«Teil-Lockdown» in den Niederlanden trifft Gastgewerbe

| Politik Politik

Das Coronavirus schlägt in der zweiten Welle hart zu in den Niederlanden, und die Bürger machen Party. Während die Abgeordneten in Den Haag am Mittwochabend über die düstere Realität debattierten, grölten, tranken und tanzten Hunderte in Partyzelten auf dem Platz vor dem Parlamentsgebäude. Ähnliche Szenen wurden auch aus anderen Städten gemeldet. Wohl ein letzter Tanz, bevor Kneipen, Cafés und Restaurants für mindestens vier Wochen schließen mussten.

Das Verhalten passt zu den Niederländern, die den Wert des Lebens gerne daran messen, wie «gezellig» es ist. Touristen wunderten sich bereits in den Sommermonaten darüber, wie locker es die Niederländer mit der Coronakrise nahmen. Kaum war der erste «intelligente Lockdown» am 1. Juni vorbei, ging das normale Leben wieder voll weiter. Keine Masken, keine Kontrollen, aber dichtes Gedränge in Geschäften und Kneipen. Super-Gezellig.

Inzwischen griff das Coronavirus in Windeseile um sich. Binnen 24 Stunden wurden am Freitag zuletzt knapp 8000 Neuinfektionen gemeldet - in einem Land mit gut 17 Millionen Einwohnern. Bedrohlich ist die Lage in Krankenhäusern und auf Intensivstationen. Dort liegen bereits so viele Covid-19-Patienten, dass die normale Pflege für andere Patienten abgebaut wird. Die Notaufnahmen in Großstädten müssen bereits zeitweilig geschlossen werden. Es gibt zu wenig Betten und zu wenig Personal, und vor den Türen stehen die Krankenwagen mit Patienten Schlange.

Alle Alarmsignale stehen auf Rot. Die Lage sei bedrohlicher als im Frühjahr, sagte der Amsterdamer Virologe Hans Zaaijer der Zeitung «De Telegraaf». «Wir befinden uns im Vorlauf einer Katastrophe.»

Um die abzuwenden, verhängte Premier Mark Rutte den «Teil-Lockdown». Unter anderem Gaststätten sind geschlossen und eine Maskenpflicht wird eingeführt.

Die Gesichtsmasken wurden zum Symbol für die wankelmütige Politik. Der rechtsliberale Premier hält sie für Unsinn. «Masken bringen nichts.» Doch zu Beginn der Woche erschien er auf einmal selbst mit einem «maskertje», einem «Mäskchen», wie er fast liebevoll sagte. Ein Signal für die Bürger: Jetzt wird es ernst.

Rutte würde das Virus am liebsten nur mit den einfachsten Geboten bekämpfen: Hände waschen, 1,5 Meter Abstand, Testen bei Symptomen. Der 53-Jährige hält auch nicht viel von Anordnungen. «Ich bin doch kein Diktator», sagt er. «Wir sind alle erwachsen.»

Das kommt den Niederländern sehr entgegen, die sich nun einmal nicht gerne etwas vorschreiben lassen. Viele Bürger, so bemängelte das «NRC Handelsblad», legen die wenigen Corona-Regeln so aus, wie es ihnen am besten passt. Nur drei Gäste empfangen? Dann laden wir doch pro Stunde drei ein. 1,5 Meter Abstand? Ach, ich kann das Virus doch nicht kriegen. Positiv getestet? 20 Prozent gehen doch noch eben schnell einkaufen.

Den Mangel an Disziplin beklagt auch Andreas Voss, Professor für Infektionsprävention in Nimwegen und einer der Berater der Regierung. «Die Leute sollten endlich die Regeln befolgen». Der Mikrobiologe sieht einen wesentlichen Unterschied zu seinen deutschen Landsleuten. «Dort wird weniger über die Maßnahmen diskutiert und werden die Richtlinien besser befolgt.»

Das Reden läuft tatsächlich in den Niederlanden wie am Schnürchen. Seit März diskutieren täglich Influencer, selbst ernannte Experten und Blogger an den Tischen der drei wichtigsten TV-Talkshows über Sinn und Unsinn der Corona-Maßnahmen.

«Wir alle haben es nicht gut gemacht», gibt der Premier zu. Doch inzwischen wird seine Regierung auch verantwortlich dafür gemacht, dass die Dinge so aus dem Ruder laufen konnten. Die linke Opposition wirft dem Kabinett Systemfehler und Führungsschwäche vor.

