Justizministerium will kriminellen Unternehmen an den Kragen

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Unternehmen müssen bei Verstößen mit deutlich höheren Strafen rechnen. Das schlägt Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) vor. «Das soll also ein Anreiz sein, sich rechtstreu zu verhalten», sagte Lambrecht am Donnerstag in Berlin. «Weil man weiß: Das, was in Zukunft auf einen zukommt, ist nicht aus der Portokasse zu bezahlen, sondern soll abschrecken.» Ihren Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität will sie demnächst an die anderen Ministerien weiterleiten. Das Vorhaben ist bereits im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vereinbart worden. Der Bundestag muss ihm zustimmen.

Bisher zahlen Unternehmen für Vergehen wie Betrug höchstens Sanktionen von 10 Millionen Euro - unabhängig von der Größe. Für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro könnten den Plänen zufolge künftig bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes fällig werden. «Bei großen Konzernen reden wir hier über mögliche Sanktionen bis hin zu zweistelligen Milliardenbeträgen», sagte Lambrecht der «Süddeutschen Zeitung» (Donnerstag). Hinzu kommt wie bisher schon die Gewinnabschöpfung, also der Einzug illegal erzielter Profite.

«Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein», sagte Lambrecht. Das neue Gesetz könnte zum Beispiel Unternehmen treffen, die Gammelfleisch liefern oder Bestechungen zahlen, um Aufträge an Land zu ziehen. Wenn Mitarbeiter gegen Gesetze verstießen, dann täten sie dies oft zum Nutzen ihrer Firma - deshalb sollte diese als Profiteur auch zur Verantwortung gezogen werden. Betroffene können entschädigt werden.

Neu ist, dass die Staatsanwaltschaft einem Verdacht nachgehen muss. Bisher ist das eine Ermessensfrage. Das Ministerium schlägt außerdem Regeln für interne Untersuchungen vor, mit denen Unternehmen selbst Fehlverhalten in den eigenen Reihen aufklären - häufig mit Hilfe von Anwaltskanzleien oder Wirtschaftsprüfern. Gut geführte Untersuchungen sollen bei späteren Sanktionen strafmildernd wirken können, falls bestimmte Standards eingehalten werden. Dazu müssen etwa Mitarbeiter auf ihr Recht zu schweigen hingewiesen werden und darauf, dass Auskünfte in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden könnten.

Beifall kam von SPD und Linken. Die Pläne sorgten für fairen Wettbewerb, sagte Lambrechts Parteikollegin, SPD-Fraktionsvize Eva Högl. Niema Movassat, Obmann der Linken im Rechtsausschuss, zeigte sich erfreut: «Bislang sind es stets einzelne Personen, die verfolgt werden. Doch die Unternehmen als solche kommen davon. Das trifft nicht den Kern des kriminellen Unrechts.» Allerdings brauche es dazu dringend mehr Personal bei den Staatsanwaltschaften.

Jan-Marco Luczak (CDU), der stellvertretende rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, begrüßte Teile der Pläne, meldete aber auch Bedenken an, etwa zu einem geplanten Register für Sanktionen. «Für mich ist dabei klar, dass beim neuen Gesetz nicht die Bestrafung im Mittelpunkt stehen darf. Besser ist, Anreize für Unternehmen zu setzen, dass diese sich zukünftig gesetzestreu verhalten.» Der stellvertretende CSU-Landesgruppenvorsitzende Hans Michelbach sprach von einem «Generalangriff auf die Unternehmen», der zu Verlagerungen führen könne.

Auch der stellvertretende FDP-Fraktionschef Stephan Thomae warnte vor der Verlagerung von Unternehmen ins Ausland. Anstatt einzelne Schuldige zu ermitteln, drohten künftig alle Mitarbeiter sowie die Inhaber von Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen zu werden. «Mit ihrem Gesetzentwurf schadet die Ministerin daher der deutschen Wirtschaft mehr, als dass sie ihr hilft.»

Was soll sich für Unternehmen ändern?

Lambrecht will, dass künftig bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes an Sanktionen fällig werden sollen - allerdings nur für Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Jahresumsatz. Hinzu käme auch künftig dann noch die Abschöpfung illegal erzielter Gewinne. Bisher gilt eine Obergrenze für die Sanktionen von 10 Millionen Euro, «egal ob kleines Unternehmen oder international tätiger Konzern», sagt Lambrecht. Damit schlügen Sanktionen beim Mittelstand stärker ins Kontor.

