Biergärten in Bayern- Lebensart vom Volk erkämpft

| Gastronomie Gastronomie

Frühling, Sonne - draußen sitzen: Mit den steigenden Temperaturen füllen sich die Biergärten, der Freiluft-Ausschank nimmt Fahrt auf. Dabei gibt es ein paar ganz spezielle bayerische Besonderheiten.

Die Brotzeit

Mancher «Zuagroaste» - auf Hochdeutsch der Zugereiste - staunt, wenn Einheimische im Biergarten - meist im oberbayerischen Raum - ihre eigene Tischdecke entfalten, Geräuchertes, Käse und Rettich, Salzstreuer und Besteck ausbreiten und gar ein Kerzchen anzünden. Das Mitbringen von Speisen ist hier verbürgtes Recht, das so in der Begründung zur bayerischen Biergartenverordnung steht: Einen Biergarten kennzeichne neben dem Gartencharakter die Möglichkeit, «dort auch die eigene Brotzeit unentgeltlich verzehren zu können». Nicht erwünscht: Sich die Pizza an den Biertisch liefern lassen. Hendl, Schweinsbraten, Würstel, manchmal Steckerlfisch - das gibts meist an den Verkaufsständen im Biergarten. 

Die Revolution

Wenn es um ihr Recht auf den Biergarten geht, sind die Bayern zum Aufstand bereit. Rund 20 000 Menschen demonstrierten vor 30 Jahren am 12. Mai 1995 bei der sogenannten Biergartenrevolution gegen Einschränkungen bei den Öffnungszeiten. Die Demonstranten zogen zur Staatskanzlei und forderten: «Rettet den Biergarten». Anwohner hatten wegen Lärms geklagt und zunächst vor Gericht Recht bekommen. Biergärten hätten demnach ab 21.30 Uhr kein Bier mehr ausschenken sollen. «Im Sommer ist es da noch taghell», erläutert die Präsidentin des Vereins zur Erhaltung der Biergartentradition, Ursula Seeböck-Forster, den Volkszorn. Der Freistaat erließ auf den Protest hin die Biergartenverordnung, nach der bis 22.30 Uhr ausgeschenkt werden kann, um 23.00 Uhr soll - von Einzelentscheidungen abgesehen - Ruhe herrschen.

Sozialevent

Die Biergartenrevolution sei enorm wichtig gewesen, sagt Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga Bayern. «Der Protest hat maßgeblich dazu beigetragen, die bayerische Biergartenkultur zu erhalten.» Auch das Recht zum Mitbringen der eigenen Brotzeit mache Biergärten für ein breites Publikum attraktiv. Seeböck-Forster verweist ebenfalls auf die soziale Komponente. Der Biergarten sei gerade in der Großstadt wichtig für Familien mit Kindern und nicht so viel Geld. Dort könnten sie im Freien sein und essen, oft gebe es Kinderspielplätze. «Wo soll denn eine Familie mit Kindern in der Großstadt einigermaßen kostengünstig hin? Ein Biergarten hat in der Großstadt eine große soziale Funktion.» 

Biergarten oder Wirtsgarten?

Die Frage, wann eine Außenfläche als Biergarten zählt oder eben nur als Wirtsgarten, hat bereits Gerichte beschäftigt. Denn mancher Wirt und manche Wirtin möchte gern draußen länger ausschenken. Biergärten seien durch ihre besondere Betriebsweise und Funktionalität von anderen Bereichen der Außengastronomie zu unterscheiden, urteilte der Verwaltungsgerichtshof in München 2023. Kleinere Wirtsgartenflächen in ansonsten eher nicht begrünter Umgebung könnten dem notwendigen Gesamtbild auch nicht entsprechen, wenn dort einige Bäume stünden. Auch die Erlaubnis zum Mitbringen eigener Speisen genüge nicht. «Zur Beurteilung des Vorliegens der "traditionellen Betriebsform" kommt es auf das Gesamtbild der Bewirtschaftung an.»

Frei von Alkohol - und Cannabis?

Praktisch überall gibt es längst alkoholfreies Bier. Hier gelte «leben und leben lassen», sagt Seeböck-Forster. «Es ist wichtig, dass es alkoholfreie Angebote gibt. Aber ein gescheites Bier soll es trotzdem auch geben.» Ein vorübergehend eingerichteter Pop-Up-Biergarten hatte im vergangenen Sommer in München für Wirbel gesorgt mit der Ankündigung, nur alkoholfreies Bier und anderes Anti-Alkoholisches auszuschenken. Er schloss laut Interneteintrag nach etwa zwei Monaten wieder. «Uns sind aktuell keine rein alkoholfreien Biergärten bekannt», sagt Dehoga-Landesgeschäftsführer Geppert. «Alkoholfreies Bier wird aber durchaus beliebter und ist inzwischen meist Standard.»

