Tourismus neu bewertet: Branchenexperten fordern Abkehr von reinen Wachstumszahlen 

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Die klassischen Kennzahlen zur Messung des touristischen Erfolgs, wie Ankünfte und Übernachtungen, reichen nicht mehr aus, um die Entwicklung einer Destination ganzheitlich zu beurteilen. Zu diesem Schluss kamen Fachleute aus Tourismus und Wissenschaft beim dritten Jahresdialog des Bayerischen Zentrums für Tourismus (BZT) in Kempten.

Diskussion um neue Erfolgsindikatoren

Unter dem Titel „Tourismus neu bewertet – Erfolgskennzahlen jenseits der amtlichen Tourismusstatistik“ diskutierten am 29. Oktober 2025 Experten auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene neue Wege zur Messung einer nachhaltigen, maßvollen und qualitätsorientierten Tourismusentwicklung. Im Fokus stand die Frage, wie touristische Erfolgsindikatoren im Spannungsfeld zwischen Wachstum, Tourismusakzeptanz und Gästezufriedenheit neu definiert werden müssen.

Wirtschaftskraft versus Belastung

Prof. Dr. Alfred Bauer, der Leiter des BZT, eröffnete den Jahresdialog mit einem Rückblick auf die Rekordzahlen des bayerischen Tourismus im Jahr 2024. Er betonte die positiven Effekte auf die regionale Wirtschaftskraft, die Beschäftigung und die Lebensqualität. Gleichzeitig verwies er auf kritische Aspekte wie Wohnraummangel und Verkehrsbelastung, die das Bild des Tourismus in der Öffentlichkeit negativ beeinflussen können. Vor diesem Hintergrund unterstrich Bauer den Bedarf an neuen Kennzahlen-Sets, die sowohl die positive (wirtschaftliche) Bedeutung als auch die Belastungen durch den Tourismus abbilden.

Erfolgsverständnis jenseits des Wachstums

Prof. Dr. Marius Mayer von der Fakultät für Tourismus der Hochschule München verdeutlichte in seinem Vortrag: „die amtliche Statistik nicht den Tourismus als ganzheitlich gesellschaftliches Phänomen abbildet“. Forschende plädierten daher für ein breiteres Verständnis von Erfolg – jenseits des Wachstumsparadigmas. Dieses solle ökologische, soziale und qualitative Aspekte wie Lebensqualität, Tourismusakzeptanz und CO2-Emissionen berücksichtigen. Projekte wie das LIFT-Förderprojekt „Nachhaltigkeit im Tourismus messen, kommunizieren und wertschätzen“ sollen Abhilfe schaffen und neue, möglichst einheitliche Indikatorenstandards für den Deutschlandtourismus setzen.

Internationale und lokale Praxisbeispiele

Dr. Petra Unterweger vom Bundesministerium für Wirtschaft, Energie und Tourismus in Österreich präsentierte das österreichische RESY-Dashboard, ein regionales Informations- und Monitoringsystem. Es umfasst 30 Indikatoren aus fünf Themenfeldern (von Demografie bis Energie und Umwelt). Die Daten stammen aus amtlichen oder vergleichbar soliden Quellen und werden unentgeltlich bereitgestellt. Dr. Unterweger bekräftigte: „Ziel des RESY-Dashboards ist es, eine transparente und einheitliche Informationsgrundlage zu schaffen, mithilfe derer Regionen ihre eigene Entwicklung evidenzbasiert beobachten, steuern und vergleichen können. Entwicklungsfortschritte können also verständlicher kommuniziert werden – erstmals mit einer gemeinsamen Sprache zwischen den Akteuren.“

Auch auf lokaler Ebene werden neue Ansätze entwickelt. Ralf Zednik, Leitung Marktforschung bei München Tourismus, stellte das neue Kennzahlensystem der Stadt München vor. Die Destinations-KPIs (Key Performance Indicators) orientieren sich an der Tourismusstrategie und berücksichtigen die Nachfrageentwicklung, die Perspektive der Bevölkerung und des Gastes. Eine wesentliche Herausforderung benannte Zednik in der Finanzierung: „Nicht alle KPIs werden jährlich erhoben – beispielsweise die Wertschöpfung oder Tourismus- und Veranstaltungsakzeptanz –, um eine ausgewogene und vernünftige Finanzierung sicherzustellen.“

Ressourcen, Datenkompetenz und Herausforderungen

Die anschließende Diskussion beleuchtete die Herausforderungen bei der Entwicklung und Etablierung dieser datenbasierten Ansätze. Fabian Wolf, Senior Referent Marktforschung der Deutschen Zentrale für Tourismus DZT, hob die Notwendigkeit einer breiten Evidenzbasis mit schnellen Trendbildern und kurzfristigen Erhebungen hervor, da sich die Customer Journey von Reisenden und die Nachfrage dynamisch verändern. DZT setzt daher auf Dashboard-Lösungen mit Echtzeitdaten.

Wolfgang Wagner, Prokurist & Bereichsleiter Strategische Entwicklung beim BayTM, beleuchtete das Problem der Datengewinnung und -aufbereitung im KI-Zeitalter. Er merkte an: „Die KI bietet vermeintlich einfache Lösungen für die Datenaufbereitung und -analyse. Jedoch entsprechen diese häufig nicht unseren methodischen Ansprüchen. Hierfür muss das Bewusstsein und die Fähigkeit zur Dateninterpretation bei den Tourismusverantwortlichen gestärkt werden.“ Zudem berichtete er über den Aufbau eines bayerischen Tourismusmonitors, der künftig touristische Daten aus amtlichen Statistiken bündeln soll.

Die Referierenden waren sich einig, dass die wesentlichen Herausforderungen in der Datenverfügbarkeit sowie den personellen und finanziellen Ressourcen liegen. Die Förderung der individuellen Datenkompetenz und die Anwendung standardisierter Erhebungsmethoden wurden als Schlüsselfaktoren identifiziert. Ein Unterschied zwischen Österreich und Bayern zeigte sich bei der Datenvergleichbarkeit: Während das RESY-Dashboard Daten auf Gemeindeebene bereitstellt, wird dies auf bayerischer Seite künftig nur auf Ebene der Landkreise beziehungsweise für kreisfreie Städte möglich sein.

Die Tagung schloss mit der Überlegung: „Kann ein neues, umfangreiches Kennzahlen-Set das bisher vorherrschende Erfolgsprinzip von ‚Höher, schneller, weiter‘ im Tourismus tatsächlich verändern und werden die Medien auch mit einer fundierten Berichterstattung zu den detaillierten Analyseergebnissen folgen?“


 

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