Wie groß ist das Problem mit der Wirtschaftskriminalität?

Das Bundeskriminalamt geht für das Jahr 2017 von einem bekannten Schaden von rund 3,74 Milliarden Euro aus, rund 74 000 Fälle wurden registriert. Eingerechnet ist dabei aber etwa auch die unerlaubte Zusammenarbeit von Konkurrenten - etwas, das von Lambrechts Plänen nicht betroffen wäre, weil hier das Wettbewerbsrecht greift. Insgesamt macht die Wirtschaftskriminalität weniger als zwei Prozent der Fälle in der Kriminalstatistik aus. Großen Schaden verursacht Betrug.

Ist es nicht unfair, wenn Unternehmen für Fehltritte Einzelner büßen müssen?

Oft nützt kriminelles Verhalten dem Arbeitgeber mehr als dem Mitarbeiter, argumentiert das Ministerium - etwa, wenn jemand Schmiergeld zahlt, um einen Auftrag an Land zu ziehen. Da sei es nur gerecht, wenn das Unternehmen dafür stärker gerade stehen müsse. Das Ganze soll greifen, wenn es um Führungspersonen wie Vorstände oder Geschäftsführer geht. Bei ganz normalen Mitarbeitern kommt es darauf an, ob das Unternehmen die Tat nicht durch bessere Organisation oder Aufsicht wenigstens deutlich hätte erschweren können.

Leiden darunter nicht auch Mitarbeiter und Aktionäre?

«Für die Beschäftigten, die gar keinen Einfluss auf illegale Machenschaften haben, steigt (...) das Risiko des Arbeitsplatzverlustes», warnt der stellvertretende Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten, Hans Michelbach. Das Ministerium würde das wohl nicht grundsätzlich verneinen, setzt aber auf die präventive Wirkung drohender Sanktionen. «Die sollen abschrecken», sagt Ministerin Lambrecht.

Was bedeutet das für Richter und Staatsanwälte?

Sie werden mehr zu tun haben. Denn bisher kann die Staatsanwaltschaft selbst entscheiden, ob sie einem Verdacht nachgeht. Künftig muss sie ermitteln. Sie kann diese Untersuchungen allerdings einstellen, etwa weil es um eine Kleinigkeit geht, der Übeltäter Wiedergutmachung zahlt oder Vorkehrungen zur Vermeidung ähnlicher Taten in der Zukunft getroffen hat.

Das wird nur gehen, wenn die Länder massiv Personal aufstocken, meint der Deutsche Richterbund (DRB). Die bereits eingeplanten 2000 neuen Stellen für Richter und Staatsanwälte reichten bei weitem nicht. «Denn damit sollen nur die heute bereits bestehenden Personallücken in der Justiz gestopft werden. Zusätzliche Aufgaben durch neue Gesetze müssen aber zusätzlich mit Personal in der Strafjustiz unterlegt werden», verlangt DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn.

Wie bekomme ich als Betroffener eine Entschädigung?

Erst einmal muss man mitbekommen, dass es ein Verfahren gibt. Skandale etwa in der Auto- oder Lebensmittelindustrie sorgen oft für Schlagzeilen. Bestimmte Vergehen müssen auch heute schon öffentlich gemacht werden, zum Beispiel Verstöße gegen Regeln für den Wertpapierhandel. Lambrecht schlägt vor: Wenn viele Menschen betroffen sind, muss das Gericht entscheiden, ob es den Fall öffentlich macht, damit sich Geschädigte melden können. Wenn es um wenige Betroffenen geht, kann die Staatsanwaltschaft sie auch einzeln informieren. Außerdem soll es ein Register geben, in das Verurteilungen von Unternehmen eingetragen werden, das aber nicht für jeden zugänglich ist.

Was ist, wenn Unternehmen eigene Untersuchungen anstellen?

Wenn diese Ermittlungen - häufig durch beauftragte Anwälte oder Wirtschaftsprüfer - bestimmten Standards entsprechen, sollen sie sich strafmildernd auswirken können. Zum Beispiel müssen Mitarbeiter darauf hingewiesen werden, dass ihre Aussagen vor Gericht zur Sprache kommen könnten. Bestimmte Unterlagen soll die Staatsanwaltschaft beschlagnahmen können, etwa wenn es um die Schuld Einzelner geht. Unterlagen, die der Vorbereitung der Vereidigung des Unternehmens dienen, sind hingegen tabu.


 

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