Von Andreas Drouve
Die Sehnsucht nach Mallorca war nie weg. Das weiche Licht und glasklare Wasser, die Buchten, Bergdörfer und Konzerte der Zikaden. Im Kopfkino der Erinnerungen strich der Wind durch Olivenbäume, Oleander, Bougainvilleen und Aleppokiefern.
Nun ist die Insel nach dem Corona-Chaos der vergangenen Monate wieder bereisbar - und ich will die Chance nutzen. Mein Basislager werde ich im Süden beziehen, den ich besonders mag, weil er abseits des Trubels und der Hauptrouten liegt: in Colònia de Sant Jordi.
Ich übernachte in einem kleinen Apartmentkomplex. Ein Zeichen der Solidarität mit einer familiengeführten Unterkunft, die der Reisestopp besonders gebeutelt hat. Laut Besitzerin Apolonia Bonet sind noch ein Pärchen und zwei Familien angekündigt. Sonst bleibt alles leer: der Pool, die Liegen, die Parkplätze vorm Haus.
Die Party ist vorbei
Natürlich gilt es, Abstriche in Kauf zu nehmen. Kaum die Hälfte der Hotels ist buchbar, da geschlossen. Einzelne Bauwerke haben zu, manche Läden und Restaurants haben die Schotten dicht gemacht.
Wer sich der Urlauberspezies der Ballermänner zurechnet, wird ernüchtert sein. Die Party fällt in dieser Saison aus. Die alkoholisierten Horden, die Gassenhauer wie «Scheiß drauf, Malle ist nur einmal im Jahr» grölen - sie sind nicht da.
Corona hat aus Malle wieder Mallorca gemacht. Das zu erleben, könnte eine einzigartige Chance sein, die vielleicht nie mehr wiederkommt.
Ankunft in Palma
Wer hätte gedacht, dass es sich einmal sehr exklusiv anfühlen wird, in einem Ferienflieger nach Mallorca zu fliegen? Ich eher nicht. Nun sitze ich im Flugzeug, und die Belüftung ist so eingestellt, dass ich glaube, Desinfektionsmittel zu inhalieren. Der Geruch durchdringt die Gesichtsmaske, die sein muss in diesen Zeiten.
Aber da ist auch Vorfreude. Wird es sich anfühlen, wie nach Hause zu kommen? Oder hat eine Entfremdung stattgefunden?
Nach der Landung in Palma stehen erst einmal praktische Aufgaben an. Die spanischen Behörden geben ein Einreiseformular aus. Doppelseitig, 42 Punkte. Doch den Zöllnern reichen lückenhafte Angaben. Wichtiger ist, ohne Auffälligkeiten die zwei Schleusen mit Wärmebildkameras zur Fiebermessung zu passieren. Dann trete ich hinaus in die Sonne.
Der Fahrer des Shuttlebusses, der mich zum Autoverleiher bringt, sitzt hinter einer Plexiglasscheibe. Der mallorquinischen Freundlichkeit tut das keinen Abbruch.
Die Altstadt ist leer
Mich trennen 0,6 Grad Celsius vom Zutritt in eine der schönsten Glaubensburgen Spaniens: die Kathedrale von Palma. Kartenkontrolleur Toni misst meine Körpertemperatur: 36,6 Grad. Glück gehabt. Wären es etwas mehr gewesen, hätte ich draußen bleiben müssen.
Drinnen sind kaum Besucher unterwegs - so wie in der gesamten Altstadt. Ich fühle mich wie ein Pionier und kann fantastische Fotos ohne Menschenmassen schießen.
Was mich erfreut, betrübt María Payeras. In der Nähe der Kathedrale wartet sie in ihrem Shop mit Naturprodukten für Kinder vergeblich auf Kundschaft. Dass die Kreuzfahrt-Touristen ausbleiben, schmerzt sie besonders. Wann immer sie an Land gingen, klingelte die Kasse.
Stadtführer Miguel Ángel Beltrán kann der Leere auch als Privatperson nichts abgewinnen. Der 43-Jährige sehnt sich nach «Ambiente, Lärm und vollen Restaurantterrassen», wie er sagt. Er kennt Kneipen, die durch die Krise bereits Geschichte sind. Zuletzt war er auf dem eigentlich riesigen Inselmarkt, jeden Mittwoch in Sineu, und fand es dort «supertraurig» mit den wenigen Ständen. Kann nur besser werden.
Skurril in Palma wirken nun Anti-Tourismus-Parolen als Graffiti und auf Plakaten. Die Geister, die man rief – nun sind sie da. Aus der neuen Realität haben sich auch die Taschendiebe davongestohlen.
Weitgehend einsame Strände und Buchten
Gespenstische Szenarien hatte ich mir ausgemalt. Zugangskontrollen, Patrouillen von Strandsheriffs, vielleicht sogar Polizeidrohnen. Alles Hirngespinste, wie der persönliche Test zeigt.
Die Sorge vor dem Virus ist der eigentlich Regulator, der Zustrom an Touristen ist dadurch auch ohne strenge Kontrollen abgeebbt. Das führt zu einem erfreulichen Erlebnis: An den Stränden und Buchten Mallorcas geht das Herz auf wie immer - aber der Verkehrsinfarkt bleibt aus. Kein Anfahrtstress mehr, kein nerviger Kampf um den Parkraum, kein Sardinendosen-Gfühl beim Ausbreiten des Handtuchs. Es ist noch viel frei: Das neue Sommerurlaubsgefühl auf Mallorca.