Zutritt nur mit Corona-Impfung? Privilegien (vorerst) nicht in Sicht

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Man kann sich das leicht ausmalen: Am Eingang zum Club fragt der Türsteher erst nach dem Personalausweis, dann nach dem Impfausweis. Wer den Urlaub bucht, gibt auch eine Impfpass-Nummer an. Bedauerndes Kopfschütteln an der Hotelrezeption: In den Wellnessbereich leider nur mit Corona-Impfung. Ist das realistisch? Noch gibt es in Deutschland und weltweit längst nicht genug Impfstoff für alle, die sich piksen lassen wollen. Aber was ist in einem Jahr?

Drei Dinge sind immerhin klar: Um Verschwörungstheoretikern keine Munition zu liefern, ist das Bemühen groß, Sorgen vor einer «Impfpflicht durch die Hintertür» zu zerstreuen. Solange nicht jeder und jede geimpft werden kann, der oder die das will, sind Privilegien für Geimpfte zumindest in Deutschland nicht vorstellbar. Und: Um zu entscheiden, müssen mehr Erkenntnisse über die Impfstoffe her.

Dürfen Unternehmen - Veranstalter, Hotels, Fluggesellschaften und so weiter - überhaupt Menschen ausschließen, die nicht geimpft sind?

Das hänge «von einer Vielzahl von Faktoren ab, über die zum jetzigen Zeitpunkt noch keine verlässliche Aussage getroffen werden kann», erklärt eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums - insbesondere, «in welchem Maße eine Impfung nicht nur die geimpfte Person vor einem Ausbruch der Krankheit schützt, sondern auch andere Personen vor einer Ansteckung.» Nach Angaben des Robert Koch-Instituts ist denkbar, dass Geimpfte zwar selbst nicht erkranken, das Virus aber weitergeben. Die Firma Biontech rechnet mit Daten dazu bis Februar.

«Ganz allgemein» könne es privaten Anbietern im Rahmen der Vertragsfreiheit freistehen, «den Abschluss von Verträgen oder den Zutritt zu ihren Liegenschaften zu verweigern», heißt es beim Justizministerium. Anders sei das teils im öffentlichen Personen- und Nahverkehr oder beim Flugverkehr, da gebe es gewisse Pflichten.

Wollen Unternehmen denn Nicht-Geimpfte ausschließen? Die Wortmeldungen aus den Branchen fallen unterschiedlich eindeutig aus.

FLIEGEN: Für Aufregung sorgte im November die Ankündigung der australischen Airline Qantas, auf bestimmten Strecken nur noch Geimpfte mitzunehmen. In der Branche löste das allerdings eher Kopfschütteln aus. «Wir halten gar nichts davon, die große Gruppe der noch nicht Geimpften vom Luftverkehr oder von den Verkehrsträgern insgesamt auszuschließen», sagt der Hauptgeschäftsführer des Luftverkehrs-Verbands BDL, Matthias von Randow.

BAHN: Die Bahn, deren Aktien komplett dem Bund gehören, schließt Privilegien oder Nachteile auf Nachfrage eindeutig aus: «Die Deutsche Bahn wird bei der Beförderung ihrer Kunden keinen Unterschied zwischen geimpften und nicht geimpften Passagieren machen.»

HANDEL: Für den Handelsverband HDE sagt Hauptgeschäftsführer Stefan Genth: «Eine Einteilung der Kundinnen und Kunden in Geimpfte und Ungeimpfte ist nicht wünschenswert und in der Praxis auch sicher kaum möglich.»

GASTRONOMIE: «Für diese Diskussion ist es aus unserer Sicht viel zu früh», sagt die Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbands Dehoga, Ingrid Hartges. «Solange nicht ausreichend Impfstoff für alle zur Verfügung steht, brauchen wir nicht über Zugangsbeschränkungen zu sprechen.» Auch rechtliche Fragen seien offen.

VERANSTALTER: Der Präsident des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft, Jens Michow, hält eine Impfung als Einlass-Voraussetzung für nicht rechtens. Eine Diskriminierung von nicht geimpften Personen wäre «aus juristischer Sicht ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Absatz 3 unseres Grundgesetzes», sagt der Jurist. «Daher wäre es aus meiner Sicht auch dem Staat verwehrt, ein Gesetz zu erlassen, welches eine bevorzugte Behandlung von geimpften Personen regelt.»

