Bayerische Polizei nutzt Corona-Gästelisten zur Verfolgung kleinerer Delikte

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Eigentlich zur Eindämmung der Corona-Pandemie eingeführt, nutzt die Polizei in Bayern Gästelisten in Restaurants jetzt auch als Ermittlungshilfe zur Verfolgung kleinerer Delikte. Um die Listen und ihre Rolle bei der Strafverfolgung war jüngst eine deutschlandweite Diskussion entbrannt.

Die Polizei in Bayern hat Daten von Gästelisten aus der Gastronomie in einzelnen Fällen auch zur Verfolgung eher kleinerer Delikte genutzt. Das geht aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag hervor, die der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch in München vorlag. Zuvor hatte die «Süddeutsche Zeitung» darüber berichtet.

Der Antwort zufolge griffen die Beamten mit Stand Ende Juli in 24 Fällen auf die Gästelisten zurück, die Besucher etwa von Restaurants oder Biergärten ausfüllen. Dreimal ging es dabei um Betrug, je einmal um Diebstahl und Beleidigung. Viele Abfragen beziehen sich allerdings weiter auf gravierendere Fälle der Strafverfolgung, etwa Mord und Totschlag, gefährliche Körperverletzung oder Bedrohung. Dreimal wurden die Listen für die Suche nach Vermissten herangezogen.

Mitte Juli hatte eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergeben, dass die bayerische Polizei solche Gästeliste-Daten nutzt. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verteidigte danach das Vorgehen, die Gästelisten aus Restaurants könnten «im Einzelfall wichtige Ermittlungsansätze liefern». Gerade Kapitalverbrechen müssten sorgfältig ausermittelt werden, damit der Täter seine gerechte Strafe erhalte.

Ein Sprecher seines Ministeriums betonte am Mittwoch, dass im Einzelfall ein Zugriff auf die Gästeliste-Daten auch bei weniger schweren Delikten verhältnismäßig sein könne. Der Gesetzgeber habe allerdings keine bestimmte Delikt-Schwere vorgeschrieben, weshalb das Vorgehen der Ermittler völlig legal und immer eine Einzelfallentscheidung sei, auch in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft.

FDP-Fraktionschef Martin Hagen kritisiert das Vorgehen der Ermittler gerade bei weniger gravierenden Fällen der Strafverfolgung trotzdem: «Ich halte das für hochproblematisch. Diese Gästelisten wurden ausschließlich zur Pandemiebekämpfung eingeführt. Eine Zweckentfremdung zerstört das Vertrauen der Bürger in staatliches Handeln und die Akzeptanz für die Corona-Regeln», sagte er der «Süddeutschen Zeitung» am Mittwoch.

Gaststätten sind verpflichtet, persönliche Daten ihrer Gäste zu sammeln, damit die Gesundheitsämter mit deren Hilfe im Falle einer Covid-19-Erkrankung weitere potenziell infizierte Personen identifizieren können. Vorfälle in mehreren Bundesländern, bei denen die Polizei die Gästedaten auch zur Strafverfolgung nutzte, hatten eine Diskussion darüber losgetreten.

Um die Nutzung der Daten ist eine Diskussion entbrannt. Denn eigentlich sind die Angaben vorrangig für örtliche Gesundheitsämter bestimmt und eine wichtige Recherchequelle im Fall eines Corona-Ausbruchs. Und meistens wird auf den Formularen Vertraulichkeit und eine Löschung nach vier Wochen zugesichert. Sind Zugriffe der Polizei da überhaupt zulässig?

BESCHLAGNAHME ZUR STRAFVERFOLGUNG MÖGLICH   

Die Polizeien oder Innenministerien in Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen meldeten, dass ihnen bislang keine Zugriffe auf Corona-Gästelisten bekannt seien. Die Behörden wiesen aber darauf hin, dass solche Zugriffe im Rahmen von Strafverfahren unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit rechtlich durchaus erlaubt seien.

Grundlage dafür ist die bundesweit geltende Strafprozessordnung. Demnach kann ein Richter anordnen, Gegenstände zu beschlagnahmen - das könnten auch Corona-Gästelisten sein, wenn sie für Ermittlungen von Bedeutungen sind. Ist Gefahr im Verzug, kann auch ein Staatsanwalt dies anordnen. Auch wenn die Daten grundsätzlich nur für den eigentlichen Zweck genutzt werden dürften, sei für die Aufklärung von Straftaten eine «Zweckänderung» möglich, heißt es etwa bei der bayerischen Polizei.

