Mindestlohndebatte - „Lunte an Tarifautonomie“

| Politik Politik

Arbeitsminister Heil erwartet ab 2024 einen wesentlich höheren Mindestlohn - und schaltet sich damit in eine immer wieder heiß diskutierte Debatte ein. Aus dem Arbeitgeberlager erntet der SPD-Politiker scharfe Kritik. Heil lege erneut Lunte an die Tarifautonomie, sagt der DEHOGA-Bundesverband.

Der Bundesarbeitsminister hatte in der Bild am Sonntag auf eine weiter hohe Inflation sowie auf «ordentliche Tariferhöhungen, die sich bei der anstehenden Erhöhung des Mindestlohns niederschlagen werden» hingewiesen. Im Sommer werde die Mindestlohnkommission ihm einen Vorschlag machen. Aktuell liegt der Mindestlohn in Deutschland bei 12 Euro pro Stunde.

Noch nicht einmal ein halbes Jahr sei seit der sprunghaften und außerplanmäßigen Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro zum 1. Oktober 2022 vergangen, sagt der DEHOGA-Bundesverband. Unternehmen und Tarifpartner hätten die Herausforderung, die daraus resultierenden Lohn- und Kostensteigerungen in ein funktionierendes Preis- und Tarifgefüge einzupassen, teilweise noch nicht vollständig umgesetzt. Jetzt mache Heil erneut deutlich, wie wenig Respekt er im Zweifel vor der Tarifautonomie und der Arbeit der Sozialpartner habe.

Kritik dem Vorgehen kam auch aus der Mindestlohnkommission: BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter geißelte den Vorstoß des Ministers als Sabotage an der Arbeit der unabhängigen Kommission, die im Juni 2023 einen Vorschlag für die nächste Anpassung zu unterbreiten hat. Üblicherweise orientiert sie sich dabei an der sog. nachlaufenden Tarifentwicklung, d.h. am Durchschnitt der bereits erfolgten Tarifabschlüsse. Jetzt scheine aber „Staatslohnsetzung statt Tarifpolitik die Maßgabe aus dem Arbeitsministerium zu sein“, so Kampeter.

Der DEHOGA hatte bereits Anfang März dieses Jahres in seiner Stellungnahme gegenüber der Mindestlohnkommission vorgeschlagen, die nächste Mindestlohnanpassung erst zum 1. Oktober 2024 umzusetzen. So käme man wieder in den vom Mindestlohngesetz vorgesehenen Zwei-Jahres-Rhythmus. Im Gastgewerbe gibt es etliche längerfristige Tarifverträge mit Laufzeiten bis weit ins Jahr 2024 hinein, diese würden sonst erneut zu Makulatur. Nicht nur die Mitarbeiter, auch Unternehmen und Gäste kämpften mit den Auswirkungen der hohen Inflation. Würde der Mindestlohn kurz nach der letzten drastischen Erhöhung erneut deutlich steigen, würde das die Lohn-Preis-Spirale weiter antreiben. Das sei das Gegenteil von Inflationsbekämpfung, sagt der DEHOGA

 

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Systemgastronomie e. V. (BdS), Markus Suchert, äußert sich zur Ankündigung von Bundesarbeitsminister Heil, wonach der Mindestlohn im Januar 2024 deutlich steigen werde: „Die Äußerungen von Arbeitsminister Heil zu der von ihm erwarteten deutlichen Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2024 – noch bevor die zuständige Mindestlohnkommission hierzu beraten und eine Entscheidung getroffen hat – stoßen in der Systemgastronomie daher auf großes Unverständnis. Mit seiner geäußerten Erwartung nimmt Minister Heil nach der außerplanmäßigen Anpassung des Mindestlohns auf 12 Euro zum 1. Oktober 2022 nun erneut massiv Einfluss auf die Entwicklung des Mindestlohns und greift damit zugleich in die verfassungsrechtlich verankerte Tarifautonomie der Sozialpartner ein.“

 

FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki sagte der Funke-Mediengruppe, er verstehe Heils Äußerungen zwar nicht als Forderung, sondern als Prognose. Die Tatsache aber, dass sich ein Bundesminister in dieser Frage öffentlich einschalte, finde er unglücklich: «Es kann nämlich der Eindruck entstehen, dass der eigentliche Zweck der Mindestlohnkommission, politische Forderungen aus dieser Debatte herauszuhalten, von der Bundesregierung unterlaufen wird.»

Angesichts der hohen Inflation war im vergangenen Monat bereits Streit um die nächste Mindestlohnerhöhung entbrannt. Sozialverbände forderten einen kräftigen Anstieg auf 14 Euro und mehr, die Arbeitgeber warnten vor «unrealistischen Höhen».

