Gastbeitrag: Alle Jahrzehnte wieder – Schrumpfkuren im Gastgewerbe

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Die COVID-19-Krise sei unvergleichlich – in ihrem wirtschaftlichen wie in ihrem psychologischen Ausmaß. Aber sie sei bei weitem nicht die erste Krise in der Hospitality-Branche, erklärt Dr. Yong Chen, Tourismusforscher an der EHL Ecole hôtelière de Lausanne, in einem Gastbeitrag:

Ein Blick zurück zeigt vielmehr: So selten sind sie gar nicht, die radikalen Schrumpfkuren im Tourismus. Fast jedes Jahrzehnt kennt einen solchen Einschnitt in der Konjunktur des Reisens. Dr. Yong Chen beschäftigt dabei insbesondere die Frage: Was lernen wir aus dem Blick zurück für eine unklare Zukunft, die vor uns liegt?

Schwierige Zeiten stehen bevor

Wäre das Coronavirus (Covid-19) nicht aufgetaucht, hätte man 2019 als weiteres Jahr des rasanten Wachstums für die globale Tourismusindustrie gefeiert. Am stärksten wäre die Post in der asiatisch-pazifischen Region abgegangen, nicht nur in puncto touristischem Verkehr. Sondern auch als Reiseziel per se hätte diese Region am meisten profitiert. Insbesondere China hat in den letzten zehn Jahren das weltweite Wachstum sowohl bei den Ankünften als auch bei den Ausgaben maßgeblich beeinflusst. Die Ausgaben Chinas für Reisen ins Ausland überholten ab 2012 schon jene der USA – und bis 2018 beliefen sich die Tourismusausgaben von chinesischen Gästen auf 277 Milliarden US-Dollar weltweit.

Eine McKinsey-Studie schätzt, dass die Ausgaben Chinas im Ausland im Jahr 2020 315 Milliarden US-Dollar erreichen könnten. Aber: Bereits vor dem Ausbruch von Covid-19 im Dezember letzten Jahres brachten fünf Monate massiver Proteste in Hongkong den Tourismus in der britischen Ex-Kolonie – der zu fast 80 Prozent vom chinesischen Festland stammt – an den Rand des Zusammenbruchs. Und klar ist: Die Covid-19-Pandemie wird die Veränderung im Reiseverhalten chinesischer Gäste nochmals deutlich verschärfen. Sprich: Immer mehr Chinesen wichen bereits vorher nach Japan, Korea und Europa aus – alles Länder, die jetzt aber von der Pandemie schwer betroffen sind.

Bevor sich Covid-19 über Europa und die Vereinigten Staaten ausbreitete, schienen Sperren für Länder oder Städte schlicht undenkbar. Viele betrachteten dieses Instrument als unwirksam und kostspielig. Doch nun erachten es viele Länder als legitim – dies, um einerseits die Ausbreitung des Virus einzudämmen und andererseits den Zusammenbruch der medizinischen Systeme zu verhindern. Weil aktuell keine wirksame Behandlung respektive kein Präventionsinstrument – sprich Impfung – zur Verfügung steht, gilt es Masseninfektionen zu verhindern. Der Lockdown wird sozusagen zum Heilmittel, um das Problem – zumindest kurzfristig – zu lösen. Doch das komplette Herunterfahren unserer Wirtschaft verursacht enorme soziale und wirtschaftliche Kosten – und ist insbesondere für die Tourismusindustrie und andere nachgelagerte Bereiche von großem Nachteil.

Die Logik des Tourismusgeschäfts ist ganz einfach: Wo keine Menschenströme, da ist auch kein Tourismus. Wenn die Menschen zuhause verharren, schrumpft der Tourismus und die Unternehmen stehen still. Die schädlichen Auswirkungen auf die Branche sind mindestens so ansteckend wie das Virus selbst. Die Tourismusindustrie sieht sich denn auch mit einer Unmenge von Hiobsbotschaften konfrontiert: Mitarbeitende wurden massenweise beurlaubt, Fluggesellschaften stehen am Boden, Hotels sind geschlossen und Freizeitparks in der ganzen Welt sind verriegelt.  

Nichts Neues: Nachfrageschocks im Tourismus

Nachfrageschocks sind in der Tourismusindustrie keineswegs neu, aber der Rückgang im Zuge der Covid-19-Pandemie ist sicherlich beispiellos. Schauen wir zurück: Im Laufe der drei vergangenen Jahrzehnte, also seit 1990, hat die Tourismusindustrie drei große Nachfrageeinbrüche überstanden, im Durchschnitt also einen pro Jahrzehnt.

