Aufatmen bei Condor - Reisebranche muss sich neu sortieren

| Tourismus Tourismus

Von Friederike Marx, dpa, und Steffen Weyer, dpa-AFX

Die Pleite des zweitgrößten europäischen Reisekonzerns Thomas Cook jagt Schockwellen durch die Branche. Die Insolvenz des britischen Traditionsunternehmens trifft die Tourismusindustrie ausgerechnet vor Beginn der Herbstferien in Deutschland. Der Markt der Reiseveranstalter muss sich neu sortieren.

Zumindest der zu Thomas Cook gehörende Ferienflieger Condor kann vorerst aufatmen. Der Bund und das Land Hessen wollen der Airline mit Sitz in Frankfurt mit einem Überbrückungskredit helfen. Es geht um 380 Millionen Euro, wie es in Verhandlungskreisen hieß. Die erlösende Nachricht für Unternehmen, Beschäftigte, Urlauber und die ganze Branche sickerte am späten Dienstagabend durch. Bislang fliegt Condor planmäßig - und die Reiseindustrie setzt darauf, dass die Airline weiter in der Luft bleibt.

«Sollte Condor den Flugbetrieb einstellen, wäre das eine Katastrophe für die Branche angesichts der bevorstehenden Herbstferien», sagt Tourismusexperte Torsten Kirstges. Die fehlenden Kapazitäten ließen sich nicht so schnell ausgleichen. «Die Veranstalter müssten den betroffenen Kunden Schadenersatz zahlen.»

Denn Condor fliegt nicht nur für Thomas Cook, sondern ist auch ein wichtiger Partner für andere Reiseveranstalter. Im Schnitt sind nach Angaben des Unternehmens weniger als ein Fünftel der Condor-Passagiere Gäste der Thomas-Cook-Veranstaltermarken.

«Ein Grounding der Condor wäre für die Touristik und die Kunden katastrophal», sagte DER-Touristik-Zentraleuropa-Chef Ingo Burmester dem Branchenblatt «fvw». Auf der Mittelstrecke gebe es nach der Pleite von Air Berlin, Germania und Small Planet außer Tuifly und der Lufthansa-Tochter Eurowings keinen größeren deutschen Ferienflieger mehr. Auf der Fernstrecke sei die gesamte Touristik auf Condor angewiesen.

Der Markt der Reiseveranstalter wird durch die Thomas-Cook-Insolvenz ebenfalls kräftig durcheinander gerüttelt. «Gewinner werden andere Veranstalter wie beispielsweise Tui, DER Touristik oder FTI sein», sagt Experte Kirstges. «Denn die Kunden werden wegen der Insolvenz von Thomas Cook grundsätzlich nicht weniger reisen. Das Geschäft wird sich umverteilen auf andere Player. Das wird relativ schnell gehen.»

Die Unwägbarkeiten des Brexits und verändertes Buchungsverhalten hatten den ohnehin schon unter Druck stehenden Traditionskonzern Thomas Cook Anfang der Woche in die Insolvenz getrieben. Überteuerte Übernahmen und viel zu späte Veränderungen bei Technik und Geschäftsstrategie hatten den Konzern in eine Abwärtsspirale gebracht, aus der er nicht mehr herausfand.

Als die deutsche C&N Touristic aus Condor und Neckermann Ende 2000 den Kauf des britischen Reiseriesen einläutete, jubelte das Management um den damaligen C&N-Chef Stefan Pichler noch, dass man jetzt auf dem «zweitgrößten Pauschalreisemarkt Europas Fuß fassen» werde. C&N nahm den Namen Thomas Cook an - so stolz war man auf den großen Deal. Doch Terroranschläge stürzten die Branche in Turbulenzen. Danach setzten Billigflieger wie Ryanair und Easyjet die Veranstalter unter Druck. Bei Thomas Cook wurde Großbritannien immer mehr zum Sorgenkind.

Trotzdem ließ die frühere Thomas-Cook-Führung die Unternehmensteile lange nebeneinanderher wurschteln. «Die Briten wollten von den Deutschen einfach nichts annehmen», berichtet eine Insiderin. Anders als Condor in Deutschland verkaufte Thomas Cook in Großbritannien lange keine reinen Flugtickets. Noch 2010 erwarb der Konzern unter Führung von Manny Fontenla-Novoa dort 400 Reisebüros - obwohl immer mehr Menschen ihren Urlaub im Internet buchten.

Schon 2012 mussten Banken Thomas Cook vor der Pleite retten. Danach ließen die hohen Schulden dem Unternehmen kaum Luft zum Atmen. Sparsamere Flugzeuge, eigene Hotels, neue digitale Dienstleistungen - unter dem neuen Chef Peter Fankhauser fehlte es weniger an Ideen als am nötigen Geld. Ähnlich wie bei der 2017 gescheiterten Fluggesellschaft Air Berlin trieb die hohe Zinslast Thomas Cook in den Abgrund.

