Es gibt Hoffnung für die Kneipenkultur - Das Bierstübchen in Mainz

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Das Schorle-Fenster öffnet sich jeden Samstag. Dann wird am «Bierstübchen» reichlich Bier und Weinschorle nach außen gereicht. Die Kneipe im Schatten des Mainzer Doms mit ihrer gefliesten Fassade ist ein Beispiel dafür, dass Kneipenkultur nicht überall auf dem absteigenden Ast ist - und es nicht immer hip und schick zugehen muss. 

Vor rund eineinviertel Jahren wechselte das «Bierstübchen» nach vielen Jahren den Betreiber, der vorherige Wirt hörte altersbedingt auf. Drei Freunde zwischen 28 und 44 Jahren ergriffen die Möglichkeit, wurden kurzerhand Kneipiers - obwohl sie das davor noch nie gemacht haben. Einer von ihnen ist Daniel Sieben, er erinnert sich noch genau, wie das Projekt Gestalt annahm. 

Hier zum Instagram-Profil des Bierstübchens in Mainz: https://www.instagram.com/zumbierstuebchen/?hl=de

Beim Messen des Tresens nahm es seinen Anfang 

Rund zehn Jahre vorher habe er ein Mainzer Kneipenquartett gemacht, erzählt der 44-Jährige, das «Bierstübchen» habe damals abgesagt. Eine Neuauflage war geplant, diesmal mit dem Laden am Fischtorplatz. Also tranken die drei Freunde dort ein Bier und wollten die Tresenlänge vermessen, ein auf jeder Karte des Quartetts aufgelistetes Kriterium. Der Besitzer habe gesagt: «Das könnt ihr euch sparen, ich mache das nicht mehr lange.» 

Einen Bewerberbrief, ein Gespräch mit der Besitzerfamilie und viel Wartezeit später war alles fix - die Drei waren die neuen Betreiber des Stübchens. Viel verändert wurde im Inneren nicht: hier ein paar Fliesen gestrichen, dort zwei Tafeln aufgehängt, ein Nussautomat aufgestellt. 

Von Student bis Kreuzfahrttourist 

In das Getränkeangebot wurde dagegen reichlich Herzblut gesteckt. Es gibt eine Reihe an Biersorten, Shots, Longdrinks, Limonaden und auch Eigenkreationen. In der Hinsicht müsse mit der Zeit gegangen werden, da sind sich Daniel Sieben, seine Mitstreiter Niklas Fiebach und Niklas Rieder sowie der befreundete Getränkespezialist Niklas Schmedding einig. Auch darin: Grundsätzlich sei das Kneipenkonzept so gar nicht überholt. 

Der Erfolg gibt Recht: Seit der Öffnung im Mai 2024 kommen viele Stammgäste, vom Studierenden bis zum Rentner aus der Nachbarschaft. Es kommen aber auch Flusskreuzfahrt-Touristen und Flugzeugbesatzungen. Inzwischen zählt das Stübchen neben den drei Besitzern, die im Hauptberuf andere Jobs haben, 15 Helfer – darunter Minijobber, Werkstudenten sowie einen Festangestellten.

Dehoga-Chef: Öffentliche Wohnzimmer wichtig

«Jede wiedereröffnete Kneipe ist ein Hoffnungsschimmer», sagt der Präsident des Gaststättenverbandes Dehoga Rheinland-Pfalz, Gereon Haumann. Gerade in Zeiten einer vereinsamenden Gesellschaft seien öffentliche Wohnzimmer, wie es Kneipen seien, wichtig. 

Wenn vor der Wiedereröffnung vieles belassen werde, spare das Anlaufkosten, sagt Haumann. Doch nicht nur das. Traditionelles Interieur könne verschiedene Menschen anziehen. Es könne den Geschmack von Leuten treffen, die vor 20 Jahren in Kneipen unterwegs waren, aber auch Junge anziehen, die holzige Kneipen mit langen Theken und Barhockern cool fänden. Für Haumann funktioniert das vor allem in Städten, wo rundherum viel glitzere und glänze. Auf dem Land fehle diese Faszination des Kontrasts. 

