Vom Herd aufs Spargelfeld

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Mit zwei Fingern um die weiße Spargelstange greifen, die Erde drum herum etwas wegbuddeln, parallel das Messer hinabführen und dann mit Schwung zustechen. Soweit die Theorie. «Manchmal läuft es, manchmal nicht. Ich habe noch kein Gefühl dafür», sagt Hendrik Weyenberg. Es ist sein erster Tag auf dem Feld. Eigentlich studiert er Rechtswissenschaften und jobbt als Barkeeper im Kölner Club Bahnhof Ehrenfeld. Eigentlich.

Weil die Corona-Krise den Semesterstart verzögert, steht Weyenberg nun stattdessen in Latzhose auf dem Spargelfeld von Marco Kettelaers in Goch am Niederrhein, ganz in der Nähe seines Elternhauses. Seine letzten Ersparnisse sind für eine Reise nach Nepal drauf gegangen. «Jetzt brauche ich Kohle.» Das gilt auch für Maik Graven, der im normalen Leben als Koch im Restaurant «de Deichgräf» direkt am Rhein arbeitet - das ist bis auf Weiteres geschlossen und er selbst in Kurzarbeit.

Sehr viel Arbeit, kaum noch Arbeiter

Keine Arbeit mehr für die Menschen, so ist es zurzeit in vielen Branchen. In der Landwirtschaft ist es anders herum: sehr viel Arbeit, aber kaum noch Arbeiter. Seit die Regierung ein Einreiseverbot für Erntehelfer verhängt hat, schlagen die Verbände Alarm: Bundesweit ist von rund 300.000 fehlenden Helfern die Rede. Üblicherweise reisen Jahr für Jahr Zehntausende Saisonarbeiter aus Rumänien und Polen ein. Wie stabil manches System funktioniert, zeigt sich manchmal erst, wenn es zusammenbricht.

Wie kommt also der Spargel, das Lieblingsgemüse der Deutschen, nun aus dem Boden? Plattformen wie «Das Land hilft» schossen schnell aus dem Boden, um die verzweifelten Landwirte mit jenen zusammenzubringen, die nun Zeit und keine andere Arbeit mehr haben.

Statt draußen auf dem Hof hat Marco Kettelaers deshalb in den letzten Tagen viel Zeit mit Telefonieren verbracht. Mehr als 80 Freiwillige haben sich bei ihm gemeldet, zwei Drittel davon hat er angerufen - Schüler, Studenten, Menschen in Kurzarbeit, Selbstständige ohne Aufträge oder Arbeitslose. Drei seiner rumänischen Angestellten, die seit Jahren herkommen, haben es noch rechtzeitig ins Land geschafft, «die anderen sitzen auf gepackten Koffern.» Rund 45 Kräfte beschäftigt Kettelaers in einer normalen Saison. Nun lädt er Tag für Tag Einzelne zum Probearbeiten ein. «Es ist ein verrücktes Jahr», sagt Marco Kettelaers. «Wir müssen flexibel sein.»

Angebote übersteigen Nachfrage

Die Angebote von Freiwilligen scheint zurzeit die Nachfrage zu übersteigen. Eine 22-jährige Studentin aus Düsseldorf hat sich bereits vor eineinhalb Wochen ein Profil angelegt und Betriebe kontaktiert. «Bislang habe ich nichts gehört», erzählt sie am Telefon. In vielen Fällen dürfte es daran scheitern, dass es niemanden gibt, der Suchende und Willige gezielt zusammenführt. So war etwa der Rheinische Landwirtschafts-Verband schnell überfordert, als nach dem Aufruf Tausende Mails mit Angeboten eintrudelten.

Kettelaers ist mit dem Telefonieren nun erst einmal durch und zeigt seinen Neuen geduldig, worauf es beim Stechen besonders ankommt. Schaut man einem Geübten dabei zu, sieht das ziemlich einfach aus. Doch kaum ein Anfänger schafft es auf Anhieb. «Das ist ein dicker gewesen», sagt Kettelaers, als eine Stange abbricht. «Umso ärgerlicher, wenn er kaputt geht.» Doch die meiste Zeit überwiegt seine Geduld. «Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, ist das nicht schlimm. Aber nachher geht das zack, zack, zack.»

Nach der ersten halben Stunde sammelt Maik Graven die Stangen, die er in nach der ersten halben Stunde gestochen hat, ein und legt sie in eine Kiste. Nur noch an wenigen Tagen steht er jetzt im «Deichgräf» am Herd, an ein paar Tagen die Woche soll es künftig Pfannkuchen und Pasta zum Abholen geben. «Das einzig Gute ist, dass ich jetzt keine Sauce Hollandaise aufschlagen muss, das hasse ich», sagt Graven. Aber ob Spargelstechen wirklich angenehmer ist? «Ich weiß, worauf ich mich einlasse», meint er. Vor zwei Wochen hat er es bereits in der Nähe von Mannheim mit der Feldarbeit probiert - doch die kargen Herbergen und das Essen ließen ihn schnell nach Hause zurückkehren. Nun also der zweite Anlauf, diesmal in der Nähe, so dass er im eigenen Bett schlafen kann.

Einreiseverbot für Erntehelfer wieder gelockert

«Ganz gut», lautet Kettelaers Fazit zu seinen zwei Probearbeitern nach der ersten Lehrstunde - auch wenn seine Rumänen in der Zwischenzeit schon mehrfach mit ihren Spargelkisten an ihnen vorbeigezogen sind. «Ich würde sie nicht wieder nach Hause schicken.» Einen Verlust für dieses Jahr hat er trotzdem schon einkalkuliert. Mittlerweile hat die Bundesregierung das Einreiseverbot für Erntehelfer wieder gelockert, damit die Deutschen nicht um ihr Obst und Gemüse fürchten müssen. Doch die unter strengen Auflagen erlaubten 80.000 Helfer aus dem Ausland werden die klaffende Lücke längst nicht schließen können.

«Nach drei, vier Tagen tut der Rücken weh», sagt Kettelaers über das gebückte Arbeiten. «Wenn das überwunden ist, ist alles gut.» Welche seiner Helfer die Saison über durchhalten und wem die Arbeit auf Dauer zu hart wird, wird sich zeigen. An diesem Apriltag reflektiert die gleißende Sonne auf der hellen Folie und alle sind froh über die frische Luft. Aber: «Wir arbeiten bei Wind und Wetter hier, sieben Tage die Woche.»

(dpa)


 

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