Konkurrent Tui, der vor zehn Jahren ebenfalls in eine brenzlige Lage geraten war, bekam nach dem Antritt von Fritz Joussen als Konzernchef 2013 die Kurve. Dank eigener Hotelketten mit inzwischen fast 400 Häusern und einer großen Kreuzfahrtflotte trieb er Gewinn und Aktienkurs nach oben - und befreite den Konzern ein Stück weit von der Preisschlacht bei den Pauschalreisen. «TUI 2019 ist ein komplett anderes Unternehmen als vor fünf Jahren. Wir haben nur noch 30 Prozent traditionelles Veranstaltergeschäft», beschreibt Joussen die Entwicklung. Zwar etablierte auch Thomas Cook Hotels wie Cook's Club und Casa Cook. Allein - es waren zu wenige und sie kamen zu spät.

Der frühere Vodafone-Manager Joussen treibt bei Marktführer Tui zudem die Digitalisierung voran. Die Kunden sollen Reisen und Zusatzangebote direkt per App buchen, warb er - und fing sich heftige Kritik der Reisebüros ein. Doch Joussen reagiert mit seiner Strategie vor allem auf das geänderte Reise- und Buchungsverhalten der Europäer. Die klassische Pauschalreise ist immer weniger gefragt, und das Internet macht die Preise bei identischen Hotels und Flügen so übersichtlich, dass eigentlich nur der günstigste Anbieter eine Chance hat.

Aktuelle Verlierer sind nach Einschätzung von Experte Kirstges die deutschen Reisebüros, die Thomas-Cook-Reisen vermittelten und «ihre Provision dafür nicht mehr bekommen dürften». Der Professor an der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven rechnet dennoch nicht mit einem baldigen Ende der Pauschalreise. Tui-Chef Joussen sieht das so: «Komfort und Sicherheit bei der Organisation des Urlaubs ist weiter sehr wichtig, aber eben auch ein hohes Maß an Individualisierung. Der Begriff Pauschalreise ist nicht sonderlich modern, die Leistung aber weiter sehr attraktiv.»


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Der jährliche Trendreport „Unpack ’26: The Trends in Travel“ der Expedia Group wurde veröffentlicht. Die Studie, die auf internen Daten und einer weltweiten Befragung von 24.000 Reisenden basiert, liefert Einblicke in das künftige Reiseverhalten und identifiziert relevante Trends.

Erstmals seit 20 Jahren ist der Reisepass der Vereinigten Staaten nicht mehr unter den zehn mächtigsten Pässen der Welt. Im aktuellen Henley Passport Index fällt der US-Pass auf den 12. Platz und teilt sich diesen mit Malaysia.

Nach mehr als viereinhalb Jahren sind die Sanierungsarbeiten im Innenhof des berühmten Dresdner Zwingers offiziell beendet. Damit steht das bedeutende barocke Gartenensemble Besuchern wieder als Ganzes offen. 

Die Stadt Palma de Mallorca verschärft die Regeln für den Tourismus. Die Verwaltung der größten Stadt auf Mallorca plant ein umfassendes Verbot für neue Ferienwohnungen sowie für neue Hostels.

Eine TUI-Studie beleuchtet die Rolle der pflanzlichen Ernährung bei der Urlaubsplanung von Vegetariern und Veganern in Deutschland. Die Ergebnisse zeigen, dass das kulinarische Angebot für diese Zielgruppe einen besonders hohen Stellenwert einnimmt.

Nur 45 Autominuten von der Hauptstadt entfernt entsteht ein neues, nachhaltiges Ferienresort im skandinavischen Stil. Die 45 Ferienimmobilien bieten Wohnflächen zwischen 75 und 98 Quadratmetern. Die Nähe zu Berlin und die Erreichbarkeit des Flughafens BER sollen Touristen locken.

Die Deutschen träumen von Reisen, die große Erlebnisse und Tiefgang versprechen, zeigen die Ergebnisse der repräsentativen Studie „Reiseträume“ von HolidayCheck. Obwohl es um absolute Sehnsuchtsziele – losgelöst von Budget, Zeit oder Sicherheitsaspekten – ging, landet überraschenderweise das eigene Land auf dem ersten Platz der Bucket List.

Die österreichische Tourismusbranche blickt mit verhaltenem Optimismus auf die kommende Wintersaison 2025/26. Trotz eines weiterhin herausfordernden wirtschaftlichen Umfelds zeigt eine aktuelle Studie ein stabiles Nachfrageniveau.

Der Deutsche Reiseverband blickt optimistisch auf die kommende Wintersaison 2025/26. Fernreisen und Kreuzfahrten erleben derzeit einen signifikanten Zuwachs. Insgesamt liegt das Umsatzwachstum für den Winter nach Buchungsstand Ende August bei neun Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Für Gen Z und Millennials sind Geschäftsreisen laut einer Umfrage weit mehr als eine berufliche Anforderung; sie stellen vielmehr eine Gelegenheit zur Aufwertung des Lebensstils dar. Und dafür sind sie auch bereit zu zahlen.