Arbeitsminister Heil will Billiglöhne bei Lieferdiensten bekämpfen

| Politik Politik

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will Billiglöhnen bei Essenslieferdiensten und anderen boomenden Digitalplattformen einen Riegel vorschieben. «Ich werde nicht zulassen, dass Digitalisierung in der Plattformökonomie mit Ausbeutung verwechselt wird», sagte Heil der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Nach Eckpunkten des Arbeitsministeriums, die der dpa vorliegen, sollen auch soloselbstständige Plattformtätige künftig sozialen Schutz und angemessene Arbeitsbedingungen genießen.

Betroffen sind neben Essenslieferanten zum Beispiel Fahrdienste und Haushaltsdienstleistungen, aber auch Plattformen für Textarbeit, Programmierung und kreative Tätigkeiten. Nach einer EU-Erhebung beziehen 2,7 Millionen Menschen in Deutschland entweder mindestens die Hälfte ihres Einkommens aus Plattformarbeit oder arbeiten mindestens zehn Stunden pro Woche auf diese Weise, wie das Ministerium schreibt. Andere Studien kämen zu geringeren Zahlen.

«Plattformen streben nach Marktbeherrschung», sagte Heil. «Das erleben wir jetzt auch in der Pandemie.» Bei den Essensbringdiensten zum Beispiel gebe es mittlerweile vor allem einen relevanten Anbieter. Die Klagen von Gastronomen über ihre Abhängigkeit von der Bestellplattform Lieferando sind bekannt. Laut einem ARD-Bericht bemängeln Mitarbeiter zudem, dass dort die Gründung von Betriebsräten erschwert werde.

Heil sagte, Marktbeherrschung führe dazu, «dass Preise und Bedingungen gegenüber den Lieferanten und den Restaurants einseitig diktiert werden können». Nötig sei ein Rahmen für fairen Wettbewerb. «Ich will die Kultur der sozialen Marktwirtschaft in der Plattformökonomie weiterentwickeln.»

Das Arbeitsministerium schlägt unter anderem folgende Eckpunkte vor:

SOZIALER SCHUTZ: Soloselbstständige Plattformtätige sollen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Die Plattformbetreiber sollen dafür mitbezahlen. Auch Beiträge der Plattformen für die Krankenversicherung sollen geprüft werden. Etwa bei Essenslieferanten oder Fahrradkurieren soll auch geprüft werden, ob Betreiber Beiträge der Unfallversicherung tragen müssen.

BEWEISLAST FÜR SELBSTSTÄNDIGKEIT: Wenn ein Plattformtätiger Anhaltspunkte für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vorträgt, muss der Betreiber im Falle einer Meinungsverschiedenheit das Gegenteil beweisen.

ORGANISATION DER PLATTFORMTÄTIGEN: Das Ministerium will kollektivrechtliche Organisation für soloselbstständige Plattformtätige ermöglichen. Diese sollten Arbeitsbedingungen auf Augenhöhe verhandeln können.

WEITERE REGELN: Mindestkündigungsfristen sollen je nach Dauer der Tätigkeit festgeschrieben werden. Angestrebt werden auch eine Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Regeln zum Mutterschutz sowie zum Urlaub. Soloselbstständige sollen nicht länger zu ihren Lasten gehende Vertragsbedingungen akzeptieren müssen.

«Digitale Plattformen machen das Leben leichter», sagte Heil. «Neue Arbeitsmöglichkeiten entstehen.» Aber er wolle Beschäftigten, die auf und für Plattformen arbeiten, den Rücken stärken - egal ob abhängig beschäftigt oder soloselbstständig. «Plattformbeschäftigte müssen die Möglichkeit haben, ihre Interessen wirksam zu vertreten und zum Beispiel Tarifverträge zu machen.» Er wolle fairen Ausgleich zwischen Produzenten, Konsumenten und Beschäftigten.

