Außenministerium startet «Luftbrücke» für im Ausland gestrandete Deutsche

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Berlin (dpa) - Immer mehr Staaten kapseln sich angesichts der Corona-Pandemie ein - mit dramatischen Folgen für ihre Bürger, die Wirtschaft und andere Bereiche wie etwa Sport und Kultur. Während die Bundesländer am Dienstag die Vorbereitungen für ein beispielloses Herunterfahren des öffentlichen Lebens trafen, sprach die Bundesregierung eine weltweite Warnung für touristische Reisen aus. Außenminister Heiko Maas (SPD) kündigte eine «Luftbrücke» für im Ausland gestrandete Deutsche an. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union vereinbarten ein Einreiseverbot für Nicht-EU-Bürger mit nur wenigen Ausnahmen.

Die Krise trifft die Wirtschaft inzwischen mit großer Wucht - beim weltgrößten Autokonzern VW sollen schon bald die Bänder still stehen. Angesichts vieler leerer Regale in deutschen Supermärkten bemühte sich Agrarministerin Julia Klöckner (CDU), die Bevölkerung zu beruhigen.

RÜCKHOLAKTION FÜR DEUTSCHE

Die Bundesregierung startet eine beispiellose Rückholaktion für Tausende Deutsche, die wegen der Coronakrise im Ausland festsitzen. Außenminister Maas sprach am Dienstag von einer «Luftbrücke» vor allem für Urlauber in Marokko, der Dominikanischen Republik, den Philippinen, in Ägypten und auf den Malediven. Für die in den nächsten Tagen geplanten Rückholflüge will die Regierung bis zu 50 Millionen Euro ausgeben. Nach Schätzungen des Auswärtigen Amts sind derzeit noch mehr als 100 000 Personen in Urlaubsgebieten unterwegs.

Gleichzeitig sprach Maas eine formelle, weltweite Reisewarnung für touristische Reisen aus. Auch das hat es so noch nicht gegeben. Reisewarnungen werden normalerweise nur bei Gefahr für Leib und Leben ausgesprochen, etwas für Bürgerkriegsländer. «Wir müssen verhindern, dass weitere Deutsche im Ausland stranden», begründete Maas den ungewöhnlichen Schritt. «Bitte bleiben sie zu Hause!»

Vergleichbare Probleme - wenn auch in viel kleinerem Ausmaß - haben auch andere Staaten. So flog Litauen 31 Staatsbürger mit einem Militärflugzeug aus Deutschland in ihre Heimat aus.

Betroffene können sich auf der Internetseite des Auswärtigen Amts über die weiteren Planungen informieren und sich in eine Krisenvorsorgeliste eintragen. So will das Ministerium einen Überblick darüber bekommen, wie viele Leute zurückgeholt werden müssen. Maas sprach von einem «einmaligen Programm» und machte damit deutlich, dass es zu einem späteren Zeitpunkt doch deutlich schwieriger sein wird, nach Deutschland zurückzukehren.

ABSCHOTTUNG UND WEITERE VORBEREITUNGEN

In einem Video-Gipfel beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU ein Einreiseverbot für Bürger aus Nicht-EU-Staaten. «Deutschland wird das sofort umsetzen», sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Anschluss. Die Beschränkung gilt zunächst für 30 Tage. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ordnete das Verbot umgehend an. Es betrifft laut Innenministerium alle Flüge und Schiffsreisen, die ihren Ausgangspunkt außerhalb der Europäischen Union haben.

Die Landesregierung in Kiel beschloss, dass Touristen von diesem Mittwoch an Schleswig-Holstein nicht mehr betreten dürfen. Zugleich schließt das Küstenland alle Restaurants. 

Bund und Länder beschlossen am Dienstag einen Notfallplan für die Krankenhäuser in Deutschland. Darin heißt es, durch das «Auf-, Aus- und Umrüsten von Rehabilitationseinrichtungen, Hotels oder größeren Hallen können für die zahlreichen leichteren Behandlungsverläufe zusätzliche Kapazitäten aufgebaut werden».

TIEFE SPUREN IN DER WIRTSCHAFT

Am Dienstag kündigte Volkswagen, der größte Automobilkonzern der Welt, an, die Fabriken an diesem Donnerstag nach der Spätschicht für zunächst voraussichtlich zwei Wochen zu schließen. In den vergangenen Tagen hatte es auch in deutschen Werken erste bestätigte Fälle von Infektionen mit dem Sars-CoV-2-Virus gegeben. Auch die VW-Töchter Audi und Skoda kündigten einen vorübergehenden Produktionsstopp an.

Der Autobauer Daimler stoppt ebenfalls einen Großteil seiner Produktion in Europa. Die Maßnahme beginne noch in dieser Woche und dauere zunächst zwei Wochen, teilte er mit.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag warnte wegen der dramatischen Folgen der Corona-Krise vor einer Pleitewelle. Er forderte die Bundesregierung zu mehr Tempo bei Staatshilfen auf. «Nicht nur die Bekämpfung des Coranvirus, auch der Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen ist ein Wettlauf mit der Zeit», sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer der Deutschen Presse-Agentur.

VERKEHR

Der Fernbusanbieter Flixbus stellt den Betrieb bis auf weiteres wegen der Coronakrise ein. Flixbus werde alle nationalen sowie grenzüberschreitenden Verbindungen von und nach Deutschland ab Mitternacht aussetzen, teilte das Unternehmen am Dienstag mit. Auch die Deutsche Bahn reduziert ihre Beförderungskapazitäten. Sie lässt auf manchen Strecken ihre ICE-Züge jetzt nur noch mit der Hälfte der üblichen Waggons fahren.