Der erste Schock war die Rezession zu Beginn der 1990er-Jahre, als der Ölpreis drastisch anstieg und das Konsumverhalten der Bürgerinnen und Bürger in den Industrieländern schlagartig ins Negative kippte. Im US-Hotelsektor führte dieser Schock 1990 zu einem Rückgang der Einnahmen pro verfügbarem Zimmer (RevPAR) von 5 Prozent. Wichtig zu wissen: Damals war der Tourismusmarkt, gemessen in Touristenzahlen, ein Drittel so groß wie heute. China wurde erst 2007 zu einem wichtigen Akteur im globalen Tourismusgeschäft, als es Japan als größten Quellmarkt in puncto touristischem Konsum im Ausland – sprich in Asien – verdrängte. Der erste Rückgang war jedoch im Vergleich zum zweiten in den Jahren 2000-2001 und zum dritten in den Jahren 2007-2008 ziemlich gering, wo es zu einem Rückgang des RevPAR in der Hotellerie um bis 15 Prozent weltweit beziehungsweise fast 20 Prozent im US-Hotelsektor kam.

Vierte, unbemerkte Schrumpfung

Eine vierte Schrumpfung hatte bereits vor der Covid-19-Pandemie begonnen. Und wiederum spielt China dabei eine entscheidende Rolle. Tatsächlich stagnierte nämlich das Wachstum des chinesischen Outgoing-Tourismus bereits seit 2013. 2020 oder 2021 hätte es ein Rekordtief erreicht, da der Handelskonflikt zwischen China und den USA (er verlief in drei Wellen), die Proteste in Hongkong und schließlich der Ausbruch des Coronavirus erfolgten. Im vergangenen Jahr kam es zu einem drastischen Rückgang des RevPAR an wichtigen Reisezielen im Ausland, ausgelöst durch das Ausbleiben chinesischer Gäste. Hongkong, das komplett von Touristen vom chinesischen Festland abhängig ist, verzeichnete 2019 einen Rückgang des RevPAR um 26 Prozent. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft Hongkongs, nicht zuletzt auf den Einzelhandel und andere Konsumgüter, waren ausgeprägter als auf den Hotelsektor selbst. Neben Hongkong verzeichneten Destinationen in Südostasien und Ozeanien ebenfalls einen Rückgang des RevPAR von chinesischen Gästen um bis zu 10 Prozent. Die jüngsten Daten von STR zeigen, dass die Hotelbelegung in China, dem größten Binnenmarkt der Welt, von 70 Prozent am 14. Januar auf nur 7 Prozent am 2. Februar zurückging – ein unmittelbarer Effekt von Covid-19.

Volatile Verhältnisse im Hotelgewerbe

Die Hotellerie und das Fluggeschäft gehören innerhalb der Tourismusindustrie zu den wohl empfindlichsten Branchen für Nachfrageschwankungen. Die kurzfristigen Auswirkungen solcher Verwerfungen am Markt zeigen sich an zwei Indikatoren: niedrige durchschnittliche Tagesraten (ADR) und eine niedrige Auslastung haben einen schrumpfenden RevPAR zur Folge. Beide gefährden die Rentabilität der Hotellerie und haben in extremis massive Folgen. Erstrecken sich die Auswirkungen – wie im Falle von Covid-19 – über die gesamte Tourismuswirtschaft und sind erst noch von längerer Dauer, so zieht dies unweigerlich eine Rezession nach sich.

Man weiß aus vergangenen Krisen, dass die Erholung der Konjunktur im Hotelbereich bis zu zehn Jahre dauern kann. Dies hat viel mit der Veränderung der Investitionen in gebundenes Kapital zu tun. Der Hotelsektor kann nur wachsen, wenn auch neue Immobilien, also Hardware, entstehen. Hingegen haben die Sharing-Economy und insbesondere Konzepte wie AirBnB das Angebot im Beherbergungssektor massiv verändert und flexibilisiert. Aus diesen Gründen könnte sich denn auch die Tourismuswirtschaft schneller erholen als in den vergangenen drei Schrumpfungsperioden.