Das Thema steht laut Heil auch auf dem Digitalgipfel der Regierung am Montag und Dienstag auf der Tagesordnung. «Es gibt Plattformen, in denen ich keineswegs den Eindruck habe, dass prekäre Arbeit vorherrscht», sagte Heil. Etwa bei den Handwerksplattformen. Doch faire Bedingungen seien generell nötig. «Plattformen dürfen nicht mit den niedrigsten Löhnen und dem schlechtesten Schutz miteinander konkurrieren.»

Heil erinnerte daran, dass Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auch eine Novelle des Wettbewerbsrechts plane. «Marktwirtschaft gibt es nur, wenn es Wettbewerb gibt. Wo Monopole entstehen, läuft Marktwirtschaft ins Leere», sagte Heil. «Wichtig ist aber nicht nur, dass man da die Gesetze novelliert, sondern dass die Kartellbehörden auch hingucken.»

Streit um Heil-Vorstoß zum Schutz von Plattform-Beschäftigten

Unmittelbar vor dem Digitalgipfel der Bundesregierung hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Regierung zu umfassendem Schutz von Plattform-Beschäftigten aufgefordert. Der DGB unterstütze im Grundsatz einen Vorstoß von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zur Begrenzung der Marktmacht von Plattformen, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Zurückhaltend reagierte die Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion. Die FDP lehnte Heils Vorstoß ab.

DGB-Vorstandsmitglied Piel sagte: «Die Geschäftsmodelle, die sich über Jahre ausgebreitet haben und von denen immer mehr Menschen betroffen sind, beruhen auf einem eklatanten Macht- und Informationsungleichgewicht zulasten der Beschäftigten.»

Nach am Freitag veröffentlichten Eckpunkten des von Heil geführten Arbeitsministeriums sollen auch soloselbstständige Plattformarbeiter künftig sozialen Schutz genießen. Betroffen von dem Vorstoß sind etwa Essenslieferanten, Fahrdienste, Haushaltsdienstleister und Plattformen für Textarbeit. In der Corona-Pandemie haben unter anderem Bringdienste noch größeren Zulauf als zuvor ohnehin schon bekommen.

Heil spreche das Thema zwar mit voller Berechtigung an, sagte der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion, Uwe Schummer (CDU), der dpa. Schummer hält das Thema aber für so vielschichtig, dass es zunächst gründlich debattiert werden müsse. Eine seriöse gesetzlich Umsetzung sei nicht in kurzer Zeit möglich.

Der DGB forderte hingegen klare Regeln. «Nur so kann dem seit Jahren grassierenden Wildwuchs im digitalen Schattenarbeitsmarkt begegnet werden», sagte Piel. So sei es wichtig, dass Beschäftigte wie von Heil geplant mehr Möglichkeiten erhalten, als Arbeitnehmer anerkannt zu werden. «Denn vielfach haben Plattformen ein ausgeklügeltes algorithmisches Steuerungssystem aufgebaut, das den Beschäftigten kaum Freiheiten ermöglicht», sagte Piel. Vorgaben zu Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit sein oft streng.

Ausdrücklich lobte Piel, dass Heil soloselbstständige Plattformbeschäftigte verpflichtend in die gesetzliche Renten- und Unfallversicherung aufnehmen will.

Schummer sagte zwar auch, nötig sei ein funktionierender Ordnungsrahmen. «Allerdings ist es eine unzulässige Verkürzung, Plattformökonomien weitestgehend nur als Quelle prekärer Beschäftigung in den Blick zu nehmen.» Nicht wenige Plattform-Arbeitende nähmen ihre Arbeit positiv wahr. Plattformarbeit werde auch noch überwiegend nebenberuflich ausgeübt.

Schwierig sei es auch, anhand von Plattformökonomien Fragen klären zu wollen, die auch in der analogen Welt nicht hinreichend beantwortet worden seien, sagte Schummer. Er nannte etwa die Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit. Heil solle zudem vorrangig die im Koalitionsvertrag vereinbarte Altersabsicherung Selbstständiger insgesamt auf den Weg bringen.