Schon das Testen funktioniert nicht - trotz aller Versprechen. Die Gesundheitsämter haben viel zu wenig Mitarbeiter und die Labors erschreckend wenig Kapazitäten. Sie sind auch hoffnungslos damit überfordert, die Kontaktpersonen aufzuspüren und so die Quelle einer Infektion zu finden. Das soll jeder selbst machen. Die im März mit viel Tamtam angekündigte Corona-App wurde erst sieben Monate später, in der vergangenen Woche eingeführt.

Auch die Kapazität der Krankenhäuser reicht hinten und vorne nicht. Zu Beginn der Corona-Pandemie gab es rund 1150 Betten auf Intensivstationen. Im Vergleich: Allein in Nordrhein-Westfalen, das eine ähnliche Einwohnerzahl hat, gibt es über 6000 - fünfmal so viele. Deutsche Kliniken haben bereits angeboten, wie im Frühjahr wieder Covid-19-Patienten aus dem Nachbarland aufzunehmen. In NRW sollten noch am Wochenende erste Patienten aufgenommen werden. Auch Niedersachsen war eigenen Angaben zufolge bereits in Kontakt mit dem Nachbarland, um Patienten aufzunehmen.

Das Schlimmste will das Land nun in einer letzten Kraftanstrengung verhindern. Für mindestens vier Wochen liegt das soziale Leben weitgehend still. Der Tanz mit dem Virus ist vorbei - vorläufig. (dpa)


 

 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Vertreter von Bundesregierung, Bundesländern, Wirtschaft und Gewerkschaften haben für die duale Berufsausbildung in Deutschland geworben und auf akute Probleme auf dem Ausbildungsmarkt hingewiesen. Die Lage sei mehr als herausfordernd, sagte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche.

Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) fordert eine rasche und dauerhafte steuerliche Entlastung für das Gastgewerbe. Der Verband sieht darin einen entscheidenden Faktor für die Zukunftsfähigkeit und Attraktivität der Innenstädte.

Die im Europäischen Parlament angestoßenen Pläne für ein Bezeichnungsverbot von Fleisch-Namen für pflanzliche Ersatzprodukte stoßen im Bundestag auf breite Ablehnung. Quer durch fast alle Fraktionen äußerten Abgeordnete Kritik an einem möglichen Verbot von Begriffen wie „Tofu-Wurst“ oder „Veggie-Burger“.

Die wiederholte Blockade in Washington hat für das US-Hotelgewerbe bereits zu massiven Verlusten geführt. Über 30 Branchenverbände richten einen verzweifelten Appell an die politischen Entscheidungsträger.

Der Mindestlohn steigt wie geplant zum 1. Januar auf 13,90 Euro pro Stunde und ein Jahr später um weitere 70 Cent auf 14,60 pro Stunde. Das Bundeskabinett beschloss in Berlin eine entsprechende Verordnung.

Bundesagrarminister Alois Rainer spricht sich gegen ein Verbot von Bezeichnungen wie «Veggie-Schnitzel» oder «Tofu-Wurst» für pflanzliche Lebensmittel aus. Es würde «unglaublich hohe Kosten für die Wirtschaft» sowie Bürokratie verursachen, sagte der CSU-Politiker vor einem Treffen mit einem EU-Amtskollegen in Luxemburg.

Zwei Drittel der abhängig Beschäftigten in Deutschland sprechen sich für eine Lockerung der täglichen Arbeitszeitbegrenzung und die Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit aus. Dies ist das zentrale Ergebnis einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

Die Debatte um geplante Steuerentlastungen für die Gastronomie und Pendler spitzt sich zu. Nach der ablehnenden Haltung von Bundesfinanzminister Klingbeil hinsichtlich einer Kompensation für die Länder, kam scharfe Kritik von Ministerpräsidenten der CDU. Gleichzeitig warnt der DEHOGA vor den Folgen einer Verzögerung der Entscheidungen.

Der Streit zwischen Bund und Ländern über die Finanzierung des geplanten Entlastungspakets spitzt sich zu. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil hat die Länder scharf vor einem Scheitern der geplanten Mehrwertsteuersenkung für Speisen in der Gastronomie gewarnt. Jetzt äußerten sich weitere Politiker und Verbände.

Bundesfinanzminister Lars Klingbeil hat angesichts des anhaltenden Streits über die Verteilung der Steuerausfälle mit einem Scheitern der geplanten Entlastungen für die Gastronomie und Pendler gedroht. Die Länder fordern eine Kompensation der zu erwartenden Mindereinnahmen durch den Bund.