Ahrwinzer ernten besonderen Jahrgang im Katastrophengebiet

| Industrie Industrie

Eva Lanzerath schneidet mit ihrer Rebschere im Weinberg über der Ahr Trauben ab und lacht: «Die Weinlese ist ein besonderes Feeling, das darf für mich in keinem Jahr fehlen, auch nicht in diesem Corona- und Flutjahr.» Die angehende Grundschullehrerin hat gerade ihre Amtszeit als 72. Deutsche Weinkönigin beendet. Sie stammt aus dem Ahrtal, in dem am 14. und 15. Juli eine Sturzflut nach extremem Starkregen 133 Menschen getötet und vieles zerstört hat. 65 der 68 Weinbaubetriebe in dem als Rotweinparadies bekannten Flusstal sind von dem Hochwasser betroffen. Ihr Gesamtschaden wird auf 160 Millionen Euro geschätzt. Dennoch läuft Deutschlands Weinernte auch hier jetzt auf Hochtouren.

Wie die rheinland-pfälzische Weinbauministerin Daniela Schmitt (FDP) kürzlich mitgeteilt hat, sind rund 32 der 560 Hektar Rebflächen im Ahrtal völlig und teils metertief weggespült worden. Weitere 15 Hektar seien vom Hochwasser so überspült worden, dass dort dieses Jahr keine Trauben mehr gelesen werden könnten.

Laut dem Geschäftsführer des Weinbauverbands Ahr, Knut Schubert, kostet der Aufbau eines neuen Weinbaubetriebs 1,2 bis 1,5 Millionen Euro. Bei zerstörten Rebflächen schlügen Neuanpflanzungen mit rund 60 000 Euro pro Hektar zu Buche, zudem könnten in den ersten drei Jahren noch keine Trauben gelesen werden. Die meisten Ahrwinzer haben nach Schuberts Worten keine Elementarschadenversicherung und hofften nun auf die Wiederaufbauhilfe von Bund und Ländern. Viele beschädigte Winzerbetriebe liegen unten im Flusstal. Ihre Rebflächen sind dagegen als höhere und Steillagen in dem Tal oft nicht beeinträchtigt worden.

Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU), vor 25 Jahren selbst Deutsche Weinkönigin, hat von einer großer Solidarität der Winzer aus allen Regionen Deutschlands und der ganzen Welt gesprochen. Von überall aus der Branche kam Hilfe. Eva Lanzerath sagt: «Die Keller im Ahrtal sind größtenteils wieder hergerichtet oder die Winzer haben sich zusammengeschlossen und helfen sich gegenseitig oder haben Hallen angemietet. Hier kennt jeder jeden.»

Die Sturzflut im Juli hat auch Tausende Fahrzeuge im Ahrtal beschädigt. Laut Schubert haben mobile Werkstätten etliche Winzertraktoren repariert, vor allem ältere Modelle ohne viel Elektronik: «Da ist Unglaubliches geleistet worden.» Auch Weinpressen und Etikettiermaschinen seien instandgesetzt oder als Ersatz verliehen worden: «Da ist viel auf dem kurzen Dienstweg passiert.»

Hinzu kommen mehrere Spendenaktionen für Weingüter und Restaurants. Etwa die Hilfsaktion «Flutwein» unter anderem des Ahrwein-Vereins mit örtlichen Gastronomen. Rund 4,5 Millionen Euro kamen dabei nach Angaben der Initiatoren bis Anfang Oktober zusammen. Fast 50 000 Unterstützer bestellten demnach etwa 175 000 Flaschen, außen «originalverschlammt». Jede einzelne Flasche sei somit ein Unikat.

Und die Stimmung jetzt bei der Weinlese im Katastrophengebiet? Ex-Weinkönigin Eva Lanzerath zeigt sich «positiv überrascht». Dazu trügen die vielen freiwilligen Helfer bei. Kürzlich habe ihrer Familie eine 25-köpfige Gruppe aus Köln geholfen. «Sie hatten alle kaum Ahnung vom Weinbau, aber großes Interesse», berichtet die 23-Jährige. «Nach einer kurzen Einführung hatten die viel Spaß. Wir haben nachher alle Wein verkostet und jeder hat eine Flasche mitgenommen», erzählt Lanzerath. «Die sagten auch: "Nach dieser Arbeit wissen wir Wein viel mehr zu schätzen."»

Verbandsgeschäftsführer Schubert erwartet wegen des «insgesamt zu feuchten Wetters in diesem Jahr» eine eher unterdurchschnittliche Erntemenge im größten zusammenhängenden Rotweingebiet der Republik. Das Deutsche Weininstitut hat kürzlich auch auf bundesweit meist gute Fruchtansätze, aber ebenso auf regenbedingten regionalen Pilzbefall hingewiesen. Schubert rechnet mit dem Abschluss der Hauptlese an der Ahr in etwa zwei Wochen - je nach Wetter.