All das sind freilich Stimmen aus Deutschland. Klar ist, dass andere Länder eine Corona-Impfung zur Bedingung für die Einreise machen könnten, wir es das schon für Gelbfieber gibt. Und die Airline Qantas dürfte ihre Regeln wohl auch in Deutschland umsetzen. Natürlich stellt sich dann wieder die Frage der Kontrolle. Einen Immunitätsausweis hatte der Deutsche Ethikrat im September zwar klar abgelehnt - aber unter Verweis auf medizinische Unklarheiten.

WAS DIE POLITIK DAZU SAGT

Auf die verweist auch die Politik. Der rechtspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Johannes Fechner, sprach in der «Welt» von Überlegungen, eine «Ungleichbehandlung» in der Privatwirtschaft zu verhindern. Das fordert etwa die Deutsche Stiftung Patientenschutz mit Blick auf Pflegeanbieter, die Ungeimpfte als Patienten ablehnen könnten. Allerdings fügt Fechner einen einschränkenden Hinweis hinzu: Wenn sich zeige, dass Geimpfte ansteckend seien, dann wäre eine Ungleichbehandlung epidemiologisch nicht zu rechtfertigen. Auf Nachfrage erklärte er, ob das auch im Umkehrschluss gelte - also Privilegien zu rechtfertigen seien, wenn Geimpfte nicht mehr ansteckend seien -, darüber müsse erst diskutiert werden.

Umgekehrt könnte man dann auch sagen: Wer garantiert nicht mehr ansteckend ist, dessen Freiheiten dürfen doch auch nicht mehr eingeschränkt werden - das gibt die FDP zu bedenken. Der Unions-Rechtsexperte Jan-Marco Luczak (CDU) schimpfte unterdessen über eine «Phantomdebatte» mit «verfrühten und hypothetischen Diskussionen über verfassungsrechtlich zudem zweifelhafte Verbote».

Auch aus Sicht von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht «verbieten sich gegenwärtig Privilegien für Geimpfte», wie sie sagt - weil es offene Fragen zur Wirkung gebe und noch nicht genug Impfstoff da sei. «Wir sollten die richtigen Diskussionen zur richtigen Zeit führen», mahnte sie. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte Privilegien mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass noch nicht alle die Chance zur Impfung haben. Nur: Das wird sich ändern.

Viele hoffen, dass diese Debatten sich von selbst erledigen. Nämlich dann, wenn sich ausreichend Menschen freiwillig impfen lassen und die sogenannte «Herdenimmunität» erreicht wird. 60 bis 70 Prozent der Menschen müssen immun sein, um das Virus zu stoppen, hieß es dazu bisher oft von Experten. Doch auch daran gibt es schon Zweifel. Sicher ist in der Pandemie vor allem eines: die große Unsicherheit.

Privilegien für Geimpfte? - Erst Impf-Hoffnung, dann neue Diskussion

Nach dem Beginn der Corona-Impfungen wird zunehmend über denkbare Bevorzugungen Geimpfter diskutiert - etwa auf Veranstaltungen, in Restaurants oder bei Flugreisen. Rechtspolitiker von SPD und Union sehen Regelungslücken, auch Verbraucherschützer warnen davor. Die FDP-Fraktion hingegen hält das grundsätzlich für gerechtfertigt.

Dabei laufen die Impfungen mangels Impfstoffs seit Sonntag nur ganz langsam an und zunächst auch nur bei Pflegebedürftigen, Über-80-Jährigen und medizinischem Personal. Bis zum Jahreswechsel sollen nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) 1,3 Millionen Dosen zur Verfügung stehen. Pro Person sind zwei Impfungen im Abstand von drei Wochen nötig.

Die verfügbare Impfstoffmenge wird aber zunehmen, da bisher nur der von Biontech/Pfizer zugelassen ist, Anfang Januar aber mit der Zulassung des Präparats von Moderna gerechnet wird und weitere Pharmafirmen ebenfalls in Zulassungsverfahren stecken. «Wir werden im Januar noch deutlich mehr Impfungen haben, weil immer mehr der vom Staat bestellten Mengen geliefert werden», sagte der Präsident des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa), Han Steutel, der «Rheinischen Post» (Dienstag). «Jeder weitere Hersteller, der eine Zulassung erhält, wird ebenfalls mit vorproduzierten Chargen schnell im Markt sein.» Spahn hatte sich zuversichtlich gezeigt, dass jedem bis zum Sommer ein Impfangebot gemacht werden kann.

