Redeangst als Karrierekiller: Schweigen im Job ist nicht immer Gold

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Manche Menschen können schon Tage vor einer Präsentation nicht mehr ruhig schlafen, anderen graut es vor Vorstellungsrunden in Meetings. Sind sie an der Reihe, klopft das Herz, die Stimme zittert oder sie haben das Gefühl, kein vernünftiges Wort mehr herauszubringen.

Klar, ein wenig Nervosität vor einem Vortrag ist normal, und nicht jeder hält gern große Reden. Fürchtet man sich aber regelmäßig davor, mit oder vor anderen Menschen zu sprechen, bezeichnen Experten das als Rede- oder Sprechangst. Das, was wir eigentlich ganz selbstverständlich tun, wird dann zur Hürde.

«Redeangst ist ein starkes Angstgefühl in bestimmten Sprechsituationen», erklärt Ulla Beushausen, Psycholinguistin und Professorin für Logopädie an der HAWK Hochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen. «Es werden Adrenalin und andere Botenstoffe ausgeschüttet, die dazu führen, dass man anfängt zu zittern, dass der Herzschlag sich erhöht, dass vielleicht eine Röte im Gesicht auftritt». Viele wollen dem lieber aus dem Weg gehen. «Was dann einsetzt, ist die Angst vor der Angst», sagt Beushausen. Ein Teufelskreis.

Kleine Situationen, große Angst

Redeangst kann Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen und Kontexten treffen. «Aber in letzter Zeit sehe ich immer häufiger Menschen, die im beruflichen Alltag Probleme haben», sagt die Professorin, die einen Ratgeber zum Thema geschrieben hat («Sicher und frei reden: Sprechängste erfolgreich abbauen»).

Dabei muss es gar nicht unbedingt die wichtige Präsentation vor Kunden sein, die Menschen die Sprache verschlägt. «Es kann auch schon in einem kleinen Teammeeting auftreten, in den normalen Dienstbesprechungen», sagt Beushausen. «Man merkt: Ich traue mich einfach nicht etwas zu sagen, weil da sitzt der Chef dabei - und der könnte das, was ich sage, ja auch negativ bewerten.»

Selbst ein Zweiergespräch kann für Betroffene zum Problem werden, sagt die Berliner Coachin und Juristin Ulrike Strohscheer, die Menschen mit Redeangst berät. Etwa dann, wenn der Gesprächspartner «eine Hierarchieebene» über einem steht. Das Feedbackgespräch mit der Vorgesetzten kann so eine Situation sein. Aber auch der fachliche Austausch mit dem Teamleiter. Menschen mit Redeangst hätten oft das Gefühl, «nicht das sagen zu können, was man eigentlich gerne sagen würde», so Strohscheer. «Oder nicht in der Lage zu sein, sich so auszudrücken, wie es eigentlich notwendig wäre.»

Redeangst als Karrierekiller

Das ist nicht nur belastend. Redeangst kann auch zum Bremsklotz für die Karriere werden. Nämlich dann, «wenn die Redeangst dazu führt, dass wir bestimmte Dinge, die für unseren Job förderlich wären, nicht tun», sagt Ulrike Strohscheer. Aus Angst hält man etwa mit der eigenen Expertise hinterm Berg, statt sie im Teammeeting zu teilen - oder drückt sich vor jeder noch so kleinen Präsentation.

«Ich hatte schon Klientinnen, die dann überlegt haben: muss ich meinen Job wechseln?», sagt Psycholinguistin Beushausen. «Also gehe ich in eine Situation rein, wo ich weniger sprechen muss?»

Was also können Betroffene tun? Strohscheer zufolge ist zunächst vor allem eines gefragt: Ursachenforschung. «Wovor genau habe ich eigentlich Angst? Warum löst diese Situation in mir bestimmte Befürchtungen aus? Woher kenne ich das damit verbundene körperliche Gefühl - und an wen oder was erinnert mich das?»

