470.000 Betriebe melden Kurzarbeit an

| Zahlen & Fakten Zahlen & Fakten

Die Corona-Krise schlägt mit Gewalt auf dem deutschen Arbeitsmarkt ein: Die Zahl der Anzeigen für Kurzarbeit ist auf ein nie da gewesenen Niveau empor geschnellt. Trotzdem geht die Bundesagentur für Arbeit von einem Zuwachs von bis zu 200.000 Arbeitslosen im April aus. In den nur etwas mehr als zwei Wochen seit Beginn des wirtschaftlichen Stillstandes hätten 470.000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet, teilten Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur, Detlef Scheele, am Dienstag in Berlin mit.

Dahinter versteckt sich ein Vielfaches an Menschen, die in Kurzarbeit gehen werden, eine genaue Schätzung sei derzeit nicht möglich. Als sicher aber gilt: Der bisherige Höchstwert von 1,44 Millionen Kurzarbeitern von Mai 2009 in der internationalen Finanzkrise wird deutlich übertroffen werden. Zum Vergleich: In einem normalen Monat des Jahres 2019 gingen in Nürnberg etwa 1.300 Anzeigen ein, im Februar 2020 unter konjunkturell etwas ungünstigeren Umständen waren es 1.900.

Scheele und Heil machten deutlich, dass die Kurzarbeit als Mittel zur Rettung von Arbeitsplätzen in jedem Fall finanziert werde - koste es was es wolle. Es handele sich um einen Rechtsanspruch. Die Bundesagentur verfüge über eine Rücklage von immensen 26 Milliarden Euro. Selbst falls diese aufgebraucht würde, müsste für etwaige Mehrkosten der Bundeshaushalt herhalten. «Das Geld ist kein limitierender Faktor um den Rechtsanspruch auf Kurzarbeit zu finanzieren», sagte Scheele. Heil betonte, es gebe derzeit auch keine Anlass, über mögliche Beitragserhöhungen zu spekulieren.

Arbeitslosigkeit steigt sehr stark in Gastronomie und Tourismus

Vor allem in der Tourismusbranche und in der Gastronomie, wo sich die Kleinunternehmer derzeit mit innovativen Geschäftsmodellen über Wasser zu halten versuchen, wird Kurzarbeit wohl nicht reichen. «Wir gehen zur Zeit davon aus, dass die Arbeitslosigkeit im April um 150.000 bis 200.000 Menschen gestiegen ist», sagte Scheele mit Blick auf den Stichtag am 12. April für die nächste Arbeitsmarktstatistik. Noch nie seit 1991 hatte es von März auf April überhaupt einen Anstieg gegeben, saisonal bedingt fällt die Arbeitslosigkeit in dieser Zeit normalerweise.

«Die Arbeitslosigkeit - das sagen uns alle Agenturen - steigt, und sie steigt sehr stark im Bereich der Gastronomie und des Tourismus», sagte Scheele. In diesen Branchen sei die Eigenkapitaldecke oft nicht groß genug, um Mitarbeiter lange zu halten. «Das sind im Moment unsere Hauptsorgenkinder.»

Die von der Corona-Krise ausgelöste Problematik trifft auf einen Arbeitsmarkt, der sich ohnehin nicht mehr so rosig präsentiert wie noch vor einigen Monaten. In der Märzstatistik, in der die Krise noch keinen Widerhall findet, ist die Zahl der Arbeitslosen zwar saisonal bedingt im Vergleich zum Februar um 60.000 gesunken, im Vergleich zum März des Vorjahres aber um 34.000 gestiegen. Das Angebot an offenen Stellen ging schon im März um mehr als 100.000 zurück.

"Realistische Zuversicht"

Heil betonte, dass trotz vieler Sorgen Anlass zu «realistischer Zuversicht» bestehe. Deutschland habe «einen der stärksten Sozialstaaten der Welt». Und das Ziel der Politik laute, auch mit eilig beschlossenen Schutzschirmen: «Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz, der in dieser Situation gefährdet ist.» Allerdings sei realistischerweise nicht jeder einzelne Arbeitsplatz zu beschützen.