Das enge Tal liegt im Regenschatten der Eifel. Im Sommer staut sich hier die Hitze. In den Weinbergen heizt die Sonne die Schieferböden auf, die die gespeicherte Wärme nachts wieder abstrahlen. Dieses Mikroklima sollen schon die Römer vor zwei Jahrtausenden für den ersten Weinanbau im Ahrtal genutzt haben. An sonnigen Wochenenden ist es im Ahrtal vor der Sturzflut häufig zu Fußgängerstaus auf dem 35 Kilometer langen Rotweinwanderweg gekommen. Dieser schlängelt sich weitestgehend unberührt von der Flut hoch über dem Fluss von Bad Bodendorf nach Altenahr durch die Weinberge. Seinen mittleren Abschnitt prägen schroffe Felswände, enge Schluchten und teils denkmalgeschützte Weinbergterrassen. Bei Marienthal führt der Fußpfad über den einstigen unterirdischen Bunker der Bundesregierung.

Laut Schubert wird an den Wochenenden im Oktober versucht, mit Weinverkaufsständen in den Weinbergen den Tourismus neu anzukurbeln: «Mit Übernachtungsmöglichkeiten ist es noch schwierig, aber Tagestourismus ist wieder möglich.» Kommen sich Ausflügler und Winzer in der Weinlese in die Quere? «Nein», sagt der Geschäftsführer. «Mit gegenseitiger Rücksicht ist das wieder etwas Normalität.» (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Kalte Nächte haben den Obstbäumen und Reben im Land Schäden zugefügt. Durch den Klimawandel könnte das noch öfter passieren. Die Bauern und Winzer kämpfen dagegen an - mit Feuer und Wasser.

Ohne Olivenöl geht in den Mittelmeerländern nichts. Fast nichts. Zumindest nicht in der Küche. Und das zu Recht. Vor allem natives Olivenöl extra hat einen einzigartigen Geschmack, der viele Gerichte verfeinert, ohne sie zu dominieren. Immer mehr Deutsche wissen die geschmacklichen und gesundheitlichen Vorzüge von Olivenöl zu schätzen.

Jahrelange Trockenheit lässt in Spanien Weinreben verdorren. Freixenet, liiert mit der Wiesbadener Traditionskellerei Henkell, verliert so den wichtigsten Rohstoff für Schaumwein.

Start-ups wie «Goodmeat» versuchen, den Geschmack von Fleisch im Labor so gut zu imitieren, dass industrielle Massentierhaltung überflüssig wird. Die 3sat-Dokumentation «Echtes Fleisch ohne Tier – Die Zukunft schmeckt anders», aus der Reihe «Wissen hoch 2» am Donnerstag ab 20.15 Uhr, zeigt, wie das geht. 

Die Serie des FC Bayern mag gerissen sein, die bayerischen Brauer sind beim Bierabsatz weiter Seriensieger. Das vergangene Jahr bewerten sie als schlecht - doch zumindest der Start in 2024 war gut.

Vegetarisch war gestern, heute ist vegan: Ab 2024 sind alle Produkte bei The Vegetarian Butcher™ zu 100 Prozent pflanzenbasiert. Mit einer veränderten Rezeptur des NoBeefBurgers wird das vegane Portfolio komplett.

Pressemitteilung

Sauberes und strahlend glänzendes Besteck, das nicht von Hand poliert werden muss, ist nicht erst seit dem bestehenden Fachkräftemangel eine Anforderung der Gastronomie. Themen wie Hygiene, Personalkosten und der Anspruch an glänzende Besteckteile waren immer schon ausschlaggebend für die Anschaffung einer Besteckspülmaschine. Bei Winterhalter polierfreies Besteckspülen eine lange Tradition.

Die Sektkellerei Henkell Freixenet meldet einen Umsatzrekord - und sieht Herausforderungen wie die extreme Trockenheit in manchen südeuropäischen Weinregionen. Das traditionsreiche deutsch-spanische Unternehmen mit Sitz in Wiesbaden und in Katalonien gilt als weltweiter Marktführer für Schaumwein bei Absatz und Umsatz.

Pressemitteilung

Immer mehr Menschen bestellen sich Ihr Mittagessen ins Büro oder ein Gericht aus ihrem Lieblingsrestaurant ins heimische Wohnzimmer. Der Trend zum Lieferservice oder Take-away ist nach wie vor ungebrochen und hat sich für viele Restaurants als wichtiges, zusätzliches Standbein etabliert.

Einst war das Crumlin Road Gaol ein berüchtigter Ort. Todesurteile wurden hier vollstreckt. Heute ist es Erinnerungsort, Eventlocation und nun auch Heimat einer Brennerei, die besichtigt werden kann.