Michel Rochat im Interview: "Der Tourismus wird wieder erwachen"

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Herr Rochat, Sie sind ein profunder Kenner der internationalen Hospitality-Branche und zugleich CEO der weltweit führenden Hospitality-Managementschule: Welche Frage beschäftigt Sie derzeit am meisten?

Eine Frage ist gut. Es sind deren viele. Die dringendste und wichtigste ist: Wie können wir unserer Wirtschaft schnellstmöglichst wieder Schub verleihen? Der Stillstand ist für die Betriebe hochgefährlich. Die Mittel fließen ab, die Mitarbeitenden drohen mental abzuhängen. Und die Unternehmen geraten so an den Rand des Abgrunds. Wir brauchen ein sorgfältiges, sanftes Herauffahren der Aktivitäten.

Wie gut vorbereitet war die Hospitality-Industrie auf eine Krise wie diese? Hat sie ihre Hausaufgaben gemacht?

Alle touristischen Anbieter – als per se global agierende und durch und durch globalisierte Industrie – kannten das Risiko einer Pandemie seit Jahren. Wir haben mit SARS gekämpft, als Airlines gegroundet wurden. Wir haben die Vogelgrippe erlebt, als das Reisen eingeschränkt war. Insofern waren wir gewarnt. Aber dieses Ausmaß konnte niemand vorhersehen. Vor allem die Kaskaden-Effekte und die Geschwindigkeit, mit der diese eintraten. Das ist für viele Hoteliers, Gastronomen, Airlines existenzbedrohend. Ich würde aber den Akteuren – inklusive unseren politischen Behörden – ein hohes Problembewusstsein attestieren. Alle Verantwortlichen haben rasch und richtig reagiert. Wenngleich der Handlungsspielraum klein ist. Ich denke, die Schweiz hat hier eine Vorbildfunktion im DACH-Raum, gerade was die Bereitstellung von Übergangskrediten angeht. Ich hoffe, wir können so ganz viele touristische Anbieter, gerade die sympathischen Familienbetriebe, retten. In 30 Minuten 500.000 Franken zinsfrei erhalten, das muss uns mal wer nachmachen… 

Hat man das globale Risiko Pandemie grundsätzlich unterschätzt? Eigentlich hätten Touristiker ja spätestens seit SARS und MERS gewarnt sein sollen…

Ich denke nein. Was wir unterschätzt haben, ist die Psychologie eines solchen Phänomens. Und hier sind wir als Hospitality-Fachleute gefordert. Denn unser Geschäft kann erst wieder tragfähig sein, wenn es uns gelingt, unseren Gästen das Vertrauen zurückzugeben. Reisen wird am Anfang mit unguten Gefühlen verbunden sein. Hier sind empathische Gastgeber besonders gefragt. Das ist eine Schlüsselkompetenz, die wir hier an der EHL mit unseren künftigen Talenten ganz intensiv schulen.

Business Continuity ist aktuell ein großes Wort. Was heißt dies für einen Hotelbetrieb, dessen Betrieb lahmgelegt ist und die Belegschaft entlassen oder zu 100% in Kurzarbeit? 

Sie sagen es. Das sind hehre Vorstellungen. Wir brauchen pragmatisches Handeln und schrittweises Aufstarten. Es braucht das Gleichgewicht zwischen Risikobereitschaft, sobald Geschäft wieder anzieht, und agile Präsenz am Markt. Zugleich braucht es höchste Vorsicht, um bei einem Backlash nicht definitiv ins Offside zu laufen. Da gilt es in Szenarien zu denken und dafür die Kadermitarbeitenden mit viel Erfahrung zu involvieren. Das Halten dieser Fachkräfte muss sowieso erste Priorität haben. Ein Team nach einer solchen Krise erst wieder neu formen zu müssen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Zudem braucht es intensive, offene Kommunikation gegen innen – mit regelmässigen Staff-Infos, mit Video-Chats, mit Sorgentelefon und ähnlichem.

Sie sind weltweit als Schule über Ihre Alumni bestens vernetzt: Wo liegen gegenwärtig die grössten Herausforderungen, mit denen sich Gastgeber rund um den Globus konfrontiert sehen? Stellen Sie regionale Unterschiede fest?

Wir hören von unseren Alumni – es sind ja 25'000 weltweit, auf deren Wissen wir zurückgreifen können –, dass in China und Asien allmählich erste Bewegung im Markt feststellbar ist. Social Distancing – gerade im Hospitality-Umfeld – ist der Schlüssel. Denn es herrschen Bedenken vor einem Rückfall oder vor Neuansteckungen durch Heimkehrer aus Europa. In den USA ist der Markt komplett am Boden, in Europa – vor allem in den Städten – ebenso, die stark auf Überseemärkte gesetzt haben.

Bislang war der Trend ganz klar: Die Hospitality-Branche boomt, die Nachfrage nach hochqualifizierten Fachkräften steigt. Setzt die Corona-Krise nun diesem Trend ein jähes Ende? Wird der margenschwache Tourismus definitiv zum Sanierungsfall?

Das glaube ich definitiv nicht. Die Hospitality-Industrie ist eine Wachstumsbranche. Das zeigt sich ja auch jetzt sehr exemplarisch. Das Know-how dieser Fachleute ist auch und gerade im Spitalbereich, in Altersheimen, aber auch in subsidiären Bereichen wie der Lieferkette für Lebensmittel essentiell. Der Tourismus wird wieder erwachen. Reisen ist eine Grundsehnsucht der modernen Menschen.