Konkret will der Staat Arbeitnehmern und Selbstständigen nun mit mehreren Krisenmaßnahmen unter die Arme greifen: Wenn Unternehmen Personal in Kurzarbeit schicken, übernimmt die Arbeitsagentur 60 Prozent des Lohns, bei Menschen mit Kindern 67 Prozent. Die Unternehmen bekommen die Sozialbeiträge erstattet. Heil appellierte an die Wirtschaft, Kurzarbeitergeld wo immer möglich aufzustocken. Dies sei auch eine «Nagelprobe auf unsere Sozialpartnerschaft».

Daneben werden Hinzuverdienstmöglichkeiten erleichtert - zum Beispiel, wenn Beschäftigte einer Wäscherei, die sonst für jetzt geschlossene Hotels arbeitet, nun in der Wäscherei einer Klinik mithelfen. Zudem ist der Zugang zur Grundsicherung vorerst leichter möglich - Jobcenter verzichten bei einem Hartz-IV-Antrag ein halbes Jahr auf Prüfungen von Vermögen und Wohnungsmiete. So müsse ein Schausteller nicht um sein Karussell fürchten, erläuterte Heil.

Wenn nun auch Menschen Grundsicherung in Anspruch nehmen, die dies nie gedacht hätten, sei klar: Dies dürfe «kein Stigma» haben, sagte Heil - dies sei «ein soziales Bürgerrecht». Der Minister appellierte an Unternehmen, nicht zuerst Azubis zu kündigen, die nach der Krise gebraucht würden. Auch Nachjustierungen bei Instrumenten schloss er nicht aus. Dies hänge davon ab, wie lange die Krise anhalten werde.

(dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im März im Vergleich zum Vormonat zurückgegangen - und zwar um 45.000 auf 2,769 Millionen. Im Vergleich zum März des Vorjahres gab es allerdings 176.000 mehr Arbeitslose.

Der Wechselwille auf dem Arbeitsmarkt ist Umfragen zufolge groß. Die Kündigung tatsächlich beim Arbeitgeber einzureichen, kostet viele dennoch Überwindung. So gehen Sie rechtssicher vor.

Auf Tiktok trenden seit geraumer Zeit Videos, in denen die Generation Z Aufzeichnungen ihrer Kündigungsgespräche teilt. Auch wenn die Absicht dahinter wertvoll sein mag, ist das eine schlechte Idee.

Versendet ein Arbeitgeber persönliche Daten unverschlüsselt per Mail, verstößt er gegen Datenschutzrecht. Betroffene Arbeitnehmer haben aber nicht automatisch Anspruch auf Schadenersatz. Warum?

Weniger als die Hälfte der Deutschen ist noch kirchlich gebunden. Dennoch gelten an Karfreitag einige christlich geprägte Verbote - je nach Bundesland unterschiedlich streng. Wie sehen die Regeln aus?

Wie lebte das Tier, bevor es auf den Teller kam? Viehhaltung sollte nach Ansicht von Verbraucher- und Tierschützern transparenter werden. Wie das aussehen und welche Rolle Technik dabei spielen könnte.

Viele Verbraucher in Deutschland sind bereit, für Fleisch aus besserer Tierhaltung höhere Preise zu bezahlen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. 58 Prozent der Befragten würden mehr Geld ausgeben, wenn höhere Standards gegeben sind.

Ab dem 1. April 2024 startet der neue Mobilitätszuschuss für Auszubildende. Die Bundesagentur für Arbeit fördert damit junge Menschen, die ihr bisheriges Wohnumfeld zugunsten einer Ausbildung in einer anderen Region verlassen.

Streik auf Streik und Reiseunsicherheit – so hat das Jahr 2024 für die Tourismuswirtschaft begonnen. Der wirtschaftliche Schaden genauso wie der Imageschaden seien immens, wie nun der BTW mitteilte.

Trend-Lebensmittel Hühnerei: Der Pro-Kopf-Verbrauch von Eiern ist in Deutschland wieder gestiegen. Bei 236 Eiern lag er im vergangenen Jahr, wie die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in Bonn mitteilt.