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte den Mindestlohn im vergangenen Jahr ausnahmsweise per Gesetz angehoben. Zum 1. Oktober 2022 war er von 10,45 Euro auf 12 Euro gestiegen. Den nächsten Erhöhungsschritt soll dann wieder die Mindestlohnkommission mit Vertreterinnen und Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorschlagen. Dies soll bis zum 30. Juni mit Wirkung zum 1. Januar 2024 geschehen.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kritisierte Heils Aussagen: «Staatslohnsetzung statt Tarifpolitik scheint die Maßgabe aus dem Arbeitsministerium zu sein», sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter am Sonntag. Es sei bisher immer von einem einmaligen Eingriff die Rede gewesen. «Die Koalitionsführung muss sich entscheiden, ob sie die fortwährenden Grenzüberschreitungen des Bundesarbeitsministers weiterhin duldet.»

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, nannte es irritierend, dass sich der
Arbeitsminister jetzt dazu äußere. «Eine politische Lohnfindung ist jedenfalls falsch», sagte der CDU-Politiker der Funke-Mediengruppe. Linken-Chefin Janine Wissler forderte Heil auf, den Mindestlohn per Gesetz auf mindestens 13 Euro anzuheben. «Angesichts explodierender Preise darf der Minister nicht auf die Mindestlohn-Kommission warten.» In der Funke-Mediengruppe forderte sie zugleich schärfere Kontrollen, ob der Mindestlohn tatsächlich gezahlt werde.

Der Obmann der FDP-Fraktion im Ausschuss für Arbeit und
Soziales, Jens Beeck, sprach sich gegen weitere politische Einmischungen aus. «Die Festlegung von Löhnen obliegt in Deutschland den Tarifpartnern. Das gilt auch für den Mindestlohn.» Vertreter der Arbeitnehmer und Arbeitgeber kümmerten sich in der Mindestlohnkommission um faire Wettbewerbsbedingungen, angemessenen Schutz der Arbeitnehmer und Beschäftigungssicherung.

Heil will zudem bis zum Sommer ein Gesetz auf den Weg bringen, wonach Aufträge des Bundes künftig nur noch an Unternehmen vergeben werden dürfen, die sich an Tarifverträge halten. «Wenn wir als Staat Steuergeld ausgeben, dann dürfen davon nicht länger Unternehmer profitieren, die ihre Leute nicht ordentlich bezahlen.» Dies hatten SPD, Grüne und FDP bereits in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, um die Tarifbindung zu stärken. Bis Juni werde er mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einen Gesetzentwurf vorlegen, der im Bund die Tariftreue vorschreibt, sagte Heil. (mit dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Die Arbeitgeber in Deutschland lehnen einen Rechtsanspruch auf Homeoffice ab. In der Regel werde diese Frage im guten Einvernehmen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geregelt. Ein Gesetz brauche es nicht, so Steffen Kampeter.

Bekommen Kinder ihr Mittagessen in Kita oder Schule künftig vom Staat bezahlt? Ein Bürgerrat fordert genau das. Rot-Grün in Niedersachsen findet den Vorschlag gut, bremst aber trotzdem die Erwartungen.

Sterneköche und Frankreichs Gastgewerbe mobilisieren gegen das neue Migrationsgesetz, das, anders als zunächst geplant, die Integration von Beschäftigten ohne Aufenthaltstitel kaum erleichtert. Jetzt protestieren Sterneköche, die die Integration von Küchenpersonal ohne Papiere fordern und appellieren: Wir brauchen Migranten.

Mehr als 80 Prozent der Menschen in Deutschland sind für ein kostenloses Mittagessen in Schulen und Kitas. Hintergrund der Umfrage war die Empfehlung eines Bürgerrats des Bundestags zur Ernährung.

Das Ifo-Institut plädiert für die Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung. Die Niederlande, Schweden und Finnland hätten das bereits beschlossen. Das Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen bleibe damit stabil, so die Wirtschaftsforscher.

Mit einer langen Kolonne von Traktoren haben Tausende Landwirte in Berlin ihrem Ärger über die Ampel-Koalition Luft gemacht. Bei einer Protestkundgebung am Brandenburger Tor sprach auch DEHOGA-Präsident Guido Zöllick und verlangte die Rückkehr zu sieben Prozent Mehrwertsteuer in der Gastronomie.

Es ist der erste Bürgerrat dieser Art und das Thema ist hochaktuell: Ernährung. Kostenfreies Mittagessen für alle Kinder steht dabei an erster Stelle der Empfehlungen, die nun im Bundestag vorgestellt wurden.

Das Justizministerium hat einen Referentenentwurf für ein Bürokratieentlastungsgesetz vorgelegt. Darin enthalten ist auch die Hotelmeldepflicht, die abgeschafft werden soll – allerdings nur für deutsche Staatsangehörige. Auch die Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege sollen verkürzt werden.

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 7 auf 19 Prozent für Speisen in der Gastronomie bei gleichzeitig massiv steigenden Kosten stellt die Unternehmer vor größte Herausforderungen. Das geht aus einer Umfrage des Dehoga hervor.

Obwohl Finanzminister Lindner noch im letzten Jahr mehrfach seine Sympathie für eine dauerhafte Verlängerung der reduzierten Mehrwertsteuer in der Gastronomie kundgetan hatte, will der Politiker heute von einer Senkung nichts mehr wissen. In der ARD-Sendung Maischberger schloss Lindner die Rückkehr zur Sieben-Prozent-Mehrwertsteuer jetzt deutlich aus.