung der altehrwürdigen Pubs ab Samstag gilt nur für England. Denn jeder Landesteil in Großbritannien entscheidet über seine eigenen Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie. Das führt zu so mancher Kuriosität, etwa im Städtchen Saltney. Die eine Hälfte des Ortes liegt in Wales und hat drei Kneipen. Die andere Seite gehört schon zu England und verfügt nur über einen einzigen Pub: Im «Brewery Arms» dürften die Kassen ab Samstag ordentlich klingeln.

Unmittelbar vor der Wiedereröffnung der Pubs in England hat die britische Regierung die Kneipengänger vor Exzessen gewarnt. «Man könnte hinter Gittern landen, wenn man das Gesetz bricht», sagte Gesundheitsminister Matt Hancock laut «Daily Mail» (Samstag). Betrunkene Schläger würden eingesperrt, wenn sie am «Super-Samstag» randalieren würden. Briten könnten «heute auf jeden Fall» in die Bar gehen, aber sie müssten vernünftig sein. Ab 19 Uhr MESZ darf das erste frischgezapfte Pint seit mehr als drei Monaten bestellt werden.

Gäste im Pub müssen beim Betreten ihre Kontaktdaten hinterlassen. Menschenansammlungen am Tresen sind nicht erlaubt. Die Polizei hat die Zahl ihrer Einsatzkräfte stark erhöht. Premierminister Boris Johnson hatte seine Landsleute am Freitag aufgefordert, sich an die Regeln zu halten, um eine zweite Corona-Welle zu vermeiden. Er betonte, dass «wir noch nicht über den Berg sind» und fügte hinzu: «Lasst es uns nicht vermasseln.»

Hancock sagte: «Ich bin kein Spielverderber, aber das Virus kann immer noch töten. Ich will nicht, dass Bars und Kneipen wieder schließen müssen. Ich liebe es, in die Kneipe zu gehen, und ein oder zwei Bier zu trinken.» Er werde aber nicht davor zurückschrecken, Pubs und Restaurants wieder zu schließen, wenn das nötig sein würde.

Neben Pubs dürfen ab Samstag auch Restaurants, Hotels, Kinos, Museen und viele andere Einrichtungen wieder öffnen. Großbritannien ist das am schwersten von der Corona-Pandemie betroffene Land in Europa. Kritiker halten die umfangreichen Lockerungen der Maßnahmen in England für verfrüht. Jeder Landesteil bestimmt in Großbritannien seine eigenen Maßnahmen. Laut Johns Hopkins Universität sind in Großbritannien knapp 286 000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, mehr als 44 200 Infizierte starben.

Die Stadt Leicester könnte ein warnendes Beispiel sein: Hier musste die Regierung kürzlich die Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus wieder verschärfen. Die Fallzahlen waren wieder deutlich gestiegen. (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Im Zuge der Neupositionierung des Conservatorium Hotels als Mandarin Oriental Conservatorium, Amsterdam eröffnet Anfang 2026 das erste Ottolenghi-Restaurant in den Niederlanden.

Der Lieferando Report 2025 analysiert die aktuellen Entwicklungen im deutschen Liefermarkt. Neben einem massiven Wachstum bei koreanischen Gerichten und viralen Food-Trends etabliert sich der Dienst zunehmend als Lieferquelle für Non-Food-Artikel.

Die Jeunes Restaurateurs Deutschland ziehen Bilanz für das Jahr 2025. Neben der politischen Arbeit im Bundestag und dem Einsatz für einen reduzierten Mehrwertsteuersatz standen soziale Charity-Projekte sowie kulinarische Innovationen im Mittelpunkt.

Die Mercedes-Benz Gastronomie führt am Standort Sindelfingen einen autonomen Kochroboter ein. Das System soll ab Sommer 2026 die Kapazitäten in der Kantine erhöhen und eine durchgängige Mahlzeitenversorgung für Schichtarbeiter gewährleisten.

Tschechien hat mit der feierlichen Michelin-Gala am 11. Dezember einen bedeutenden Meilenstein erreicht: Erstmals vergab der Gourmetführer landesweit Auszeichnungen und beschränkte sich damit nicht mehr nur auf die Hauptstadt Prag.

Eine aktuelle Untersuchung des Zahlungsdienstleisters SumUp zeigt die Hauptsorgen von Kleinunternehmen in der Gastronomie. Gestiegene Betriebskosten und der Fachkräftemangel führen zu reduzierten Gewinnspannen und fordern von den Betrieben schnelles Handeln.

Die britische Gastronomiekette Heavenly Desserts expandiert nach Deutschland. Das Unternehmen eröffnete jetzt seine erste Filiale auf dem deutschen Markt. Standort ist das Westfield-Center in Hamburg.

Die Boilerman Bar in der Hamburger HafenCity präsentiert sich nach Umbau mit einem neuen Interieur und erweitertem Platzangebot. Ein interner Wechsel an der Spitze der Bar-Leitung ist vollzogen. Der Fokus liegt weiterhin auf Highballs, insbesondere mit Rum.

Die aktuelle Selektion des Guide Michelin für die Türkei umfasst insgesamt 54 neue Restaurants. Mit der erstmaligen Aufnahme der Region Kappadokien in den Guide spiegelt die Auswahl die kulinarische Vielfalt des Landes wider und umfasst nun Istanbul, Izmir, Muğla und Kappadokien.

Eine aktuelle Umfrage in der Hamburger Gastronomie beleuchtet, welche Kriterien für Gäste bei der Restaurantwahl ausschlaggebend sind und wie sich das Konsumverhalten über verschiedene Altersgruppen hinweg verändert.