Der FDP-Arbeitsmarktexperte Johannes Vogel sagte der dpa, Heil habe noch keinen Beitrag geleistet, um moderne Selbstständigkeit zu erleichtern. Bei der Plattformökonomie gehe das so weiter. «Von anderen Motiven getrieben ist vor allem die Idee des Bundesarbeitsministers, Internetplattformen für die Rentenkasse anzuzapfen», warf Vogel dem Minister vor. Angesichts der teuren Rentenpolitik der Regierung sei die Suche nach neuen Finanzquellen für die Rentenkasse verständlich, aber nicht zielführend. Vogel warnte vor einer Abwanderung moderner IT-Dienstleister aus Deutschland, setze sich Heil mit den von ihm vorgeschlagenen Regeln für Plattformen durch.

An diesem Montag und Dienstag richtet die Regierung ihren diesjährigen Digitalgipfel aus, auf dem am Dienstag neben Heil Kanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vertreten sind.

(dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Es ist der erste Bürgerrat dieser Art und das Thema ist hochaktuell: Ernährung. Kostenfreies Mittagessen für alle Kinder steht dabei an erster Stelle der Empfehlungen, die nun im Bundestag vorgestellt wurden.

Das Justizministerium hat einen Referentenentwurf für ein Bürokratieentlastungsgesetz vorgelegt. Darin enthalten ist auch die Hotelmeldepflicht, die abgeschafft werden soll – allerdings nur für deutsche Staatsangehörige. Auch die Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege sollen verkürzt werden.

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 7 auf 19 Prozent für Speisen in der Gastronomie bei gleichzeitig massiv steigenden Kosten stellt die Unternehmer vor größte Herausforderungen. Das geht aus einer Umfrage des Dehoga hervor.

Obwohl Finanzminister Lindner noch im letzten Jahr mehrfach seine Sympathie für eine dauerhafte Verlängerung der reduzierten Mehrwertsteuer in der Gastronomie kundgetan hatte, will der Politiker heute von einer Senkung nichts mehr wissen. In der ARD-Sendung Maischberger schloss Lindner die Rückkehr zur Sieben-Prozent-Mehrwertsteuer jetzt deutlich aus.

Auch am Donnerstag haben Landwirte ihre Proteste gegen die Sparmaßnahmen der Bundesregierung in vielen Regionen fortgesetzt. Unterstützung kommt auch vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband. 

Pandemie, Kundenzurückhaltung, Personalmangel und Mehrwertsteuererhöhung: Die Gastrobranche steht nach Krisen in der Vergangenheit vor neuen Herausforderungen. Eine saarländische Kampagne soll für positive Stimmung sorgen.

Nach dem sogenannten Weihnachtsfrieden nimmt der Tarifstreit bei der Deutschen Bahn Fahrt auf: Von Mittwoch bis Freitag will die Lokführergewerkschaft GDL im Personenverkehr streiken.

Am 15. Januar findet als Abschlussaktion der Aktionswoche „Ohne uns kein Essen“ der Landwirte in Berlin eine Großdemo statt. Hier ist auch der DEHOGA als Partner und Unterstützer mit dabei. Auch in den Bundesländern gibt es Aktionen. Teilnahmen an Straßenblockaden sind nicht geplant.

Beim Blick in die Kühltheken sollen Verbraucherinnen und Verbraucher bald zusätzliche Informationen auf Lebensmitteln finden - zur Herkunft von Fleischwaren schon in wenigen Wochen. Ein anderes Logo kommt auch auf den Weg.

Per Gesetz sollen Plastik-Einwegverpackungen bei Essen zum Mitnehmen eingedämmt werden. Der Dehoga findet die Idee grundsätzlich gut. Es hakt aber bei der Rückgabe des als Ersatz genutzten Mehrweggeschirrs.