Corona-Klage vor Gericht: Allianz muss Niederlage gegen Münchner Gastwirt fürchten

| Gastronomie Gastronomie

Der Allianz Versicherungskonzern muss vor Gericht bei seinen Auseinandersetzungen mit Corona-geschädigten Wirten Niederlagen fürchten. Bei der mündlichen Verhandlung um seine Betriebsschließungs-Versicherung weiß Paulaner-Wirt Christian Schottenhamel die Richterin auf seiner Seite.

[+++ Aktuell 1.10.2020 +++ Betriebsschließung: Gastwirt gewinnt Corona-Klage gegen Versicherung: Nach einer bundesweiten Corona-Klagewelle gegen zahlungsunwillige Versicherungen hat das Münchner Landgericht erstmals einem klagenden Gastwirt die geforderte Millionensumme zugesprochen. Laut Urteil muss die beklagte Versicherungskammer die Kosten der coronabedingten Betriebsschließung an den Pächter des Münchner Augustinerkellers zahlen - exakt 1,014 Millionen Euro. Weiterlesen bei Tageskarte]

Deutschlands größter Versicherungskonzern Allianz muss vor Gericht bei seinen Auseinandersetzungen mit coronageschädigten Wirten schlagzeilenträchtige Niederlagen fürchten. Das Münchner Landgericht ließ bei einer mündlichen Verhandlung am Donnerstag durchblicken, dass die Betriebsschließungsversicherung der Allianz möglicherweise für die behördlich angeordnete Schließung von Gaststätten im Frühjahr zahlen muss, auch wenn der Covid-19-Erreger in den entsprechenden Policen nicht explizit genannt ist.

«Wir sehen im vorliegenden Fall nichts, was dem Anspruch der Klägerin entgegen steht», sagte die Vorsitzende Richterin Susanne Laufenberg. Im konkreten Fall gegen die Allianz geklagt haben die Wirte der Paulaner-Gaststätte am Nockherberg, einem bundesweiten Millionenpublikum durch die Fernsehübertragung des alljährlichen Starkbieranstichs bekannt. Sie fordern 1,1 Millionen Euro als Ausgleich für sechs Wochen Umsatzausfall, berechnet nach dem im Versicherungsvertrag benannten Tagessatz.

Geschäftsführer Christian Schottenhamel warf dem Dax-Konzern nach der Verhandlung vor, die eigenen Interessen über diejenigen der Kunden zu stellen: «Da will der Vorstand wahrscheinlich höhere Dividenden auszahlen an seine Aktionäre.»

Bundesweit sind an den Gerichten derzeit Klagen von Gastronomen gegen mehrere Versicherer anhängig, die die Kosten der coronabedingten Zwangsschließungen im Frühjahr nicht bezahlen wollen. Allein in München sind es 71 Fälle. Auch der Gaststättenverband Dehoga hat keinen Überblick: Es seien auf jeden Fall hunderte, womöglich tausende Klagen, sagte eine Sprecherin in Berlin.

Der Marktführer Allianz argumentiert nicht mit den Interessen seiner Aktionäre, sondern mit den Versicherungsbedingungen: Demnach gilt der Versicherungsschutz nur für Krankheiten und Erreger, die im Vertrag ausdrücklich genannt sind.

Darüber hinaus hat die von dem Konzern beauftragte Anwaltskanzlei auf mehreren Ebenen versucht, die Klagen auszuhebeln - die Allianz-Anwälte bestreiten sowohl, dass die Corona-Zwangsschließungen des Frühjahrs rechtmäßig waren, als auch, dass es sich um eine behördliche Anordnung handelte. Das wiederum ärgert die Richter: «Passen Sie ein bisschen auf mit dem Bestreiten», sagte die Vorsitzende Laufenberg dazu. «Bestreiten ins Blaue hinein ist nicht zulässig.»

Schon in einem im Juli verhandelten Fall hatte das Münchner Landgericht die nicht eindeutig formulierten Versicherungsbedingungen des Branchenprimus kritisiert. Denn die Allianz hat in den entsprechenden Verträgen zwar eine Liste von Krankheiten und Erregern festgelegt, für die der Versicherungsschutz gilt - nicht erwähnte Erreger aber auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen.

Gleichzeitig hat die Allianz laut Gericht die Liste der im Infektionsschutzgesetz genannten Erreger nicht vollständig übernommen. Explizit ausgeschlossen sind in den Policen nur «Prionenerkrankungen», das sind die Rinderseuche BSE und verwandte Erreger. «Ich erwarte von einer Versicherung, dass sie ihre Versicherungsbedingungen so klar formuliert, dass ich das auch verstehe», sagte Kläger Schottenhamel dazu. Dieser Auffassung schloss sich die Kammer an. Christian Schottenhamel ist auch Vorsitzender des Münchner Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) und Wiesn-Wirt.
 