Überschüsse fließen in Projekte am Ort

Dass sich trotzdem auch in ländlichen Gegenden was machen lässt, zeigt die Grenzbachstube in Fischbach bei Dahn im Landkreis Südwestpfalz. Die einzige verbliebene Kneipe in dem Ort wäre 2023 fast dichtgemacht worden – doch es kam anders: Eine Gruppe junger Leute zwischen 26 und 36 Jahren gründete den Kultur- und Geselligkeitsverein Fischbach und übernahm die Stube. Geld wollen sie nicht verdienen, sie engagieren sich ehrenamtlich. Überschüsse fließen in Projekte im Ort wie einen Seniorentag oder einen Kinderspielplatz.

Erst sei die Übernahme der einstigen Raucherkneipe eine typische Schnapsidee an der Theke gewesen, erzählt Vorstandsmitglied Pascal Barudio. Daraus wurde Ernst. Nach ein paar Renovierungsarbeiten – streichen, neue Polster für die Stühle und Einrichtung eines Raucherbereichs mit Abzug – öffneten die Türen im April vergangenen Jahres wieder, zumindest an Donnerstagen, Freitagen und Sonntagen. Und samstags sind manchmal Events, sagt er.

«Die bürokratischen Abgründe sind tief» 

Der Weg dorthin sei nicht immer leicht gewesen, berichtet Barudio. «Die bürokratischen Abgründe sind tief.» Keiner der Beteiligten habe vorher einen Verein gegründet, geschweige denn eine Kneipe betrieben. Es folgten Schulungen zum Infektionsschutzgesetz und viel Papierkram. 

Das Konzept: Teamarbeit. Da alle Mitglieder des Vereinsvorstands normale Jobs haben, werden Aufgaben aufgeteilt, jeder habe etwa alle fünf Wochen mal einen Dienst, sagt Barudio. Umgerechnet zwei Stunden pro Woche investierten die aktiven Vorstände ungefähr im Schnitt. Das sei machbar. 

«Wir würden uns freuen, wenn wir ein Leuchtturmprojekt werden können.» Auch anderswo machten Kneipen dicht. Ordentlich Aufmerksamkeit dürfte ihm und seinen Mitstreitern der Besuch des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Alexander Schweitzer (SPD) am Freitag (25. Juli) bescheren. 

Pandemie und Mehrwertsteuer - ein Strauß an Herausforderungen

Der Niedergang vieler Kneipen in kleinen Orten in den vergangenen Jahrzehnten ist für Haumann vom Dehoga auch damit zu erklären, dass einst viele Kommunen aus guter Absicht heraus in den 1980er und 90er Jahren Dorfgemeinschaftshäuser gebaut hätten. Diese hätten das bis dato für die Kneipen so wichtige Saalgeschäft kaputtgemacht. Mittlerweile seien viele Gemeinschaftshäuser in die Jahre gekommen oder dicht – angesichts klammer kommunaler Kassen, die Kneipen aber längst weg.

Der Verband zählte allein im vergangenen Jahr den Verlust von rund 500 Gastbetrieben in Rheinland-Pfalz. Darunter sind nicht nur Kneipen, aber eben auch. Viele Betriebe hätten die Pandemie noch immer nicht überwunden, Anfang 2024 sei dann die Wiedererhöhung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie hinzugekommen, erklärt Haumann. Grundsätzlich gehe die Zahl der Insolvenzen im dritten Betriebsjahr in die Höhe. Das sei das Jahr des ersten Steuerbescheides, dann zeige sich, ob vernünftig kalkuliert worden sei. 

Daniel Sieben in Mainz und sein Team des «Bierstübchens» wissen, dass Erfolg kein Selbstläufer ist. In der Adventszeit wollen sie wieder das «Glühstübchen» vor ihre Kneipe stellen und Glühwein ausschenken. Die Ideen gehen ihnen nicht aus und die Lust schon gar nicht. Sieben sagt: «Wir haben es nicht bereut.» (dpa)


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