Ringen um mögliche neue Corona-Maßnahmen - doch für wen?

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Angesichts steigender Corona-Infektionszahlen rücken wieder stärkere Gegenmaßnahmen in den Blick - doch was heißt das für Millionen schon geimpfte Bürger? Die Bundesregierung will mit den Ländern jetzt darüber beraten, um eine neue große Welle nach den Sommerferien zu verhindern. Dabei geht der Streit um möglicherweise strengere Regeln für Menschen weiter, die sich trotz vieler Angebote auch in den nächsten Wochen nicht impfen lassen. Eine «Impfpflicht durch die Hintertür» will die Bundesregierung aber nicht, wie die stellvertretende Sprecherin Ulrike Demmer am Montag in Berlin sagte.

Die aktuelle Lage biete trotz niedriger Inzidenzen «durchaus Anlass zur Sorge», sagte Demmer. Stand heute seien die Fallzahlen binnen einer Woche um 75 Prozent gestiegen. «Wenn sich diese Entwicklung so fortsetzt, müssen wir zusätzliche Maßnahmen ergreifen.» Es gelte alles zu tun, um eine Situation wie im Frühjahr zu vermeiden, sagte sie mit Blick auf die dritte Corona-Welle. Bundesweit stieg die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen laut Robert Koch-Institut (RKI) nun weiter auf 14,3 - am Vortag waren es 13,8 gewesen, der jüngste Tiefststand am 6. Juli lag bei 4,9.

Zwei Monate vor der Bundestagswahl ist das weitere Vorgehen beim Corona-Krisenmanagement eine heikle Angelegenheit: Welche Schritte sind wann für wen sinnvoll und treffen womöglich mitten in der heißen Wahlkampfphase auch auf breitere Akzeptanz? Mit den Ländern solle in den kommenden Tagen und Wochen überlegt werden, was möglich und zu machen sei, sagte Demmer. Angepeilt wird auch eine Runde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten - Termin noch offen. Im Fokus stünden eine höhere Impfquote, der Umgang mit Reiserückkehrern und mögliche Maßnahmen gegen steigende Zahlen.

Bei den Impfungen gibt es nach langem Bitten um Geduld nun regelmäßig Appelle an Zögernde - denn genug Impfstoff sei inzwischen da. «Das zu Beginn der Impfkampagne ausgegebene Ziel, jeder impfwilligen Person bis Ende des Sommers ein Angebot einer Erstimpfung zu machen, wurde also bereits zu Anfang des Sommers und damit deutlich früher erreicht», heißt es in einem Bericht, mit dem Ressortchef Jens Spahn (CDU) am Montag den Bundestag und seine Länderkollegen informierte.

Jetzt gelte es, Bürger zu erreichen, die sich noch nicht für eine Impfung entschieden hätten, heißt es darin weiter. Wichtig dafür seien konkrete niedrigschwellige Angebote vor Ort. Fast die Hälfte der Menschen in Deutschland (49,4 Prozent) ist inzwischen laut RKI vollständig geimpft, mindestens eine erste Spritze haben demnach 60,9 Prozent der Bevölkerung. Es gibt aber regionale Unterschiede: In Bremen sind 69,8 Prozent der Einwohner mindestens einmal geimpft, Schlusslicht ist weiterhin Sachsen mit einem Anteil von 51,6 Prozent.

Als Impf-Anreiz soll dabei durchaus auch wirken, von möglichen neuen Beschränkungen verschont bleiben zu können - wie genau, ist aber offen. Die Bundesregierung betonte allgemein, dass voll Geimpfte und Genesene mit einmaliger Impfung - im Unterschied zu per Schnelltest Getesteten - nicht mehr relevant zum Infektionsgeschehen beitrügen. Tests seien auch nicht zu 100 Prozent sicher und aussagekräftig.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sieht bei einer möglichen vierten Corona-Welle Geimpfte im Vorteil. «Sie dürfen keine Einschränkungen haben wie diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Ich halte es für richtig, dass es keinen Impfzwang gibt. Das heißt aber auch, dass man ohne Impfung Nachteile wie das ständige Testen in Kauf nehmen muss.»

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte im ZDF: «Es wird keine allgemeine Impfpflicht geben.» Es solle dabei bleiben, dass Geimpfte, Genesene und auch negativ Getestete Zugänge haben. «Wenn alle, die sich impfen lassen können, das dann trotzdem nicht machen, dann muss man auch vielleicht darüber nachdenken, ob die Testmöglichkeiten dann eben auf deren Kosten gehen.»

Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) hatte mögliche Beschränkungen für Nicht-Geimpfte ins Gespräch gebracht. «Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist», sagte er der «Bild am Sonntag». Am Montag erläuterte Braun im «Bild»-Talk, nur für den Fall, dass die Gruppe der Ungeimpften so groß bleiben sollte, dass es eine relevante Welle gebe, seien sie bei Beschränkungen auch anders zu behandeln.

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sagte, das Wichtigste sei zunächst, jedem ein Impfangebot zu machen. «Und dann im nächsten Schritt, wenn das geleistet worden ist, darüber zu sprechen, dass in manchen Bereichen eben Leute, die geimpft sind, Dinge tun können und andere nicht.» Linke-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler warnte davor, nicht Geimpfte unter Druck zu setzen. Nötig seien bessere Informationen und Impfmöglichkeiten. FDP-Generalsekretär Volker Wissing sagte der «Rheinischen Post», statt mit Impfpflichten oder neuen Kontaktbeschränkungen zu drohen, seien alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit die «eingeschlafene Impfkampagne» Fahrt aufnehme.

Lambrecht wies zugleich auf die Vertragsfreiheit hin. Sie lasse einem Gastronomen «selbstverständlich offen, ob er die Bewirtung in seinem Restaurant auf Geimpfte beispielsweise beschränkt». Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband hält so etwas nur in einem «Worst Case» für vorstellbar, wenn die Infektionslage sich dramatisch verschlechtert. Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges sagte der dpa: «Es gibt derzeit keine Veranlassung, so etwas auf den Weg zu bringen. Das wäre Stufe X, davon sind wir aber weit entfernt.» Aktuell bestehe in den meisten Ländern keine Testpflicht für die Innengastronomie.


 

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