Einzelne Niederlagen der Allianz in München würden aber nicht bedeuten, dass der Konzern automatisch in sämtlichen Verfahren unterliegt. Für andere Versicherer hat der Ausgang der Klagen gegen die Allianz erst recht keine Signalwirkung, weil jedes Unternehmen andere Versicherungsbedingungen formuliert hat. Das Gericht hat bereits klargestellt, dass jede Klage einzeln bewertet werden muss.

Ein erstes Verfahren wurde am Donnerstag bereits entschieden, dabei handelt es sich aber um einen Sonderfall: Geklagt hatte eine Kindertagesstätte, die ihren Betrieb ebenfalls sechs Wochen lang weitgehend einstellen musste. «Die Klage wird abgewiesen», verkündete Richterin Laufenberg das Urteil. Denn die Kita musste während des Lockdowns Notbetreuung anbieten, auch die Küche war noch in Betrieb. «Das Problem ist, dass die Betriebsschließungsversicherung nur eintrittspflichtig ist, wenn der Betrieb geschlossen ist, und das war hier nicht der Fall», begründete die Richterin ihre Entscheidung.

In Bayern ist der Frust der Wirte auf die Versicherungen besonders groß. Daher bekannte Gastronomen Schauspieler und Kabarettisten ein Video gegen die Versicherungen produziert, das sich im Corona-Sommer Internet schnell verbreitete und in dem Alfons Schuhbeck einen Gastauftritt hat. „Ihr lasst uns im Stich, wir sind am End“ sind Rosenheims Augustinerwirt Eric Brodka.(Mit Material der dpa)
 


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Weniger Restaurantbesuche, kleinere Bestellungen und schließende Betriebe belasten die Gastronomie. DEHOGA-Schatzmeister Gereon Haumann hofft auf Weihnachten und den Jahreswechsel.

Viele Restaurants und Imbissstuben zeigen bei der Kartenzahlung auf dem Lesegerät inzwischen Vorschläge für bestimmte Trinkgeldbeträge an - und stoßen damit bei vielen Gästen auf Ablehnung.

Der HelloFresh Trend Report 2025 analysiert die Kochgewohnheiten der Deutschen und zeigt eine wachsende Offenheit für internationale Gerichte bei gleichzeitigem Festhalten an Klassikern.

Die Hamburger Trattoria Cuneo ist mit der 22. Walter-Scheel-Medaille geehrt worden. Die Auszeichnung würdigt die Verdienste des Hauses um die europäische Genusskultur und hebt gleichzeitig die historische Bedeutung des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens hervor.

Die Gastronomie in Deutschland verzeichnete im Oktober 2025 einen realen Umsatzrückgang von 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Zudem korrigierte das Statistische Bundesamt die Werte für den Monat September nach unten.

Das renommierte Sternerestaurant Meyers Keller in Nördlingen hat Insolvenz angemeldet. Während der Betrieb unter der Leitung von Joachim Kaiser und einem vorläufigen Insolvenzverwalter uneingeschränkt weiterläuft, wird nach einer langfristigen Lösung für den Erhalt des traditionsreichen Hauses gesucht.

Der ifo Geschäftsklimaindex sinkt im Dezember 2025 auf 87,6 Punkte und verdeutlicht die fehlende Aufbruchstimmung in der deutschen Wirtschaft. Während das Verarbeitende Gewerbe und der Handel unter rückläufigen Aufträgen und einem schwachen Weihnachtsgeschäft leiden, meldet die Gastronomie einen starken Jahresabschluss.

Im Zuge der Neupositionierung des Conservatorium Hotels als Mandarin Oriental Conservatorium, Amsterdam eröffnet Anfang 2026 das erste Ottolenghi-Restaurant in den Niederlanden.

Der Lieferando Report 2025 analysiert die aktuellen Entwicklungen im deutschen Liefermarkt. Neben einem massiven Wachstum bei koreanischen Gerichten und viralen Food-Trends etabliert sich der Dienst zunehmend als Lieferquelle für Non-Food-Artikel.

Die Jeunes Restaurateurs Deutschland ziehen Bilanz für das Jahr 2025. Neben der politischen Arbeit im Bundestag und dem Einsatz für einen reduzierten Mehrwertsteuersatz standen soziale Charity-Projekte sowie kulinarische Innovationen im Mittelpunkt.