Corona-Verschärfungen bahnen sich an: Merkel will Notbremse ziehen

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Angesichts stark steigender Corona-Infektionszahlen müssen sich die Menschen in Deutschland auf eine erneute Verschärfung des Lockdowns und die Rücknahme von Erleichterungen einstellen. Kanzlerin Angela Merkel wies am Freitag auf die von Bund und Ländern vereinbarte «Notbremse» ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 hin. «Und wir werden leider auch von dieser Notbremse Gebrauch machen müssen», sagte sie nach Beratungen mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zum weiteren Vorgehen beim Impfen. «Ich hätte mir gewünscht, dass wir ohne diese Notbremse auskommen, aber das wird nicht möglich sein, wenn ich mir die Entwicklung der letzten Tage anschaue.»

Hamburg ging am Freitag bereits voran und kündigte an, schon an diesem Samstag Öffnungen rückgängig zu machen, die erst Anfang vergangener Woche ermöglicht worden waren. Merkel wies darauf hin, dass die Sieben-Tage-Inzidenz je 100 000 Einwohner deutschlandweit schon fast wieder bei 100 liegt.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte: «Wir befinden uns in der dritten Welle der Pandemie, die Zahlen steigen, der Anteil der Mutationen ist groß.» Die kritische Entwicklung sei allein durch Impfen nicht zu stoppen. «Alle Szenarien, die wir sehen, laufen im Moment darauf hinaus, dass sich die Intensivstationen wieder sehr stark füllen.» Die steigenden Infektionszahlen könnten bedeuten, dass es vielleicht keine weiteren Öffnungsschritte geben könne, sondern «sogar Schritte rückwärts» nötig würden.

Der Vizepräsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lars Schaade, sagte: «Das Infektionsgeschehen gewinnt an Dynamik.» Eine Verschlimmerung der Lage um Ostern, vergleichbar mit der Zeit vor Weihnachten, sei gut möglich. Der Anstieg der Fallzahlen sei real und nicht mit inzwischen mehr Schnelltests zu erklären.

Bundesweit stieg die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen nun auf 96, wie das RKI am Freitag bekanntgab - am Donnerstag hatte dieser Wert noch 90 betragen. Es gibt aber weiterhin starke regionale Unterschiede - von jetzt 56 im Saarland bis 187 in Thüringen.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach vom Beginn einer «fulminanten dritten Welle» und forderte: «Man kann es drehen und wenden wie man will, wir müssen zurück in den Lockdown.» Je früher man reagiere, desto kürzer müsse er sein, um wieder auf eine beherrschbare Fallzahl zu kommen.

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sagte: «Ich befürchte, dass sich die Lage weiter verschlechtert. Wir sind in einer starken dritten Welle.» In der Hansestadt sollen ab diesem Samstag wieder die Regeln von vor dem 8. März gelten. Private Kontakte müssen sich damit auf eine Person außerhalb des eigenen Hausstandes beschränken. Kinder bis 14 Jahre sollen nicht mitgezählt werden.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte vor den erneuten Bund-Länder-Beratungen: «Damit muss man rechnen, dass Dinge zurückgenommen und verschärft werden.» Angesichts vieler Ansteckungen in Kitas und Schulen könne es zudem sein, «dass wir da auch was ändern müssen». Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) sagte der dpa: «Ohne Kontaktnachverfolgung und ohne Testen bin ich nicht fürs Öffnen, da bin ich für gar nichts.»

Die Schulen sollen nach dem Willen der Kultusminister der Länder so lange wie möglich offengehalten werden. Dabei sollten Lehrkräfte im Präsenzunterricht zugleich Vorrang beim Impfen bekommen. Auf diese Position verständigte sich die Kultusministerkonferenz (KMK) in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss. Für Kinder und Jugendliche sei der Schulbesuch für ihre weitere Bildungsbiografie von entscheidender Bedeutung, sagte KMK-Präsidentin Britta Ernst (SPD) aus Brandenburg. Seit Februar wird an den meisten Grundschulen in Deutschland wieder unterrichtet. Zuletzt waren je nach Land auch ältere Jahrgänge zumindest im Wechselbetrieb zurückgekehrt. Regional sind Schulen wegen hoher Corona-Zahlen aber auch schon geschlossen.

