Urlaub für das Selfie: Wie sich das Reisen verändert hat 

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Billigflieger, Smartphones und Social Media, wachsende Besuchermassen und der Klimawandel: Das Reisen und der Tourismus haben sich in den vergangenen 25 Jahren stark verändert.

Warum eine Urlaubsreise heute anders als früher ist:

1. Billigflieger und Erlebnissucht

Das ganze Jahr malochen und dann im Sommer einmal für mindestens drei Wochen nach Bayern, Mallorca oder Kroatien: Das ist für viele Menschen nicht mehr erstrebenswert. Der Trend geht seit Jahren weg vom klassischen langen Haupturlaub und hin zu häufigeren, dafür aber kürzeren Reisen, erklärt Philipp Wagner von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR), die das Urlaubsverhalten der Deutschen untersucht.

Diese Entwicklung ist keine Überraschung, sie hängt stark mit dem Aufkommen von Billigfliegern wie Ryanair und Easyjet zusammen.

Wenn Barcelona oder Sardinien im besten Fall nur noch 40 oder 50 Euro entfernt sind, ist die Verlockung groß, auch mal nur für ein verlängertes Wochenende durch Europa zu jetten.

«Kurze Reisen mit dem Flugzeug haben eindeutig zugelegt», sagt Wagner. Beim Haupturlaub habe der Flieger mittlerweile sogar das Auto als Transportmittel vom ersten Platz verdrängt. «Das hängt natürlich auch mit den günstigen Preisen für Flugtickets zusammen.»

Der Zukunftsforscher und Tourismusexperte Prof. Horst Opaschowski sieht darin einen gesamtgesellschaftlichen Trend: «Die Devise

lautet: Mehr Erleben in weniger Zeit.» Zwei Wochen Strandurlaub seien den meisten zu wenig. Erholung und Abstand vom Alltag bleiben zwar wichtige Reisemotive, bestätigt Wagner, doch hedonistische Motive seien wichtiger geworden: «Man will sich im Urlaub etwas gönnen und genießen, gleichzeitig aber auch viel sehen und erleben.»

Der Urlaub als Jagd nach herausragenden Erlebnissen: Das passt zur These, dass es auch in der Freizeit verstärkt um Selbstoptimierung geht. Ein Phänomen, das auf Reisen auftritt: «Fomo» (fear of missing out), die Angst etwas zu verpassen. Denn die Welt ist groß und die Bucket-Liste mit Reisezielen noch ziemlich lang.

2. Mehr Informationen, weniger Überraschungen

Ist das empfohlene Restaurant in New York oder Bangkok wirklich gut?

Im Zweifel weiß das Internet Bescheid. Netz und Smartphone haben das Reisen vereinfacht und demokratisiert. Jeder Urlauber kann sich von zu Hause aus über fast jeden Ort der Welt informieren.

Flüge, Hotels, Mietwagen sind mit ein paar Klicks gebucht. Ein Lokal in der Fremde? Online-Bewertungsportale helfen sofort. Und wo geht's lang? Google Maps findet fast immer den Weg. Da fällt es auf Reisen zunehmend schwer, sich überraschen zu lassen und Orte zu entdecken, von denen man gar nicht ahnte, wie spannend sie sind.

«Und wäre es möglich, dass der Zwang, alles sofort zu bewerten und zu rezensieren, einfach sehr schlechte Laune macht?», fragte ein Journalist, der Paris anhand der besten und schlechtesten Bewertungen auf Tripadvisor erkundete. Andersherum ist da immer die Frage: Habe ich vielleicht eine bessere Option übersehen?

Die Informationsflut bedeutet Freizeitstress. Ein Grund, warum die organisierte Pauschalreise beliebt bleibt: Nicht jeder hat die Zeit, alle Details der Reise mithilfe des Internets und von Apps selbst zu planen. Der Reiseveranstalter übernimmt das. «Viele lesen den Reiseführer erst im Flugzeug», sagt Opaschowski.

