Ein Jahr danach: Der lange Schatten des Corona-Ausbruchs in Ischgl

| Tourismus Tourismus

7. März 2020: Borussia Dortmund gewinnt mit 2:1 vor 54 000 Zuschauern bei Borussia Mönchengladbach. In Deutschland sind laut Robert-Koch-Institut 795 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. In Ischgl in Österreich bekommt ein deutscher Kellner der Après-Skibar «Kitzloch» sein Testergebnis: positiv. Der 36-Jährige galt als der erste in Ischgl festgestellte Fall. Aber schon zuvor gab es Hinweise. Nach Island zurückgekehrte Wintersportler führten ihre Infektionen auf den Aufenthalt in Österreich zurück. Island erklärte Tirol Anfang März zum Risikogebiet. Spätestens vom 7. März 2020 an beginnt die gewohnte Welt von Ischgl zusammenzubrechen. «Erst war alles ganz weit weg, dann plötzlich ging der Hurrikan los», erinnert sich Tourismuschef Andreas Steibl an die Dynamik.

Das einstige Bergbauerndorf in Tirol mit riesigem Skigebiet und vielen Après-Ski-Bars ist ein Jahr später eine touristenfreie stille Kommune und gehört ganz den 1600 Einwohnern. Der Ort hat seine 45 Lifte - obwohl es erlaubt wäre - nie gestartet. «Wir hatten bis heute keinen einzigen Skitag», sagt Steibl. Grundsätzlich gehe es darum, die Marke Ischgl wieder positiv zu besetzen. «Maximale Sicherheit geht vor», ist die neue Devise. Der Ort mit seinen 10 000 Gästebetten hat Konzepte für einen, wie er meint, sicheren Urlaub ausgearbeitet. Das wilde Feiern soll künftig von einem dosierten Vergnügen abgelöst werden. Viele, die Ischgl gut kennen, verbinden den Ort ohnehin auch mit hochkarätiger Hotellerie und Spitzen-Küche. 

Ischgl ist ein schwieriges Thema. Seine Rolle bei der Verbreitung des Virus ist unbestritten. Tausende Fälle sollen europaweit auf eine Ansteckung in Ischgl zurückzuführen sein. Der Verbraucherschutzverein (VSV) in Wien hat die Vollmacht von rund 1000 deutschen Ischgl- Urlaubern, um wegen der Fehler im Krisen-Management auf Schadenersatz zu klagen. Am 9. April startet in Wien der erste Prozess. Auf der anderen Seite fühlen sich viele Ischgler und Tiroler nicht fair beurteilt. Das Wissen um die Gefahr habe sich damals erst entwickelt, heißt es oft. Eine unabhängige Untersuchungskommission sprach im Oktober 2020 von folgenschweren Fehleinschätzungen. Unter anderem der Betrieb der Skibusse und der Seilbahnen sei erst mit Verspätung eingestellt worden.

Im Dorf, wo in einer normalen Wintersaison etwa 300 Millionen Euro umgesetzt werden, grassierte das Virus schon länger. Der deutsche Kellner war nach einer Analyse, an der die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) beteiligt war, eher ein Sündenbock als der wirkliche Fall 1. Schon Anfang Februar litt laut Ages eine 26-jährige Kellnerin der Bar an nur milden Symptomen - und ging nicht zum Arzt. Sie wurde am 9. März positiv getestet. Drei norwegische Studenten machten auf ihrer Rückreise von der Lombardei einen Stopp in Ischgl. Sie wurden am 6. März positiv getestet.

In den Tagen darauf wurden in Ischgl erst die Après-Ski-Lokale und dann das Skigebiet geschlossen. Am 13. März - die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte die Lungenkrankheit zwei Tage zuvor zur Pandemie erklärt - wurde das gesamte Tal für schließlich sechs Wochen unter Quarantäne gestellt. Bei der Abreise der Touristen herrschte Chaos, das wohl zusätzlich zum Export des Virus beigetragen hat. 