Ärzte schlagen Alarm: Politik muss «Notbremse ziehen»

Vor den Bund-Länder-Beratungen am Montag über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie fordern Mediziner wieder schärfere Beschränkungen. Zugleich warnen sie vor einer Zuspitzung der Lage im Gesundheitswesen. Aus der Wirtschaft kommen derweil Forderungen nach einem Kurswechsel in der Corona-Politik.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Freitagabend auf die von Bund und Ländern vereinbarte «Notbremse» ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 hingewiesen. «Und wir werden leider auch von dieser Notbremse Gebrauch machen müssen», sagte sie nach Beratungen mit den Ministerpräsidenten zum weiteren Vorgehen beim Impfen. «Ich hätte mir gewünscht, dass wir ohne diese Notbremse auskommen, aber das wird nicht möglich sein, wenn ich mir die Entwicklung der letzten Tage anschaue.»

Die Gesundheitsämter meldeten dem Robert Koch-Institut (RKI) innerhalb eines Tages 16 033 Corona-Neuinfektionen. Außerdem wurden 207 neue Todesfälle innerhalb von 24 Stunden im Zusammenhang mit dem Coronavirus gemeldet, wie aus Zahlen des RKI vom Samstagmorgen hervorgeht. Am Samstag vergangener Woche hatte das RKI binnen eines Tages 12 674 neue Fälle und 239 neue Todesfälle registriert. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag laut RKI am Samstagmorgen bundesweit bei 99,9 - und damit etwas höher als am Vortag (95,6).

Die Chefin des Chefin des Ärzteverbandes Marburger Bund, Susanne Johna, forderte: «Es muss definitiv die vereinbarte Notbremse gezogen werden, da darf es keine Ausnahmen geben.» Weiter sagte sie der «Neuen Osnabrücker Zeitung» (Samstag): «Ich rechne ab Ostern mit einer noch kritischeren Lage als zum Jahreswechsel.» Der Kapazitätspuffer auf den Intensivstationen «wird rasant wegschmelzen», warnte sie. «Es war unverantwortlich, in die dritte Welle und die Ausbreitung der Mutanten hinein auf diese Art zu lockern. Dadurch droht den Kliniken nun die dritte Extremsituation binnen eines Jahres», sagte Johna.

Auch von Intensivmedizinern kommen nachdrückliche Mahnungen. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz könne ohne Eingreifen sehr schnell auf 200 steigen und zu deutlich höheren Intensivpatientenzahlen führen. «Aus unserer Sicht kann es daher nur eine Rückkehr zum Lockdown vom Februar geben», sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, der «Augsburger Allgemeinen» (Samstag). «Alles, was man sich jetzt erlaubt, muss man später mit Zins und Zinseszins bezahlen», warnte Marx.

Bund und Länder hatten sich am Freitag über das weitere Vorgehen beim Impfen verständigt. So sollen die Hausärzte unmittelbar nach Ostern routinemäßig Schutzimpfungen gegen das Coronavirus übernehmen. Die Impfzentren sollten künftig verlässlich 2,25 Millionen Dosen pro Woche bekommen - die darüber hinaus gehende Menge werde an die Arztpraxen gehen. Vereinbart wurden zudem zusätzliche Impfdosen für vier Bundesländer mit Außengrenzen zu Frankreich und Tschechien sowie für das grenznahe Thüringen.

Die Hausärzte sind unzufrieden mit dem Beschluss. «Wir stehen zum Impfen bereit - und wollen keine Resterampe werden», sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. In einem ARD-«Extra» kritisierte er, die Impfzentren würden privilegiert, die Menschen würden sicher aber lieber beim Hausarzt impfen lassen. «Wir haben 50 000 kleine Impfzentren», betonte der Verbandschef. Der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, forderte in den Funke-Zeitungen, in den nächsten Monaten sollten bei Hausärzten ausschließlich die über 70-Jährigen geimpft werden.


 

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