Oft stecke hinter Redeangst die Angst vor Bewertung. Und davor, nicht genug geleistet zu haben, sagt Beushausen. Betroffen seien häufig sehr leistungsorientierte Menschen oder Perfektionisten. Jeder kleine Versprecher werde von ihnen als persönliches Versagen gewertet, viele hätten Angst, dass andere ihre Aufgeregtheit beim Sprechen bemerken. «Was in der Regel gar nicht der Fall ist. Denn das, was man innen spürt, das kommt nicht unbedingt bei den anderen an.»

Üben, üben, üben - auch privat

Ist der Leidensdruck hoch, vermeidet man etwa jedes Telefonat oder meldet sich sogar lieber krank, statt eine Präsentation zu halten, dann rät Ulla Beushausen, sich professionelle Hilfe zu suchen. Ansprechpartner sind etwa Psychotherapeuten, Logopäden oder Sprachtherapeuten.

Außerdem wichtig: selbst aktiv werden - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, indem man den Mund aufmacht. Denn der Gewöhnungseffekt spielt Beushausen zufolge eine große Rolle. «Und deswegen sollte ich mir tunlichst Situationen suchen, wo ich freiwillig etwas präsentieren kann. Das kann auch durchaus erst mal außerhalb der Arbeit sein, also im Privatleben.»

Ein guter Start etwa: anlässlich einer Geburtstagsfeier im Familien- oder Freundeskreis ein paar Worte verlieren, eine kleine Rede halten. Eine andere Möglichkeit: mit vertrauten Teamkollegen trainieren, etwa indem man einmal kurz über die letzte Fortbildung berichtet, die man besucht hat.

Beushausen rät zudem, sich Redesituationen als Übungen vorzustellen. «Denn zu denken, ich übe noch, nimmt den Druck mehr raus, als wenn ich denke, ich muss jetzt sofort ganz perfekt sprechen.» Sagen könne man sich zudem: «Ich bin aufgeregt. Das ist okay. Aber ich mache jetzt weiter, ich rede trotzdem.»

Den inneren Film ändern

Stockt man während des Sprechens, kann es helfen, die eigene Aufgeregtheit bewusst zu thematisieren statt sie zu überspielen. «Wenn wir offen und ehrlich dazu stehen, dass wir beispielsweise aufgeregt sind oder dass wir den Faden verloren haben, dann wird das in aller Regel positiv aufgenommen», erklärt Strohscheer.

Und auch gute Vorbereitung kann helfen: Fürchtet man sich etwa besonders vor Vorstellungsrunden in Meetings ist es hilfreich, sich im Vorfeld einige Sätze zurechtzulegen, rät die Coachin. «Wer bin ich? Was mache ich? Wem helfe ich? Wenn man das auf der Pfanne hat und abrufen kann, dann ist es in der Regel auch viel weniger angstbehaftet.»

Ein Tipp für alle, die sich vor einer Redesituation mit Ansage fürchten, beispielsweise einer Präsentation: Die Technik des inneren Films anwenden. «Viele Menschen stellen sich vorab praktisch den Supergau im Kopf vor», erklärt Ulla Beushausen. Sinnvoll sei dann, den Film im Kopf bewusst zu ändern - und sich die Situation in einer positiv ablaufenden Variante vorzustellen. «Ich mache eine Inszenierung von meiner Präsentation im Kopf und schaue mir die an. Und dann überlege ich mir an den Stellen, wo es kritisch wird: Was kann ich tun? Wie soll es sein, dass ich es bewältige?»

Zwar werde man die Angst vorm Reden in der Regel nie ganz vollständig los, sagt Beushausen. «Aber wenn Sie sich mit Ihrer Angst auseinandersetzen, dann haben Sie die Möglichkeit, dass die Sie nicht mehr behindert, sondern dass Sie zusammen mit ihrer Angst die meisten Sprechsituationen gut bewältigen können.» (dpa)


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