Frittenland Belgien: Kartoffelindustrie in der Krise

| Industrie Industrie

Fritten sind in Belgien so etwas wie in Deutschland Sauerkraut, Brat- und Currywurst und Döner zusammen: ein identitätsstiftendes Nationalgericht. Die Frittenbuden wollen Weltkulturerbe werden, kein Land exportiert mehr tiefgekühlte Kartoffelprodukte als Belgien (Tageskarte berichtete). Doch auch diese Branche blieb von den Folgen der Corona-Krise nicht verschont. Bauern blieben im Frühjahr vergangenen Jahres auf ihren Kartoffeln sitzen, die Kühlkammern waren randvoll - was einen Sprecher der Kartoffelindustrie im April 2020 zu einem ungewöhnlichen Aufruf verleitete: Esst mehr Fritten. Ein Jahr später ist er überzeugt: Die Bitte hat gewirkt.

«Ich habe 24 Stunden am Tag Interviews gegeben in diesen Tagen», erinnert sich Romain Cools vom Verband der kartoffelverarbeitenden Industrie (Belgapom) an die Zeit nach seinem Aufruf. Die Situation war für die Branche zunehmend dramatisch geworden: Zwar gab es für einen Teil der Ernte bereits Verträge mit Abnehmern. 30 bis 40 Prozent würden aber auf dem freien Markt verkauft, erzählt Cools. Und hier sei zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 die Nachfrage auf fast null gefallen. 750 000 Tonnen belgischer Fritten-Kartoffeln lagen demnach ohne Abnehmer herum, die Kühlkammern gerieten an ihre Kapazitätsgrenzen (Tageskarte berichtete).

«Esst zweimal statt einmal pro Woche Fritten» - mit dieser Bitte an die Belgier wollte Cools den Absatz vor allem tiefgekühlter Kartoffelprodukte ankurbeln. Der Aufruf sei eine spontane Antwort in einem Interview mit einer belgischen Zeitung gewesen. Als auch englischsprachige Medien berichteten, sei sein Aufruf viral gegangen. Heute ist Cools sicher: «Der Aufruf und das Medieninteresse hatten einen positiven Effekt auf die Verkaufszahlen.»

Zumindest haben sie womöglich ein noch schlechteres Jahr 2020 verhindert: Um 15 Prozent seien die Investitionen in die kartoffelverarbeitende Industrie im Vergleich zu 2019 zurückgegangen, sagt Cools. 16,5 Prozent weniger Menschen waren in der Branche beschäftigt. Statt der erwarteten 5,6 Millionen Tonnen Kartoffeln wurden 2020 nur 5,08 Millionen Tonnen verarbeitet (2019: 5,4 Millionen). Um rund zehn Prozent seien die Exporte belgischer Betriebe zurückgegangen, sagt Cools. Auch Kartoffelbauern und Zulieferer hätten gelitten.

Um Platz in den Kühlhäusern zu schaffen, wurden so viele Kartoffeln wie möglich an Tafeln verteilt. Große Mengen der Knolle endeten außerdem als Viehfutter oder in Biogasanlagen. Zum Glück hätten zwei Hauptabnehmer belgischer Kartoffeln - die Golfstaaten und Brasilien - weiterhin importiert, sagt Cools. Positiv ausgewirkt hätte sich auch, dass einige asiatische Länder die Corona-Krise in den Griff bekamen.

Fritten sind in Belgien identitätsstiftend. Gemeinsamen Stolz gibt es in dem Land mit verschiedenen Regionen und Sprachen nur in einigen Punkten, wie Romain Cools erklärt. Beim Fußball-Nationalteam etwa, beim Bier, der Schokolade - oder eben bei den Fritten. Gegessen werden die fettigen Stängel gerne an den berühmten Frittenbuden. An einer von ihnen machte auch Kanzlerin Angela Merkel vor einigen Jahren bei einem schier endlosen EU-Gipfel halt. Nun wollen die Frittenbuden sogar Unesco-Weltkulturerbe werden, ein entsprechender Antrag ist auf den Weg gebracht.

Die Frittenbuden wurden von der Corona-Krise weniger kalt erwischt als verarbeitende Industrie und Exporteure. Er tue sich schwer damit, sie als Opfer zu bezeichnen, sagt Bernard Lefèvre, Vorsitzender des nationalen Dachverbands der Frittenbuden-Betreiber Navefri. Denn in der «großen Familie» der Gastronomie hätten die Imbisse zumindest durchgehend die Möglichkeit gehabt, etwas zu verkaufen. Im Gegensatz zu Restaurants, die neun der vergangenen zwölf Monate zu waren, hätten die Buden keinen einzigen Tag schließen müssen. «Ohne es zu wollen, liegen wir voll im Trend», sagt Lefèvre. Street Food? Essen auf die Hand? Machen die Frittenbuden schon lange.

