Der Aufreger der Woche kommt aus der Hauptstadt: Alexandra Wolframm, Leiterin Regierungsbeziehungen/Public Affairs DACH bei Booking.com, ist in den Aufsichtsrat der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) gewählt worden. (Tageskarte berichtete)
Das wäre an sich kein Anlass für große Aufregung – wenn nicht Booking.com im derzeit Zentrum einer Sammelklage vieler Hotelverbände stünde. Der Schritt sorgt für massive Irritationen in der Branche und wirft eine zentrale Frage auf: „Ist das noch Branchenvertretung – oder droht hier die Gefahr der Einflussnahme durch einen Marktgiganten?“, fragt sich auch Tageskarte-Redakteur Marc Schnerr.
Mittlerweile hat ein Verband, der Mitglied in der DZG ist, sogar eine Mitgliederumfrage gestartet. Man sehe die Berufung von Booking.com in den Aufsichtsrat der DZG sehr kritisch, heißt es dort und wolle mit der Umfrage ergründen, wie der Verband reagieren solle.
Ein „Fuchs im Hühnerstall“?
Der Unternehmer Marco Nussbaum, fand auf LinkedIn klare Worte: „Ein Schelm, wer da Interessenskonflikte wittert. […] Das fühlt sich ein bisschen so an, als hätte man den Fuchs zum Aufseher im Hühnerstall gemacht.“
Tatsächlich ist der Zeitpunkt brisant: Während in 25 EU-Ländern eine großangelegte Klage gegen Booking.com vorbereitet wird – mitgetragen vom Hotelverband Deutschland (IHA) – rückt die Plattform in eine Schlüsselposition derjenigen Organisation auf, die sich selbst als „führende Spitzenorganisation der Gastwelt“ bezeichnet.
Zu den DZG-Mitgliedern zählt unter anderem Dorint – also ein Hotelunternehmen, das in der Vergangenheit selbst juristisch gegen Booking.com vorgegangen ist.
Booking kontert scharf – und greift IHA an
Die Kritik an ihrer Berufung in den Aufsichtsrat der DZG ließ Alexandra Wolframm nicht unbeantwortet. In einem öffentlichen Kommentar unter einem Post von Marco Nussbaum warf sie der IHA vor, sich in Grabenkämpfen zu verlieren und stellte die rechtliche Substanz der Sammelklage in Frage. Die Lobbyistin spricht der IHA ab, eine zukunftsorientierte Rolle für die Branche einzunehmen.
„Kartellrechtliche Geisterfahrt“
Die Einschätzung von Marc Schnerr von Tageskarte.io zur Rolle von Booking.com ist klar: „Wenn ich mir anschaue, welche Institutionen und Gerichte in den letzten Jahren wie geurteilt haben, dann scheint es mir wahrscheinlich zu sein, dass sich Booking auf einer kartellrechtlichen Geisterfahrt befindet.“
Zeev Rosenberg: „Ein durchschaubares Manöver“
Auch Zeev Rosenberg, General Manager im Berliner Luxushotel SO/ Das Stue, meldete sich öffentlich zu Wort – und sieht die DZG-Entscheidung kritisch. In einem Kommentar schreibt er: „Warum wird Booking in einen Hotel- und Gastroverein berufen, dazu gleich noch in den Aufsichtsrat, nur um sich dann das Vertrauen unserer Branche zu erschleichen? Ein durchschaubares Manöver, das mehr Fragen als Antworten aufwirft.“
„Wenn es der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt mit der 'einen Stimme sprechen' ernst wäre, würde sie versuchen, den DEHOGA Bundesverband, die IHA, die HSMA, etc. WIRKLICH mit ins Boot zu holen. Aber das ist, warum auch immer, nicht gewollt“, schreibt Hotelier.de-Herausgeber Sascha Brenning.
DZG-Verteidiger: „Dialog statt Verurteilung“
Doch es gibt auch Stimmen, die den Schritt verteidigen. Alexander Scharf betonte: „Eine kontroverse Diskussion auf Augenhöhe ist immer gut.“ Er rief dazu auf, die Branchenrealität zu akzeptieren und gemeinsam Lösungen zu suchen, statt sich gegenseitig zu diskreditieren.
Marcus Fränkle von der DZG selbst bemängelte den scharfen Ton der Kritiker. Insbesondere auf den Kommentar von IHA-Präsident Otto Lindner reagierte er mit Unverständnis: „Haudrauf-Rhetorik war noch nie von Erfolg gekrönt.“ Fränkle warnte vor vorschnellen Urteilen und warb für mehr Dialog auf Augenhöhe. Mittlerweile haben Lindner und Fränkle anscheinend miteinander gesprochen.
Otto Lindner (IHA) konterte mit deutlicher Spitze
Fränkle nahm Bezug auf einen Post von Otto Lindner, Präsident des IHA, der geschrieben hatte: „Als Metapher fällt mir eher der ‚Wolf im Schafsfell‘ ein.“ Und weiter: „Selfies mit Politikern ersetzen keine inhaltliche Sacharbeit zum Wohle der ganzen Branche, und Glaubwürdigkeit hat viel mit Unbestechlichkeit zu tun.“
„Üble Nachrede oder Verleumdung?“
Der Ton der Debatte verschärfte sich und Peter Lochbihler, Global Head of Public Affairs von Booking.com schrieb in Richtung Lindner: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihren Kommentar als üble Nachrede oder Verleumdung einordnen soll. Vielleicht halten Sie mal den Ball etwas flacher und atmen tief durch bevor Sie posten.“ Die offene Auseinandersetzung zeigt, wie angespannt die Fronten zwischen Verband, Plattformen und DZG aktuell sind.
Glaubwürdigkeitskrise statt Zukunftsstrategie?
Der Fall legt ein Grundproblem offen, sagt Tageskarte-Redakteur Marc Schnerr. Während Booking.com für viele Hoteliers unverzichtbar bleibt, wächst parallel das Unbehagen über die Marktmacht und den Einfluss des Unternehmens. Die Aufnahme einer Booking-Vertreterin in die DZG-Führung sei daher mehr als eine Personalentscheidung. Sie sei ein Symbol für einen Konflikt in der Lobby-Arbeit der Branche, zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit und politischer Eigenständigkeit. Ob die DZG zur modernen Lobby-Plattform oder zum verlängerten Arm eines Plattformkonzerns wird – wird sich zeigen müssen. Fest stehte, dass die Diskussion ist eröffnet, so Schnerr.
Redaktioneller Hinweis: Dieser Artikel basiert auf einer Auswertung diverser LinkedIn-Posts und den darin enthaltenen Kommentaren führender Akteure der Hotellerie. Weitere Stimmen zur Debatte gerne an: news@tageskarte.io