Spitzengastronomie im Wandel

| Gastronomie Gastronomie

Edel essen gehen wie es einst die Franzosen erfanden, scheint out zu sein in Deutschland. Corona hat den Trend zu zugänglicheren Feinschmeckerlokalen verstärkt. In Dresden ist jetzt zum Beispiel das Sternerestaurant «Caroussel» im Hotel «Bülow Palais» in der Neustadt in einem Bistro aufgegangen (Tageskarte berichtete). Die Maßnahme scheint nur ein weiterer Baustein im allgemein zu beobachtenden Wandel der Spitzengastronomie zu sein, die Schwellenangst abbauen zu wollen. Die Corona-Krise mit ihren Abhol- oder Bring-Menüs für zu Hause hat diesen Trend nochmal verstärkt.

«Wir bringen die urbane Lässigkeit unseres Bistros mit der kulinarischen Finesse unseres Fine-Dining-Restaurants zusammen», heißt es beim «Bülow Palais», in dem das Lokal jetzt «Caroussel Nouvelle» heißt. Gäste sollen dort nach Lust und Anlass zwischen Menüs gehobener Küche oder Bistro-Klassikern wählen können.

Wie hier an der Elbe nehmen viele gehobene Lokale Abstand von allzu konservativer Etikette und wollen zugänglicher werden - leger und lecker. Die Luxusgastronomie will ihren Ruf loswerden, steif, elitär und fast wie eine Prüfung zu sein statt ein entspanntes Erlebnis.

In München wird das traditionsreiche «Tantris» - vor etwa 50 Jahren eines der ersten Michelin-Sterne-Lokale der Bundesrepublik - umgebaut. Das legendäre 70er-Ensemble des Architekten Justus Dahinden beherbergt bald als sogenanntes Maison Culinaire neben dem klassischen Menü-Restaurant «Tantris» auch das neue À-la-carte-Restaurant «Tantris DNA» und die «Tantris Bar» (Tageskarte berichtete).

Zu althergebrachten Luxusrestaurants in Paris oder Monaco, Rom oder Genf gehörte lange Zeit eine gewisse Hemmschwelle, oft auch Sakkopflicht für Herren. Früher gab es auch die sogenannte Damenkarte, auf denen nicht die Preise standen, weil die Frau ja zweifellos die Eingeladene zu sein hatte und ohne schlechtes Gewissen wählen sollte. Das wirkte alles arg wie 19. Jahrhundert, war aber bis ins 21. Jahrhundert durchaus üblich an der Seine oder Côte d'Azur.

In Amerika oder auch Großbritannien gehört dagegen ein zum Teil übertriebener Respekt oder auch eine Abscheu vor Luxusgastronomie französischer Art zum guten Ton. Man denke an Filme wie das Hollywood-Märchen «Pretty Woman», in dem Millionär Edward die Prostituierte Vivian (Julia Roberts) in die feine Welt einführt und sie beim Dinner in Beverly Hills die Schnecken «schlüpfrige kleine Scheißerchen» nennt. Und der britische Comedian Rowan Atkinson kämpfte als Mr. Bean in einem «Fancy restaurant»-Sketch mit dem unerwartet rohen Steak, das eben ein Steak tartar war.

In Deutschland machte sich Loriot schon früh über das Chichi von Gourmetrestaurants und die Nouvelle Cuisine lustig: «Das sieht übersichtlich aus.» Und Kanzler gaben sich volksnah und trugen eine Vorliebe für einfache Küche vor sich her: Saumagen (Helmut Kohl), Schnitzel (Gerhard Schröder), Kartoffelsuppe (Angela Merkel).

In den 70ern, 80ern und auch 90ern gefielen sich deutsche Edellokale noch mit ihrer Orientierung an französischen Gerichten und Vokabeln. Heute gehört es dagegen fast zum guten Ton, simpler zu formulieren.

Lokale wie das «Nobelhart & Schmutzig» in Berlin-Kreuzberg positionieren sich politisch, öko und verkünden: «Essen ist immer auch ein politischer Akt.» Ihr Leitspruch «Brutal lokal» rücke «LebensmittelproduzentInnen im Berliner Umland in den Fokus». Das hat Konsequenzen wie den Verzicht auf Zitronen, Thunfisch und Schokolade.

Die Foodtrendforscherin Hanni Rützler sagt: «Out sind Foie gras und Froschschenkel - aus tierethischen Überlegungen, aber auch klassische Big-Name-Weine. Spannend hingegen sind nun fermentierte Gemüse, alte Sorten, Fleisch von seltenen Tierrassen oder alten Kühen sowie regionale Winzersekte oder Saftbegleitungen.»

