Nach 28 Jahren Michelin-Stern erlaubt sich Spitzenkoch Martin Scharff eine Neupositionierung seines Restaurants Schlossweinstube. Mit der aktuellen Entwicklung der Sterneküche kann er sich nicht mehr identifizieren: zu inflationär und einheitlich: Daher: „weniger Stern mehr Freiheit“.
Wenn Anfang März der Guide Michelin seine Sterne verteilt, dann wird es das erste Mal sein, dass Martin Scharff das nicht sonderlich interessiert. Über 28 Jahre hat er – und einst als Jüngster seiner Zunft in Deutschland – den Stern behaupten können. Doch mit Beginn des neuen Jahres wird sein Restaurant Schlossweinstube im Schloss Heidelberg eine neue Ära erfahren. „Ich möchte zurück zu meinen eigentlichen Wurzeln, mir wieder mehr Freiheit schaffen, ohne die Grundlagen der Sterneküche berücksichtigen zu müssen“, sagt er. Seit über acht Jahren ist Scharff Herr über das komplette gastronomische Angebot im Schloss Heidelberg. Dazu gehört die Sattelkammer, die Vinothek, die Backstube genauso wie die Schlossweinstube. Ins Schloss als größter touristischer Anziehungspunkt der Region strömen täglich mehrere Tausend Touristen. Zudem ist sein Unternehmen Catering-Partner für Hochzeiten und Events ebenso wie für zahlreiche externe Veranstaltungen. „Aber wir kochen in erster Linie für die Heidelberger, die Region und den anspruchsvollen Tagestouristen. Das möchte ich wieder mehr in den Fokus rücken.“
Mit der aktuellen Entwicklung der Sterneküche kann sich der Spitzenkoch nicht mehr identifizieren: „Für mich ist das mittlerweile schon sehr optische Uniformität und hat oftmals nichts mehr mit klassischem Handwerk zu tun. Ich möchte weg von der verspielten Dekoriererei, der Pinzettenküche und Kressemanie und wieder zurück zum Basis-Geschmack.“ Er nennt es eine regionale Jahreszeitenküche im Dialog mit der Welt. „Ich wertschätze die moderne, deutsche Küche, die von besten regionalen und saisonalen Produkten lebt und auf Basis der klassischen französischen Küche auf höchsten Niveau zubereitet wird. Gleichzeitig schöpfe ich viel Kreativität aus Produkten, Rezepten und Gewürzen der Länder, die ich bereist habe. Das alles möchte ich zu meiner neuen, unkomplizierten Geschmacksküche vereinen.“ So finden sich in Zukunft auf der Speisekarte seine Lieblingsgerichte, wie Variationen vom Kalb oder klassische Schmorgerichte, aber eben auch weltoffene Interpretationen, wie Ceviche von der Odenwälder Lachsforelle.
Wieder für ein breiteres Publikum kochen
„Ich habe keine Lust mehr, immer wieder zu hören, dass man sich Sternküche nicht oder nur selten leisten kann. Meine Kochkunst soll nicht mehr nur einer kleinen Zahl von Gästen zukommen, sondern ich möchte wieder mehr Menschen erreichen.“ Daher will Scharff sein Restaurant auch preislich attraktiver machen: Ab sofort soll es ein regionales 3-Gänge-Menü für circa 50 Euro sowie das Degustationsmenü für unter 100 Euro geben. À la Carte-Hauptgerichte beginnen dann bereits ab 24 Euro. Ein weiterer Schwerpunkt wird auf das reichhaltige Weinangebot gesetzt. Neben einem größeren Angebot an offenen Weinen soll auch der Beratung durch den hauseigenen Sommelier mehr Raum gegeben werden. Die Öffnungszeiten der Schlossweinstube konzentrieren sich ab April auf das Wochenende.
Doch für das gesamte Unternehmen hat sich Scharff eine neue Ausrichtung auferlegt. Weiterhin wird es über das Jahr hinweg ein rundes kulinarisches Programm in den Schlossgastronomien geben, allerdings will er sich noch mehr nur auf die erfolgreichen Formate konzentrieren. Zum Beispiel auf sein Gourmet & Wein Festival im April, für das er in diesem Jahr seinen alten Lehrmeister, Harald Wohlfahrt, gewinnen konnte. Auch der neue Kooperationspartner, die Weisse Flotte Heidelberg, wird fest in die Aktivitäten eingebunden. Auf der MS Victoria, einer 30 Meter langen Yacht der Flotte, sind bereits über das Jahr hinweg Sonntags- und Feiertags-Brunchtermine eingeplant.
Schlossgastronomie soll Top-Ausbildungsstätte bleiben
Die Ausbildung liegt ihm am Herzen. Schon immer wurde in den Schlossgastronomien auf eine „ausbildungsnahe“ Küche Wert gelegt – das soll zukünftig aber noch wichtiger werden: „Mit der Rückkehr zur traditionellen französischen Küche unterstreichen wir den Ansatz der ausbildungsnahen Küche, um den Auszubildenden Rüstzeug fürs Leben mitzugeben. Wir vermitteln nicht nur das klassische Handwerk, sondern auch Respekt vor der Natur, indem wir auch mal ganze Tiere verarbeiten und nicht mehr nur die Filetstückchen der Haute Cuisine. Das ist gelebte Nachhaltigkeit – auch in der Spitzengastronomie. “
Zwischen 10 und 14 Auszubildende sind das Jahr über bei der Heidelberger Schloss Gastronomie & Events beschäftigt. Derzeit sind es 8 angehende Köche aus 6 Nationen sowie 4 Restaurantfachkräfte. Die Ausbildung ist vielfältig, da vom gehobenen Bankett bis Gourmet sowie Catering im großen und kleinen Stil zu den Aufgaben gehören. Regelmäßig kommen die Besten der IHK-Abschlussprüfungen aus den Reihen der Schlossgastronomie. Auch bei regionalen und nationalen Wettbewerben schneiden die Heidelberger stets sehr gut ab. Daher arbeitet Scharff bereits seit vielen Jahren mit der Genuss-Akademie der Jeunes Restaurateurs zusammen und ist seit einem Jahr Mitglied im Verein FHG, der die besten Ausbildungsstätten in Hotels und Restaurants in ganz Deutschland vereint. Zusätzlich ist geplant, auch die neu ins Leben gerufene Dehoga-Zertifizierung zum Top-Ausbildungsplatz vornehmen zu lassen.