Mit Blick darauf gewinnt die Frage an Bedeutung, ob Geimpfte von Privatunternehmen bevorzugt werden dürfen - auch wenn eine staatliche Impfpflicht nicht vorgesehen ist und von der Politik einhellig abgelehnt wird. Die australische Fluggesellschaft Qantas hat bereits angekündigt, auf bestimmten Strecken nur noch geimpfte Passagiere mitzunehmen.

Und es gibt noch sensiblere Bereiche. Auch Pflegeanbieter etwa können die ambulante und stationäre Pflege ablehnen, daran erinnert die Deutschen Stiftung Patientenschutz. Nicht geimpfte Pflegebedürftige dürften aber nicht benachteiligt werden, mahnte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er, die Bundesregierung müsse für eine gesetzliche Klarstellung sorgen. «Denn sonst können Pflegeanbieter auf ihre Vertragsfreiheit pochen. Mit der Freiwilligkeit bei der Impfung wäre es dann vorbei.»

Der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv), Klaus Müller, sagte der «Rheinischen Post»: «Wenn die Vertragsfreiheit für Restaurants, Fitnessstudios, die Bahn oder Pflegeheime nicht mit dem von den Ministern Spahn und Seehofer zu Recht geforderten Diskriminierungsschutz in Konflikt geraten soll, brauchen wir eine breite Diskussion, um alle Auswirkungen auf Verbraucher und Unternehmen zu erörtern. Das Justizministerium sollte dazu gleich Anfang des Jahres dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorlegen.»

Bundesgesundheitsminister Spahn und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatten bereits vor Sonderrechten für frühzeitig Geimpfte gewarnt. Rechtspolitiker der Koalition wollen da durchaus auch etwas tun. Der rechtspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe, Volker Ullrich, sagte der «Welt», für staatliche Einrichtungen, auch etwa den Nahverkehr, verbiete es sich, nach Geimpften und Nicht-Geimpften zu unterscheiden. «Im privaten Bereich gibt es hingegen eine Regelungslücke, die wir adressieren müssen.»

Der rechtspolitische SPD-Fraktionssprecher Johannes Fechner sagte der Zeitung: «Die SPD-Fraktion prüft derzeit gesetzliche Maßnahmen, wie Ungleichbehandlungen von Nicht-Geimpften und Geimpften durch die Privatwirtschaft ausgeschlossen werden könnten.» Allerdings machte er einen einschränkenden Zusatz: Wenn die für Februar von Biontech angekündigten Erkenntnisse zeigten, dass Geimpfte ansteckend seien, dann wäre eine Ungleichbehandlung epidemiologisch nicht zu rechtfertigen. Bisher ist zumindest denkbar, dass ein Geimpfter bei Kontakt mit dem Erreger zwar selbst nicht erkrankt, das Virus aber an andere weitergeben kann, wie das Robert-Koch-Institut erklärt.

Wenn die laufende Forschung aber das Gegenteil ergibt, sieht die FDP die Frage von Geimpften-Privilegien anders: «Steht aber fest, dass von einem Menschen weder für sich noch für andere eine Gefahr ausgeht, dann darf der Staat seine Freiheit nicht einschränken», sagte Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Dienstag).

Bleibt noch die Frage der bereitstehenden Impfstoffmenge. Der Chef der Intensivmediziner-Vereinigung DIVI, Uwe Janssens, rät da zu mehr Geduld. «Wir können jetzt nichts vom Zaun brechen. Wir haben jetzt wirklich in Windeseile einen Impfstoff auf dem Markt, der sogar wirkt. Das ist sensationell», sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), dem RTL-«Nachtjournal». «Lassen wir uns das jetzt doch nicht kaputtreden von der Politik, die meint, es müsste jetzt noch schneller gehen.»

FDP-Chef Christian Lindner etwa hatte gefordert, den Biontech/Pfizer-Impfstoff in Lizenz von anderen Pharmafirmen produzieren zu lassen. Auch Linksfraktionschefin Amira Mohamed Ali plädierte in der «Nordwest-Zeitung» (Dienstag) dafür.

«Ich halte das für kontraproduktiv», sagte Intensivmedizin-Professor Janssens. Es sei ein biotechnisch komplizierter Prozess. «Ich würde jetzt keine Schnellschüsse machen.» Sonst stellten Impfgegner womöglich infrage, dass das der richtige Impfstoff sei. «Und dann haben wir eine Riesen-Diskussion.» (dpa)


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