3. Wenn es nicht auf Social Media ist, ist es nicht passiert

Weg sein, raus sein, ohne Kontakt zur Heimat: Das war vor dem Zeitalter des Internets auf Reisen der (angenehme) Normalzustand.

«Manchmal kam die Postkarte erst an, als man schon wieder zu Hause war», erinnert sich Opaschowski. Und erst nach dem Urlaub konnte man stolz die Fotos exotischer Orte präsentieren.

Heute ist das grundlegend anders: Die Heimat ist nie ganz fern. «Man lässt Familie und Freunde am Urlaub teilhaben, das trägt zu einer Intensivierung des Erlebnisses bei», sagt Opaschowski. Es ist also durchaus so gewünscht. Ein Tag ohne Handy, gar Urlaub im Funkloch, das sei für viele Jugendliche eine Horrorvorstellung. Im Extremfall wird die Reise wie bei den Profi-Instagrammern als eine Art Live-Bericht von unterwegs auf allen Social-Media-Kanälen inszeniert.

Heute existiere alles, um in einem Foto zu enden, schrieb einmal die Fotografin Susan Sontag (1933-2004). Dieser Satz scheint vor allem auf Reisen zu gelten. Überall Touristen, die Selfies machen.

4. Die Grenzen des Massentourismus

Schon Hans Magnus Enzensberger stellte fest, dass der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet. Die Kritik am Massentourismus ist so alt wie der Tourismus selbst. «Die Diskussion ist nicht neu, aber sie wird immer wieder verdrängt, solange es noch erträglich ist», sagt Opaschowski. Ist es das noch?

Es spricht einiges dafür, dass viele Top-Reiseziele so langsam die Belastungsgrenze erreicht haben. Überall wird über eine bessere Steuerung oder Beschränkung der Besuchermassen diskutiert - von Island über Paris, Barcelona und Venedig bis Mallorca.

Denn der Urlauber ist endgültig selbst zum Problem geworden. Auch wenn er vermeintlich alternativ in einer Airbnb-Unterkunft übernachtet - und so die Mieten in die Höhe treibt.

Das betrifft vor allem die beliebten Städtereiseziele, wo sich die Urlauber auf die Füße treten. Der italienische Autor Marco d'Eramo aus Rom kritisiert, die Touristenstadt werde «als eine Art Stadtpräparat zu einem riesigen Themenpark», wie er in seinem Buch «Die Welt im Selfie» schreibt.

Beim Sightseeing sieht man vielerorts fast nur noch die anderen Touristen. Es fällt schwerer als früher, den Massen zu entkommen.

5. Reisen steht in der Kritik - wegen des Klimas    

Globetrotter, Kosmopolit, Vielflieger: Das waren bis vor kurzem Begriffe, die fast ausschließlich positiv besetzt waren. Der vielreisende Urlauber sah sich die Welt an, sofern er es sich leisten konnte, und bekam dafür Respekt und manchmal auch Neid.

Seit die Klimakrise die öffentliche Debatte beherrscht, mehren sich skeptische Töne. Gerade das Fliegen - einst Symbol von Mobilität und Freiheit - ist besonders umweltschädlich. Wer aus Privatvergnügen um die Welt fliegt, schadet dem Planeten. Flugscham lautet das Schlagwort. Viel zu reisen ist nichts mehr, mit dem sich unbedingt angeben lässt. Zumindest in bestimmten Milieus.

Wie Reisen und Umweltschutz zusammenpassen, wird häufiger diskutiert als früher, gerade auch unter Urlaubern selbst. Opaschowski betont

jedoch: «Zwischen Problembewusstsein und tatsächlichem Verhalten klafft eine große Lücke.» Schließlich verzichten die wenigsten Reisenden dem Klima zuliebe auf das Fliegen. Urlaub sei die populärste Form von Glück, sagt der Zukunftsforscher. «Daran wird auch die Klimadebatte nichts ändern.»


 

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