Der Schatten dieser dunklen Wochen reicht bis in die Gegenwart. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnt gern vor einem «zweiten Ischgl», wenn er über Verbreitungsgefahren spricht. Aktuell gilt die Sorge der in Tirol verbreiteten Südafrika-Variante des Virus. Das Bundesland hat deshalb eine Test-Offensive gestartet. Auch auf Druck des Bundes sind obendrein seit 12. Februar Ausreisen nur noch mit negativem Coronatest möglich. Doch Deutschland hat seinerseits die Grenze zum Nachbarn Tirol bis auf Ausnahmen praktisch dichtgemacht. Vertrauen sieht anders aus.

Für Ischgl und seine Bewohner hat die Infektionswelle vom März 2020 auch positive Folgen. Damals steckten sich nach einer späteren Studie der Medizinischen Universität Innsbruck mindestens 42 Prozent der Bürger an, die meisten merkten es gar nicht. Acht Monate später wiesen noch 90 Prozent von ihnen Antikörper und damit einen wohl hohen Schutz gegen eine erneute Infektion auf. Das würde auch erklären, warum die zweite Corona-Welle im Herbst 2020 an dem Ort fast spurlos vorbeiging. Die Neuinfektionsrate lag laut der Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer in diesem Zeitraum bei unter einem Prozent. (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

In den Herbstferien werden kaum Strandkörbe an der Ostsee zu finden sein. Dabei sollte ein Erlass den Streit um Aufstellfristen beilegen. Die neuen Regeln seien aber praxisfern, kritisieren Verleiher.

Die touristische Branche in Nordrhein-Westfalen blickt mit gemischten Erwartungen auf die anstehenden Herbstferien. Eine gemeinsame Betriebsbefragung von Tourismus NRW und dem DEHOGA NRW zeigt, dass die Nachfrage momentan heterogen ist, wobei insbesondere Ferienwohnungen und -häuser überdurchschnittlich gut gebucht sind.

Laut einer aktuellen Trendstudie von Hilton verlagert sich der Fokus deutscher Reisender im Jahr 2026 stärker auf emotionale Beweggründe. Diese Reisen sind demnach weniger vom Zielort als vielmehr vom Wunsch nach Erholung, der Wiederverbindung mit Liebsten und der Suche nach bedeutsamen Erlebnissen geprägt.

Der neue Nordsee Tourismus Report 2025 verzeichnet einen signifikanten Rückgang des Besucherinteresses an der deutschen Nordseeküste. Eine erste Hochrechnung für das kommende Jahr deutet auf einen weiteren Rückgang im zweistelligen Bereich hin.

Deutschland hat im aktuellen Anholt Nation Brands Index (NBI) 2025 sein international ausgezeichnetes Image bestätigt. Deutschland bleibt wie in den Vorjahren Spitzenreiter unter den 30 im NBI erfassten europäischen Ländern.

Der aktuelle „Reisetrends 2026”-Report von Skyscanner beleuchtet die Entwicklungen, die das Reisejahr 2026 prägen werden. Die Analyse konzentriert sich auf sieben zentrale Trends sowie die beliebtesten aufstrebenden und preisgünstigsten Destinationen für deutsche Reisende.

Das Reiseportal Urlaubsguru hat seinen jährlichen Trendreport für das Jahr 2026 veröffentlicht. Die Ergebnisse beleuchten neue Trendreiseziele, veränderte Lifestyle-Präferenzen und entscheidende Kriterien im Familienurlaub.

Omio hat seinen jährlichen NowNext '25 Report veröffentlicht. Dieser zeichnet ein Bild des zukünftigen Reiseverhaltens weltweit, von emotionalen Beweggründen über generationsspezifische Vorlieben bis zu gefragten Reisezielen und veränderten Ansprüchen.

Eine TUI-Analyse zeigt eine klare Tendenz zu bewusstem, individuellem Urlaub, wobei fast die Hälfte der Deutschen das meiste Geld im Urlaub für Essen und Trinken ausgibt. Gleichzeitig bleibt der Wunsch nach Planbarkeit hoch.

Eine aktuelle Untersuchung des Reiseveranstalters Fit Reisen beleuchtet, welche der UNESCO-Welterbestätten weltweit die höchste Online-Aufmerksamkeit generieren. Die Ergebnisse zeigen eine klare Dominanz europäischer Stätten.