Aktuell befindet sich die Branche im Krisenmanagement-Modus. Wenn Sie in die Zukunft schauen, auf die Zeit nach Corona, welche Trends sehen Sie? 

Die Chancen für Angebote «off-the-beaten-track» steigen. Hideways und nicht so bereiste Regionen werden profitieren. Es wird eine Rückbesinnung auf Slowtravel geben – auch Self-Drive und Touring sind in, Camping und B&B’s werden ein Revival erleben. Und schliesslich sind Logis-Angebote im Appartment-Style und Longstay-Angebote mit Treatments, gerade für reisefreudige Senioren, gefragt. Generell wird der Binnentourismus und der Tagestourismus boomen.

Und welche Lehren müssen wir als Branche aus diesem globalen Lockdown ziehen?

Dass es keine Sicherheiten im Leben gibt. Weder als Privatperson noch als Unternehmer. Und dass sich Weitsicht und nachhaltiges Wirtschaften auszahlen. Reserven bilden in guten Zeiten hat sich stets gelohnt, gerade in schwierigen Momenten wie jetzt. Krasse Shareholder-Value-Modelle sind vermutlich am Ende ihres Zyklus. Aber das war schon vorher so.

Apropos Zukunft: Haben Hotel- und Gastronomiebetriebe in Zeiten von «Social Distancing» künftig noch eine Chance. Ganz konkret gefragt: Wie entkräftet man als Branche nun diese latente «Angst» vor zu viel Nähe? Zum Beispiel im Restaurant, im Spa, im Flugzeug etc.?

Gute Frage. Es wird Zeit brauchen. Angebote, wo viele Menschen auf wenig Raum verkehren, werden es anfänglich schwer haben. Hier braucht’s auch flexible Massnahmen seitens Anbieter. Distanz in den Restaurants, freie Nachbarsitze im Flugzeug, Sitzplätze statt Stehplätze bei Events etc. 

Viele Kunden – vor allem im Corporate Bereich – haben nun gelernt, dass es auch ohne Meetings geht. Beziehungsweise mit Videocalls, Skype, ZOOM und Co. Was bedeuten diese Erfahrungen für das künftige MICE-Business? Hat das Umlernen gravierende unternehmerische Folgen für die Hotelindustrie?

Das Bedürfnis, sich unmittelbar zu treffen, ist groß. Und das lässt sich durch Telemeetings nicht überbrücken. Aber sicherlich werden Firmen vorsichtiger mit dem Investieren ihrer Mittel sein. Das MICE-Business wird nicht mehr die gleichen Ausprägungen haben wie jetzt, das kann gut sein. Kleinere Formate werden nötig sein – dies gekoppelt an Learning Experiences und Team Building. Der soziale Effekt dieser Meetings ist also wesentlich. Und hier müssen wir uns als Gastgeber auch weiterbilden – zu Teambuildern, zu Motivationscoaches, zu Mindfullness-Experten etc.

Apropos «Rethinking the Business»: Als die Schweizer Regierung die Schulen in der Schweiz geschlossen hat, mussten Sie Ihre Studierenden binnen kürzester Zeit auf Distance-Learning umstellen? Wie gelingt dies der EHL bislang? 

Wir haben Distance-Learning ohnehin als essentiellen Teil unserer Zukunftsstrategie für die EHL Group priorisiert – und bereits im Unterricht integriert. Wir haben eine leistungskräftige IT und einen sehr geübten Lehrkörper. Unsere Professorenschaft ist da sehr virtuos unterwegs. Die Zielerfüllung und Zufriedenheitsrate liegt bei 95 Prozent.

Erwarten Sie, dass sich der Unterricht an Schulen und Universitäten wie der EHL aufgrund der jetzigen Erfahrung nachhaltig verändert? Wenn ja, inwiefern?

Ich denke, es beschleunigt diesen Transformationsprozess in der Bildungslandschaft sicherlich deutlich. Und das hilft uns an der EHL definitiv, weil wir eine starke Internationalisierungsstrategie mit den drei Campussen in Lausanne, Chur/Passugg sowie neu in Singapur ab 2021 verfolgen.

Gibt es seitens EHL-Group eigene Initiativen, um Hospitality-Betriebe in dieser schwierigen Situation zu unterstützen? An wen können sich beispielsweise Ratsuchende wenden?

Wir starten eine breit angelegte Beratungsinitiative durch unsere Experten aus der Consulting-Abteilung. Thematisch konzentrieren wir uns auf das «Danach». Wir wollen Gratis-Tutorials anbieten, wir werden Live-Chats veranstalten und es gibt einen extensiven Wissensfundus mit Q&A, Best Practices und Artikeln zu Fragen des Recovery Managements zum Download.

Herr Rochat, eine simple und zugleich schwierige Frage zum Schluss: Ist diese Krise kurz und heftig, geht aber vorüber. Oder wird die Wirtschaft und namentlich der Tourismus noch lange mit den Folgen zu leben haben?

Schauen Sie, ein Prophet bin ich nicht. Aber ich wage vorauszusagen, dass der Tourismus als sensible und den globalen Strömungen ausgesetzte Industrie sich sukzessive erholen wird, aber nicht von einem Tag auf den anderen. Das wäre naiv zu glauben. Die Airlines stehen vor gewaltigen Herausforderungen, auch die zwischenstaatlichen Beziehungen und Reiseerlaubnisse müssen erst wieder etabliert sein. Das wird etwas Zeit brauchen. Aber eben: Tourismus bleibt ein Wirtschaftsmotor. Und der wird in zwei, drei Jahren wieder zu Hochform auflaufen. Davon bin ich überzeugt.


 

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