Als vor einem Jahr die Teillegalisierung von Cannabis kam, tauchte auch die Frage auf: Darf im Biergarten gekifft werden? Die bayerische Staatsregierung verbot schließlich den Cannabiskonsum in Biergärten, auf Volksfesten und in einigen Parks komplett. Damit können Cannabis-Plätzchen wohl eher nicht als Teil der mitgebrachten Brotzeit gelten. 

200-jährige Geschichte 

Die Maß Bier unter Kastanien und eine mitgebrachte Brotzeit gehören in Bayern seit über 200 Jahren zum kulturellen Erbe: Am 4. Januar 1812 erlaubte König Max I. den Brauern, über ihren Bierkellern Bier auszuschenken - ohne Speisenangebot. Vorangegangen war ein Streit zwischen Brauern, Wirten und Gästen, der teils in Prügeleien endete.

Das Bier lagerte damals in unterirdischen Gewölben. Darüber pflanzten die Brauer schattenspendende Kastanien, um die Lagerräume kühl zu halten. An heißen Tagen lockte der Schatten auch Kunden zur Rast, die Bier holten - so mancher Krug wurde gleich geleert. Der neue Ausschank sorge für Ärger mit den Wirten, den erst der königliche Erlass 1812 befriedete. Demnach durften die Brauer von Juni bis September ihr Märzenbier ausschenken, um es «in minuti zu verschleißen», also: sofort zu trinken. Allerdings durften sie - zugunsten der Gastwirte - nur Brot anbieten. Weil die Biergarten-Gäste ihre Maß nicht auf nüchternen Magen trinken wollten, brachten sie ihr Essen kurzerhand mit. Aus der Gewohnheit wurde Tradition. (dpa)

Zurück

Vielleicht auch interessant

Im Zuge der Neupositionierung des Conservatorium Hotels als Mandarin Oriental Conservatorium, Amsterdam eröffnet Anfang 2026 das erste Ottolenghi-Restaurant in den Niederlanden.

Der Lieferando Report 2025 analysiert die aktuellen Entwicklungen im deutschen Liefermarkt. Neben einem massiven Wachstum bei koreanischen Gerichten und viralen Food-Trends etabliert sich der Dienst zunehmend als Lieferquelle für Non-Food-Artikel.

Die Jeunes Restaurateurs Deutschland ziehen Bilanz für das Jahr 2025. Neben der politischen Arbeit im Bundestag und dem Einsatz für einen reduzierten Mehrwertsteuersatz standen soziale Charity-Projekte sowie kulinarische Innovationen im Mittelpunkt.

Die Mercedes-Benz Gastronomie führt am Standort Sindelfingen einen autonomen Kochroboter ein. Das System soll ab Sommer 2026 die Kapazitäten in der Kantine erhöhen und eine durchgängige Mahlzeitenversorgung für Schichtarbeiter gewährleisten.

Tschechien hat mit der feierlichen Michelin-Gala am 11. Dezember einen bedeutenden Meilenstein erreicht: Erstmals vergab der Gourmetführer landesweit Auszeichnungen und beschränkte sich damit nicht mehr nur auf die Hauptstadt Prag.

Eine aktuelle Untersuchung des Zahlungsdienstleisters SumUp zeigt die Hauptsorgen von Kleinunternehmen in der Gastronomie. Gestiegene Betriebskosten und der Fachkräftemangel führen zu reduzierten Gewinnspannen und fordern von den Betrieben schnelles Handeln.

Die britische Gastronomiekette Heavenly Desserts expandiert nach Deutschland. Das Unternehmen eröffnete jetzt seine erste Filiale auf dem deutschen Markt. Standort ist das Westfield-Center in Hamburg.

Die Boilerman Bar in der Hamburger HafenCity präsentiert sich nach Umbau mit einem neuen Interieur und erweitertem Platzangebot. Ein interner Wechsel an der Spitze der Bar-Leitung ist vollzogen. Der Fokus liegt weiterhin auf Highballs, insbesondere mit Rum.

Die aktuelle Selektion des Guide Michelin für die Türkei umfasst insgesamt 54 neue Restaurants. Mit der erstmaligen Aufnahme der Region Kappadokien in den Guide spiegelt die Auswahl die kulinarische Vielfalt des Landes wider und umfasst nun Istanbul, Izmir, Muğla und Kappadokien.

Eine aktuelle Umfrage in der Hamburger Gastronomie beleuchtet, welche Kriterien für Gäste bei der Restaurantwahl ausschlaggebend sind und wie sich das Konsumverhalten über verschiedene Altersgruppen hinweg verändert.