ZUGRIFFE IN RHEINLAND-PFALZ, HAMBURG, BAYERN UND BREMEN

In Rheinland-Pfalz registrierte das Innenministerium bislang rund ein Dutzend Fälle, in denen entsprechende Listen im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen verwendet wurden. Dabei sei es überwiegend um Gewalt- und Sexualdelikte gegangen, sagte eine Sprecherin. In Hamburg sind bislang fünf Fälle bekannt, in denen die Polizei für Ermittlungen auf Gästedaten zurückgegriffen hatte, in Bayern sind es mindestens zehn. In Bremen spricht die Innenbehörde von Zugriffen in Einzelfällen. Dabei ging es jeweils um die Aufklärung von Straftaten, unter anderem ein Sexualdelikt und eine gefährliche Körperverletzung.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verteidigten zuletzt diese Vorgehensweise. «Es handelt sich um schwere Straftaten, bei denen das zur Ermittlung des Täters und für die Aufklärung der Straftat sinnvoll und richtig ist», sagte Herrmann jüngst im ARD-«Mittagsmagazin».

BADEN-WÜRTTEMBERG BETONT ZWECKBINDUNG

Eine bundesweit einheitliche Registrierungspflicht für Gäste in Restaurants und Cafés gibt es nicht. In Sachsen etwa ist sie nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgeschrieben, wenn Mindestabstände nicht eingehalten werden können. Viele Länder verlangen solche Listen aber - um Corona-Infektionsketten nachverfolgen zu können.

Baden-Württemberg etwa beruft sich auf diese Zielsetzung. Aus der Corona-Verordnung «ergibt sich eine ausdrückliche und aus unserer Sicht eindeutige Zweckbindung», sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Innenminister Thomas Strobl (CDU) machte in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe deutlich: «Eine Verwendung etwa von der Polizei, um Straftaten zu verfolgen, ist unzulässig.»

Bislang keine Zugriffe auf Corona-Gästelisten bei strafrechtlichen Ermittlungen meldeten die Innenministerien in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Entsprechende Abfragen habe es noch nicht gegeben, sagte etwa eine Ministeriumssprecherin in Erfurt. Möglich seien sie nur in begründeten Ausnahmen.

GASTSTÄTTENGEWERBE UND OPPOSITION KRITISCH 

Der Gaststättenverband Dehoga hatte zuletzt von den Landesregierungen Klarheit gefordert, ob und wie die Polizei die Corona-Gästelisten auswertet. «Das ist hochgradig sensibel», sagte die Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges der «Rheinischen Post». (Tageskarte berichtete)

Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga brachte den Funke-Zeitungen zufolge in einem Schreiben an seine Mitglieder ebenfalls Sorge um die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen zum Ausdruck. In jedem Fall solle „äußerst zurückhaltend von derartigen Zweckänderungen der Datenerhebung Gebrauch gemacht werden“, heißt es darin demnach. „Andernfalls könnten Konfliktsituationen zwischen Gastwirten und Gästen zunehmen, wenn Gäste aufgrund gehäufter polizeilicher Abfragen Vorbehalte gegen die vorgeschriebene Gästedatenregistrierung haben.“

 

Unterstützung kam dazu auch von der FDP-Fraktion im Bundestag. «Was unsere Bürgerinnen und Bürger zurecht erwarten, ist, dass ihre Daten nicht einfach zweckentfremdet werden. Alles andere schadet dem Vertrauen und der Akzeptanz, die aber Grundvoraussetzungen sind», sagte der stellvertretende Vorsitzende Stephan Thomae. Die Polizeibehörden sollten daher behutsam und zurückhaltend agieren.

Eren Basar, Mitglied des Deutschen Anwaltvereins im Ausschuss für Gefahrenabwehrrecht, forderte, den Datenschutz von Bürgerinnen und Bürgern auch in der Corona-Pandemie zu wahren. «Mit den Corona-Gästelisten werden weitflächig Daten gesammelt, was wir unter normalen Umständen nie billigen würden», sagte Basar. Zwar gebe es mit der Pandemie eine Sondersituation. «Ich glaube aber, dass wir eine gesetzliche Regelung brauchen, die einen uferlosen Zugriff auf diese Daten verbietet.» Basar schlägt daher ein gesetzliches Beweisverwertungsverbot für die Gästelisten vor. Nur so werde gewährleistet, dass es nicht so falschen Angaben kommt und die Listen ihren eigentlichen Zweck erfüllen.

Vertreter der Polizeigewerkschaften verteidigten die Praxis. «Es gehört zu den Kernaufgaben der Polizei, Gefahren abzuwehren und Straftaten zu verfolgen», sagte der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek. «Dazu kann auch - je nach landesrechtlicher Konkretisierung der Regelungen - die Möglichkeit gehören, Dokumente einzusehen, wie etwa solche Corona-Gästelisten.»

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, betonte eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Aber: «Wenn der Verdacht einer Straftat vorliegt und andere Ermittlungsansätze nicht erkennbar sind, muss es die Möglichkeit geben, in solche Gästelisten einzusehen und die Daten auszuwerten, das sehen die jeweiligen Gesetze auch vor.» (dpa)


 

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