Bundesregierung plant kein Gesetz für Zugriff auf Gästelisten in Restaurants

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Das Bundesjustizministerium will den Zugriff auf Daten sogenannter Corona-Gästelisten durch die Polizei aktuell nicht gesetzlich regeln. Die Bundesregierung plane nicht, ein Begleitgesetz dazu auf den Weg zu bringen, heißt es in einer Auskunft des Ministeriums an den tourismuspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Marcel Klinge. Sie liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.

«Die Verwendung der Daten durch Ermittlungsbehörden zur Aufklärung von Straftaten begegnet aus Sicht der Bundesregierung keinen Bedenken, wenn und soweit die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden», schreibt der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesjustizministeriums, Christian Lange (SPD), in der auf den 27. Juli datierten Antwort. Der Zugriff sei durch die Strafprozessordnung geregelt und benötige ohnehin die Zustimmung eines Richters.

Die Beschlagnahmung und Auswertung sei nicht schon bei jeglichem Anfangsverdacht einer Straftat statthaft, heißt es in dem Schreiben. «Sondern nur dann, wenn die bei den Gastwirten gespeicherten Daten
für die Untersuchung, beispielsweise zur Ermittlung der Identität von Zeugen, von Bedeutung sein können.» Dabei müsse der Zugriff auch in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat stehen.

FDP-Politiker Klinge kritisierte: «Die Bundesregierung scheint nicht verstanden zu haben, dass die Bürger ihre persönlichen Daten nicht einfach so ungeregelt hergeben wollen.» Damit sich Gäste sicher und vertrauensvoll in der Gastronomie registrierten, müsse die Bundesregierung ein Begleitgesetz auf den Weg bringen, das festlege, dass die Daten nur zur Verfolgung von Coronavirus-Infektionen genutzt werden. «Wenn das Vertrauen von Gästen und Wirten in die Corona-Gästelisten noch weiter gestört wird, wird es mehr falsche Angaben geben. Damit ist niemandem geholfen», sagte Klinge.

Datenschutzbeauftragter für Bundesgesetz bei Corona-Gästelisten

Der rheinland-pfälzische Datenschutzbeauftragte Dieter Kugelmann hat in der Debatte über die Verwendung von Gästelisten durch die Polizei ein «Corona-Freiheitsschutz-Begleitgesetz» gefordert. Dieses üsse auf Bundesebene beschlossen werden und solle hohe Hürden für den Zugriff der Polizei auf die Gästelisten garantieren, die ausschließlich dem Schutz vor einer Corona-Infektion dienen sollten, sagte Kugelmann der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. Bei einem solchen Gesetz müsse es insbesondere um hohe Eingriffsschwellen und Verfahrensgarantien wie einen richterlichen Beschluss gehen.

«Wer im Biergarten sitzt, darf nicht später von der Polizei aufgrund des Eintrags in eine Corona-Gästeliste befragt werden, wenn es um die Aufklärung einer Ordnungswidrigkeit, einer kleineren Sachbeschädigung oder eines Falschparkens in der Nähe geht», betonte Kugelmann. «Dies könnte unverhältnismäßig sein.» Wenn die Polizei die Gästelisten etwa bei Ermittlungen zu schweren Straftaten wie Mord oder Totschlag wirklich für ihre Arbeit brauche, biete mit einem solchen Gesetz ein richterlicher Beschluss Rechtssicherheit.

Sogenannte Corona-Gästelisten, die in Restaurants und Cafés ausliegen, dienen zur Nachverfolgung von Infektionsketten - in Einzelfällen greift aber auch die Polizei auf diese Daten zu, um Straftaten zu verfolgen. In Bayern, Hamburg und Rheinland-Pfalz gab es solche Zugriffe bereits, in anderen Bundesländern sind solche Fälle bisher nicht bekannt oder gar nicht zulässig, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bei den Bundesländern ergab.

Um die Nutzung der Daten ist eine Diskussion entbrannt. Denn eigentlich sind die Angaben vorrangig für örtliche Gesundheitsämter bestimmt und eine wichtige Recherchequelle im Fall eines Corona-Ausbruchs. Und meistens wird auf den Formularen Vertraulichkeit und eine Löschung nach vier Wochen zugesichert. Sind Zugriffe der Polizei da überhaupt zulässig?

BESCHLAGNAHME ZUR STRAFVERFOLGUNG MÖGLICH   

Die Polizeien oder Innenministerien in Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen meldeten, dass ihnen bislang keine Zugriffe auf Corona-Gästelisten bekannt seien. Die Behörden wiesen aber darauf hin, dass solche Zugriffe im Rahmen von Strafverfahren unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit rechtlich durchaus erlaubt seien.