Eher zufällig markiert die Periode 2019-20 also den vierten Konjunktur-Einschnitt im Tourismus seit 1990. Und was lernen wir aus den drei bisherigen Krisen? Sie alle führten zu einem Rückgang des Hotelangebots sowie der Kapitalinvestitionen im Hospitality-Sektor generell. Hat die touristische Nachfrage die Talsohle erst einmal erreicht, dauert es im Normallfall zwei bis drei Jahre, bis das Wachstum wieder auf dem Stand vor der Krise ist. Dies führt unweigerlich zu einer Schrumpfung der ganzen Branche. In der Rezession der 1990er-Jahre wuchs die Hotellerie in den USA – gemessen an der Zimmerzahl – von 4 Prozent vor der Rezession auf nur mehr 0,5 Prozent nach der Rezession. Der Schrumpfprozess zwischen Ende der 1990er- und Mitte der 2000er-Jahre war nicht nur der bisher längste, sondern zum ersten Mal überhaupt musste man in den USA ein Negativwachstum in Kauf nehmen. Auslöser für den massiven Rückgang im Hotelgewerbe war in erster Linie die Rezession der 2000er-Jahre, die durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 noch verstärkt wurde.

Covid-19 sorgt für weitere Verwerfung

In den drei vorangegangenen Schrumpfungsperioden sind die Betriebskosten in Hotels, insbesondere die Lohnaufwände, in den USA um 6, 8 beziehungsweise bis 12 Prozent gesunken. Solche unmittelbaren Auswirkungen sind auch für die Covid-19-Pandemie zu erwarten und bereits jetzt erkennbar. Die Zwangsbeurlaubung von Beschäftigten in Hotels und bei Airlines hatte sich bereits vor Monaten in Hongkong aufgrund der dortigen Proteste angedeutet. Der Ausbruch von Covid-19 verschlimmert diese Situation nur noch.

Wichtige Akteure in Europa und den USA wie Accor, Disneyland oder British Airways stellen ihre Mitarbeitenden frei (meistens in Form von Kurzarbeit). Sie hoffen durch eine Senkung der Betriebskosten die Krise meistern zu können. Neben der Beurlaubung von 30.000 Flugbegleiterinnen und Mitarbeitenden beim Bodenpersonal hat British Airways mit seinen 4.000 Piloten eine Halbierung ihres Salärs für zwei Monate vereinbart . Der World Travel and Tourism Council (WTTC) schätzt, dass durch die Covid-19-Pandemie weltweit 50 Millionen Arbeitsplätze im Tourismus abgebaut werden könnten. Dies entspricht 10 Prozent der weltweit Beschäftigten in diesem Sektor. Wenn die Pandemie nicht eingedämmt und das Vertrauen der Verbraucher nicht bald wiederhergestellt werden können, führt dies unweigerlich zum Bankrott unzähliger Anbieter.

Die langfristigen Auswirkungen zeigen sich nebst den Airlines auch bei den Kreuzfahrtgesellschaften. Im März meldeten mindestens drei regionale Fluggesellschaften in den USA und in den UK bereits Konkurs an. Als nächster Sektor folgt mit großer Wahrscheinlichkeit die Hotellerie. Laut Financial Times vom 2. April wurde mehr als die Hälfte der 5.000 Hotels von Accor weltweit geschlossen, in den kommenden Wochen soll diese Zahl auf zwei Drittel anwachsen.  Außerdem will Accor die jährlichen Aufwendungen für Administration und Management im Jahr 2020 um 60 Millionen Euro senken. Außerdem sollen Investitionen für Hotelrenovationen und ähnliches um weitere 60 Millionen Euro gekürzt werden.  Während Hotelketten und Ferienhotellerie die Krise eher überstehen könnten, droht für die Mehrheit der Businesshotels früher oder später der Konkurs, vorausgesetzt, die Pandemie dauert an.

Die Krux am Gastgewerbe ist letztlich, dass es sich um ein «People Business» handelt. Es zahlt sich deshalb aus, dann in Mitarbeitende zu investieren, wenn die Nachfrage im Tourismus robust ist. Wenn das Überleben der Firma auf dem Spiel steht, werden Aufwände für Mitarbeitende, die für den Dienstleistungssektor unabdingbar sind, leider oft als «Kostenfaktor» statt als langfristiger Asset betrachtet.

Gastfreundschaft lebt aber – wie der Name sagt – gerade von diesen menschlichen Beziehungen, die durch die Pandemie ganz augenfällig wegfallen (und auch vermisst werden). Die Herausforderung für die ganze Hospitality-Branche wird unter anderem darin bestehen, diese Beziehungen – vom Unternehmen zu den Mitarbeitenden und von den Mitarbeitenden zu den Gästen – am Leben zu erhalten. Beziehungsweise zu revitalisieren, nach der Pandemie nämlich.


 

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