LEBENSMITTELVERSORGUNG UND HAMSTERKÄUFE

Die Versorgung mit Lebensmitteln in Deutschland ist trotz Coronakrise nach den Worten von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner gewährleistet. «Die Lebensmittelversorgung ist gesichert», beteuerte die CDU-Politikerin in Berlin. «Ich will klar sagen: Die Supermärkte bleiben offen.» Alles andere seien Falschmeldungen. Bei Beschränkungen im Grenzverkehr gehe es nicht um Warentransporte. In vielen Supermärkten waren in den vergangenen Tagen immer wieder Nudeln, Reis, Mehl oder Toilettenpapier ausverkauft.

Einige Supermärkte etwa in Irland, Großbritannien, Norwegen und Belgien haben inzwischen damit begonnen, die in der Coronavirus-Krise besonders gefährdeten Senioren beim Einkaufen zu unterstützen. Sie richteten Extra-Kassen oder Sonderöffnungszeiten ein. Die deutschen Handelsketten zeigten sich allerdings bei einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur noch zögerlich.

BARGELDVERSORGUNG

Gesichert ist laut Deutscher Bundesbank auch die Versorgung der Bevölkerung mit Bargeld. «Das Bargeld wird in Deutschland nicht ausgehen, unsere Tresore sind prall gefüllt, die Logistik stimmt», sagte Bundesbank-Vorstand Johannes Beermann in Frankfurt. Das gelte auch für den Fall, dass sich das Virus weiter ausbreite und zusätzliche Maßnahmen getroffen würden. «Es gibt keinen Grund, Bargeld zu hamstern», sagte Jürgen Gros, der Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern, in München. Und auch die Kanzlerin sagte zu den Befürchtungen, das Bargeld könne knapp werden: «Es gibt keinerlei Anzeichen dafür.»

CORONA-PARTYS

Dass Clubs und Kneipen bundesweit schließen, scheint einigen jungen Leuten gar nicht zu gefallen. Sie feiern leichtsinnigerweise einfach privat weiter. So beendete die Polizei in Franken zwei sogenannte Corona-Partys. Rund 100 junge Menschen hatten sich am Montagabend in einem Nürnberger Stadtpark zum Feiern getroffen und dazu eine mit Generatoren betriebene Musik- und Lichtanlage laufen lassen, wie die Polizei am Dienstag mitteilte. Auch in Berlin registrierte die Polizei mehrfach Verstöße gegen das hier bereits seit dem Wochenende geltende Öffnungsverbot für Kneipen und Clubs. Die Polizei sprach von 22 Strafanzeigen am Montag. Sie will deshalb weiterhin kontrollieren.

Die Uneinsichtigen sollten sich die bereits millionenfach aufgerufenen Webseite #StayTheFuckHome (auf Deutsch: Bleib(t) verdammt nochmal zuhause) anschauen. Dort ruft Florian Reifschneider (29) zur Selbstdisziplin in der Coronavirus-Krise auf.

INFEKTIONEN IN DEUTSCHLAND

Bis Dienstag gab es in Deutschland nach dpa-Informationen rund 8600 Infektionen. 23 Menschen starben. Zurzeit liegen nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) rund 500 Menschen mit einer Corona-Infektion in deutschen Kliniken. Diese Zahl könnte sich in den den kommenden Tagen etwa verdreifachen, wie DKG-Präsident Gerald Gaß den Zeitungen der «Funke Mediengruppe» sagte. Die Kliniken wären damit nicht überfordert.

Infiziert hat sich auch der ehemalige Unionsfraktionschef Friedrich Merz, der den CDU-Vorsitz anstrebt. «Ein am Sonntag bei mir durchgeführter Corona-Test ist positiv. Ich werde bis Ende nächster Woche zuhause unter Quarantäne stehen», sagte Merz am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. I

FUSSBALL-EUROPAMEISTERSCHAFT VERSCHOBEN

Harte Zeiten für Fußballfans: Die Europameisterschaft 2020 findet aufgrund der Corona-Pandemie erst im Sommer 2021 statt. Das paneuropäische Turnier sollte mit München als einem von zwölf Gastgebern ursprünglich in diesem Sommer ausgetragen werden - die Clubs und Ligen drängten in der weltweiten Krise aber auf die Verlegung, um selbst mehr Zeit zu gewinnen. Den endgültigen Beschluss fasste das Exekutivkomitee der Europäischen Fußball-Union am Dienstag. Die Champions League und Europa League bleiben «bis auf weiteres» ausgesetzt. Die Bundesliga ruht ebenfalls.

HOFFEN IN BAYREUTH 

Die Bayreuther Festspiele haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass das Festival auf dem Grünen Hügel in diesem Sommer stattfinden kann. «Wir sind voller Optimismus, dass sich die Situation bessert», teilte das Pressebüro der Festspiele am Dienstag mit. Aber niemand könne mit Sicherheit sagen, wie sich die Lage in einigen Wochen entwickele. Eine Absage wäre ein «Supergau», hieß es. Die Bayreuther Festspiele sollen am 25. Juli starten, dieses Mal mit den «Meistersingern von Nürnberg». (dpa)


 

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