Grundlage dafür ist die bundesweit geltende Strafprozessordnung. Demnach kann ein Richter anordnen, Gegenstände zu beschlagnahmen - das könnten auch Corona-Gästelisten sein, wenn sie für Ermittlungen von Bedeutungen sind. Ist Gefahr im Verzug, kann auch ein Staatsanwalt dies anordnen. Auch wenn die Daten grundsätzlich nur für den eigentlichen Zweck genutzt werden dürften, sei für die Aufklärung von Straftaten eine «Zweckänderung» möglich, heißt es etwa bei der bayerischen Polizei.

ZUGRIFFE IN RHEINLAND-PFALZ, HAMBURG, BAYERN UND BREMEN

In Rheinland-Pfalz registrierte das Innenministerium bislang rund ein Dutzend Fälle, in denen entsprechende Listen im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen verwendet wurden. Dabei sei es überwiegend um Gewalt- und Sexualdelikte gegangen, sagte eine Sprecherin. In Hamburg sind bislang fünf Fälle bekannt, in denen die Polizei für Ermittlungen auf Gästedaten zurückgegriffen hatte, in Bayern sind es mindestens zehn. In Bremen spricht die Innenbehörde von Zugriffen in Einzelfällen. Dabei ging es jeweils um die Aufklärung von Straftaten, unter anderem ein Sexualdelikt und eine gefährliche Körperverletzung.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verteidigten zuletzt diese Vorgehensweise. «Es handelt sich um schwere Straftaten, bei denen das zur Ermittlung des Täters und für die Aufklärung der Straftat sinnvoll und richtig ist», sagte Herrmann am Donnerstag im ARD-«Mittagsmagazin».

BADEN-WÜRTTEMBERG BETONT ZWECKBINDUNG

Eine bundesweit einheitliche Registrierungspflicht für Gäste in Restaurants und Cafés gibt es nicht. In Sachsen etwa ist sie nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgeschrieben, wenn Mindestabstände nicht eingehalten werden können. Viele Länder verlangen solche Listen aber - um Corona-Infektionsketten nachverfolgen zu können.

Baden-Württemberg etwa beruft sich auf diese Zielsetzung. Aus der Corona-Verordnung «ergibt sich eine ausdrückliche und aus unserer Sicht eindeutige Zweckbindung», sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Innenminister Thomas Strobl (CDU) machte in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe deutlich: «Eine Verwendung etwa von der Polizei, um Straftaten zu verfolgen, ist unzulässig.»

Bislang keine Zugriffe auf Corona-Gästelisten bei strafrechtlichen Ermittlungen meldeten die Innenministerien in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Entsprechende Abfragen habe es noch nicht gegeben, sagte etwa eine Ministeriumssprecherin in Erfurt. Möglich seien sie nur in begründeten Ausnahmen.

GASTSTÄTTENGEWERBE UND OPPOSITION KRITISCH 

Der Gaststättenverband Dehoga hatte zuletzt von den Landesregierungen Klarheit gefordert, ob und wie die Polizei die Corona-Gästelisten auswertet. «Das ist hochgradig sensibel», sagte die Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges der «Rheinischen Post». (Tageskarte berichtete)

Unterstützung kam dazu auch von der FDP-Fraktion im Bundestag. «Was unsere Bürgerinnen und Bürger zurecht erwarten, ist, dass ihre Daten nicht einfach zweckentfremdet werden. Alles andere schadet dem Vertrauen und der Akzeptanz, die aber Grundvoraussetzungen sind», sagte der stellvertretende Vorsitzende Stephan Thomae. Die Polizeibehörden sollten daher behutsam und zurückhaltend agieren.

Eren Basar, Mitglied des Deutschen Anwaltvereins im Ausschuss für Gefahrenabwehrrecht, forderte, den Datenschutz von Bürgerinnen und Bürgern auch in der Corona-Pandemie zu wahren. «Mit den Corona-Gästelisten werden weitflächig Daten gesammelt, was wir unter normalen Umständen nie billigen würden», sagte Basar. Zwar gebe es mit der Pandemie eine Sondersituation. «Ich glaube aber, dass wir eine gesetzliche Regelung brauchen, die einen uferlosen Zugriff auf diese Daten verbietet.» Basar schlägt daher ein gesetzliches Beweisverwertungsverbot für die Gästelisten vor. Nur so werde gewährleistet, dass es nicht so falschen Angaben kommt und die Listen ihren eigentlichen Zweck erfüllen.

Vertreter der Polizeigewerkschaften verteidigten die Praxis. «Es gehört zu den Kernaufgaben der Polizei, Gefahren abzuwehren und Straftaten zu verfolgen», sagte der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek. «Dazu kann auch - je nach landesrechtlicher Konkretisierung der Regelungen - die Möglichkeit gehören, Dokumente einzusehen, wie etwa solche Corona-Gästelisten.»

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, betonte eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Aber: «Wenn der Verdacht einer Straftat vorliegt und andere Ermittlungsansätze nicht erkennbar sind, muss es die Möglichkeit geben, in solche Gästelisten einzusehen und die Daten auszuwerten, das sehen die jeweiligen Gesetze auch vor.»

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