Die österreichische Ernährungswissenschaftlerin sagt auch, die Corona-Krise habe die Wertschätzung für regionale Lebensmittel weiter beflügelt und regionale Netzwerke gestärkt. «Schon vor der Pandemie haben viele Sterne-Köche den Haute-Cuisine-Tempeln klassischen Zuschnitts den Rücken gekehrt oder smarte kleine Zweitrestaurants eröffnet, in denen auch casual gekleidete Gourmets willkommen sind.»

Die Pandemie animiere noch mehr Gastronomen dazu, ihre Konzepte zu überdenken und sich mutiger und zeitgemäß aufzustellen. Luxus werde heute anders definiert als in vergangenen Jahrzehnten. «Immer mehr Gästen ist es wichtiger "gut" statt "nobel" zu essen. Das heißt nicht, dass Design keine Rolle spielt, im Gegenteil. Aber die Zeichensprache hat sich verändert. Handwerk, Materialität und Authentizität werden wichtiger. Der professionelle, direkte Kontakt zum Gast ist wichtiger als der aufwändig gedeckte Tisch.» Auch in Frankreich ändere sich gerade viel, meint Rützler. Die französische Küchenkultur bleibe aber weltweit Vorbild in Sachen Faible für qualitative Ausgangsprodukte.

Über den absurden Einsatz von Luxusartikeln alter Schule auf den Karten teurer Restaurants wie Hummer, Kaviar, Gänseleber und Trüffel lästert der aus dem Fernsehen bekannte Stuttgarter Sterne-Koch Vincent Klink übrigens schon lange. Er nennt sie schlicht: «Scherzartikel». (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Der Restaurantführer „Der Große Guide“ kürt alljährlich die Besten ihres Faches. In der gerade erschienenen 2024er Ausgabe wird Kathrin Feix mit der höchsten Auszeichnung der Weinbranche bedacht, sie ist „Sommelière des Jahres“

Eine mutmaßliche Schleuserbande soll über Jahre mehr als 20 Menschen als Köche ausgebeutet haben. Nun schlugen die Behörden mit einer großangelegten Razzia in Berlin und Brandenburg zu.

Der Siegeszug der Köchinnen aus Lateinamerika in der Spitzengastronomie reißt nicht ab. Bereits zum fünften Mal in Folge ist mit der Brasilianerin Janaína Torres eine Latina zur «besten Köchin der Welt» gekürt worden. Dabei leitet Torres nicht nur die Küche des beliebten Restaurants "A Casa do Porco" in ihrer Heimatstadt São Paulo.

Wer demnächst in Schwabing eine Pizza essen möchte, der sollte unbedingt das passende Kleingeld dabeihaben. Denn ein neues Lokal in der Herzogstraße will künftig die wohl teuerste Pizza der Stadt servieren. Die „Ho Lee Shit“-Pizza soll 79 Euro kosten. Dafür gibt es erlesene Zutaten wie Miyazaki Wagyu-Fleisch aus Japan und Kaviar.

Das Finale des Kochwettbewerbs Bocuse d'Or findet 2025 in Lyon ohne deutsche Beteiligung statt. Der für Deutschland ins Rennen geschickte Marvin Böhm, Sous-Chef im Restaurant Aqua in Wolfsburg, erreichte im Europa-Finale nur den 18. Platz von 20 Plätzen. Auf dem Treppchen finden sich Dänemark, Schweden und Norwegen.

Auch die Gastro-Marke Pottsalat hatte Hans-Christian Limmer, der zu einem rechten Treffen mit eingeladen haben soll, als Investor. Nach der Trennung wurde unter anderem eine „Bunt-ist-besser-Bow" ins Menü genommen. Deren Gewinne gehen nun an CORRECTIV.

Das kulinarische Aushängeschild des Fünf-Sterne-Resorts Schloss Elmau ist das mit zwei Michelin-Sternen und fünf schwarzen Kochhauben im Gault&Millau ausgezeichnete Restaurant Luce d’Oro, das ab sofort den japanischen Namen IKIGAI​​​​​​​ trägt.

Nach dem Erfolg des Restaurants Circolo Popolare in London, will der neuste Zuwachs der Big Mamma Group in Madrid die italienische Authentizität ehren. Und das als erstes Restaurant im Picasso Tower.

Der Sandwich-Gigant Subway hat eine Vereinbarung mit McWin Capital Partners getroffen, um das Management der Marke in Frankreich, der Tschechischen Republik, Luxemburg und Belgien zu übernehmen. McWin soll in den nächsten zehn Jahren weitere 600 Standorte entwickeln. McWin hatte zuletzt die Mehrheit bei Sticks'n'Sushi übernommen.

Anja Hirschberger, langjähriges Mitglied des Aufsichtsrats des Leaders Club Deutschland, tritt aus der Vereinigung aus und legt ihren Aufsichtsratsposten nieder. Zuvor waren bereits Gründungspräsident Thomas Hirschberger und Vorständin Kerstin Rapp-Schwan aus dem Leaders Club ausgetreten.