Trotzdem habe es Umsatzeinbußen zwischen 20 und 80 Prozent gegeben, sagt Lefèvre. Schlimmer als Frittenbuden auf dem Land hätte es von Touristen abhängige Betreiber in den Großstädten getroffen. Geholfen hätte aber eine «ziemlich gute» und schnelle staatliche Unterstützung. Neben weiteren Maßnahmen gab es Ausgleichszahlungen für Buden, die Umsatzeinbußen von mindestens 40 Prozent nachweisen konnten. Er habe nicht gehört, dass auch nur eine der rund 4600 Frittenbuden in Belgien habe dicht machen müssen, sagt Lefèvre. Im Gegenteil rechne er sogar damit, dass zunehmend Leute auf die Idee kommen könnten, neue Buden zu eröffnen. Viele dächten noch immer, die während der Corona-Krise offen gebliebenen Läden seien Goldgruben.

Braucht es nun also ein Jahr nach «Esst mehr Fritten» einen weiteren Aufruf? Die Preise seien auch in dieser Saison niedrig, sagt Cools. Als hilfreich könne sich aber herausstellen, dass es wegen des heißen und trockenen Sommers 2020 eine unterdurchschnittliche Kartoffelernte gegeben habe. Das könne helfen, den Markt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Eine neue Kampagne sei nicht nötig, sagt Cools. «Hoffen wir, dass das eine Seite im Geschichtsbuch des Jahres 2020 bleibt und nie mehr wiederkommt.» (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Pressemitteilung

Gelungene Premiere am Viktualienmarkt in München: Am 15. Oktober brachte das 370GRAD Pop-Up in der Kustermann Eventlocation rund 30 Aussteller und zahlreiche Entscheider aus Hotellerie, Gastronomie und Catering zusammen – für einen Tag voller Innovationen, Austausch und neuer Impulse.

Die Internorga 2026 hat die Bewerbungsphase für ihre drei wichtigsten Auszeichnungen eröffnet. Mit dem Internorga Zukunftspreis, dem Next Chef Award und dem Deutschen Gastro-Gründerpreis sollen innovative Lösungen, unternehmerischer Mut und der Branchennachwuchs gewürdigt werden.

Pressemitteilung

Zur EUROVINO 2025 hat die Fachmesse für Wein das eigene Podcast-Format ConVINOsation gelauncht. Als B2B-Angebot liefert der Podcast den Zielgruppen der EUROVINO auf Ausstellenden- und Besuchenden-Seite, wertvolle Insights und Impulse für die tägliche Praxis. Nun folgt die zweite Staffel mit sieben neuen Folgen bis zur EUROVINO 2026.

Der Feinschmecker hat die besten dunklen Schokoladen des Jahres 2025 ausgezeichnet. Im Rahmen einer Blindverkostung wurden 45 Tafeln mit einem Kakaoanteil um die 70 Prozent untersucht, darunter etablierte Marken und internationale Bean-to-Bar-Manufakturen.

Anzeige

Am 29. und 30. Oktober 2025 wird das MOC München erneut zum Hotspot für Gastgeber mit Haltung und Handschrift. Die Independent Hotel Show Munich (IH Munich) ist der einzige Branchentreff im deutschsprachigen Raum, der sich konsequent auf die unabhängige Luxus- und Boutique-Hotellerie fokussiert – mit starkem Blick auf die Alpenregion.

Auf dem Brauereigelände von Maisel & Friends in Bayreuth hat die neue „Braukunstwelt“ eröffnet und erweitert damit das Angebot von Maisel’s Bier-Erlebniswelt. Die Attraktion richtet sich mit ihrem Konzept explizit an ein Fachpublikum aus Hotellerie und Gastronomie, aber auch an Bierkenner und interessierte Neulinge.

Das neue FCSI Magazin geht den zentralen Branchenthemen auf den Grund: Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Innovation stehen im Fokus. Experteninterviews, praxisnahe Berichte und Analysen zeigen, wie Hotellerie und Gastronomie mit neuen Technologien und nachhaltigen Konzepten zukunftsorientiert reagieren.

Das Deutsche Weininstitut und die Fachzeitschrift WEIN + MARKT haben herausragende Weinfachhändler für ihre Leistungen ausgezeichnet. Der Fachhandelspreis würdigt die besten Betriebe in den Kategorien Beratung, Sortimentsgestaltung und Kundenpflege.

Nach einem schwierigen Weinjahr 2024 nähern sich die Winzer bei der diesjährigen Ernte wieder den üblichen Werten. Doch nicht alle Gebiete profitieren gleichermaßen.

Die Independent Hotel Show Munich präsentiert vom 29. und 30. Oktober 2025 im MOC München ein deutlich erweitertes Seminarprogramm. Die Messe, die sich an das Fachpublikum aus Hotellerie, Design und Hospitality richtet, verzeichnet dieses Jahr nicht nur ein räumliches, sondern auch ein inhaltliches Wachstum.