Eine Frage des Respekts

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Lebt in guten Manieren vielleicht der demokratische Gedanke, dass wir mit Höflichkeit, Respekt, Rücksicht und Toleranz leichter durchs Leben kommen? Oder sind sie zum Staubfänger vergangener Zeiten verkommen? 

Ein Gastbeitrag von Albrecht von Bonin

Es erstaunt wenig, dass seit der Pandemie die Diskussion über Benimmregeln, Wertschätzung, Respekt und Du-Kultur wieder häufiger diskutiert werden. Erinnern wir uns an die zaghaften Versuche, durch Beifallklatschen den unermüdlichen Einsatz von Pflegekräften, Feuerwehren, Polizei, Postboten etc. zu würdigen. Oder auf der anderen Seite an lautstarke Pöbelei, körperliche Attacken gegen Ortnungskräfte, medizinische Hilfsdienste oder ungenierte Morddrohungen gegen Regierende.

Aber auch im geschäftlichen Umgang spüren wir eine Veränderung. Der Ton wird rauer. Versprechen, verbindliche Zusagen und Verträge verlieren zunehmend ihre Halbwertzeit. Aus dem Nähkästchen des Headhunters geplaudert sind Vertragsunterschriften eher zu Absichtserklärungen verkommen, statt als bindend angesehen zu werden, geschweige denn, dass Kandidaten zugesagte Termine und Vereinbarungen ignorieren oder nach dem vierten Gespräch mit dem Auftraggeber doch noch absagen („weil die Familie nicht umziehen will“).


Über den Autor Albrecht von Bonin

Albrecht von Bonin ist einer der profiliertesten Personalberater in der Hospitality Industry. Die Suche und Auswahl von Spitzenkräften, der Einsatz von Interim Managern sowie Management Coaching für Führungskräfte und Unternehmer – das sind die Kernkompetenzen, mit denen VON BONIN und die avb Management Consulting echte Mehrwerte bietet.

Mit seinem Fachbeiträgen bei Linkedin, die auf der Erfahrung von 40 Jahren Beratungspraxis fußen, erreicht von Bonin seit Jahren viele tausend Leser. Jetzt gibt es seine Beiträge auch bei Tageskarte.


Wer auf die Einhaltung von Umgangsformen pocht, Verbindlichkeit als Zeichen des Respekts versteht, läuft dabei leicht Gefahr, zum verklemmten Oberspießer oder Dino mit Authoritätswahn und Untertanenmentalität abgestempelt zu werden. Pseudo-Fortschrittliche behaupten sogar, dass Manieren und Benehmen nur beschönigende Übersetzungen für Tugenden seien, die unser Land vor etlichen Jahrzehnten schon einmal in den Abgrund gestürzt hätten. Und dass sie ihre Freiheitsliebe doch lieber dadurch ausleben, dass sie einfach das tun, worauf sie Lust haben. Im Business wie im Privaten.

Vorsicht Pippi-Kult

Ich fühle mich an Pippi Langstrumpf erinnert, die sich mit ihrem berühmten Wahlspruch „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“ wenig schert um Rücksicht, Konventionen und gesellschaftliche Spielregeln. Sie dreht sich nur um sich selbst, um ihre eigenen kindlichen Interessen und Fantasien. Doch was bedeutet es, wenn man diese Art von ichbezogener Selbstverwirklichung zum Ideal verklärt und die Welt als persönliche Villa Kunterbunt, als Spielplatz des eigenen Egos, wahrnimmt?

Erinnern wir uns: Vor gar nicht so langer Zeit hat einer den Pippi-Kult durchgezogen, mit großem Erfolg – leider! Einer, von dessen Lippen das „Wi di wi di wid und drei macht neune, ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“ allerdings weit weniger charmant klang: Donald Trump, der Mann, der angetreten war, um sich die Welt nach seinem Bilde zu erschaffen und ihr, ohne Wenn und Aber, seine Regeln aufzuzwingen. Der Mann, der willens und auch in der Lage war, erst die USA und dann die Welt zu seiner Villa – na ja vielleicht nicht gerade kunterbunt, eher zum Weißen Haus – zu machen; der Mann, der so tat, als könne er Pferde in die Luft stemmen und dessen Intellekt durchaus präpubertäre Züge trägt. Ausgerechnet an ihm wurde erkennbar, wie falsch das Spiel des Pippi-Kultes ist. Und wie gefährlich. Astrid Lindgren würde sich über diese kritischen Gedanken vermutlich im Grabe herumdrehen, dennoch finde ich es befremdlich, wenn ich bei der Diskussion über gute Manieren und Verbindlichkeit aufgefordert werde: „Mensch, mach Dich mal locker“. Meine Gegenfrage: „So locker, wie mein Gegenüber die Grenzen anderer nimmt, gar ignoriert?“

Was bedeutet gutes Benehmen für die sogenannte „Neue Führung“? Immer mehr Unternehmen besinnen sich auf die Erkenntnis, dass respektvolles Benehmen durchaus befreiend sein. Es sorgt dafür, dass wir - ich Ihre und Sie meine - Grenzen respektieren. Dass wir andere ebenso behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen. Es gibt einem ein Instrumentarium an die Hand, mit dem sich praktisch jede Lebenssituation souverän meistern lässt. Am Kunden, am Gast, beim Mitarbeiter und zuhause in der Familie.

Gute Manieren liefern gewissermaßen die Sicherheit, dass man beim Arbeiten, Essen, Lieben, Sporteln, Spielen oder in der Politik über Wichtigeres nachdenken kann, als darüber, wie man sich am besten verhalten sollte. Sie schaffen Beziehungen und sind gleichzeitig das beste Schmieröl im menschlichen Miteinander. Sie sind keine Zwangsjacke und auf keinen Fall Terrorinstrument. Weil andere zu unterdrücken oder zu gängeln – „ab heute sagen wir alle DU zueinander und verzichten auf Anzüge und Krawatten“ – im Kosmos von Respekt, Rücksicht und gutem Benehmen überhaupt nicht vorkommen.

Sie sind vielmehr die Basis für gute Führungskultur, in der, wer schreit, Unrecht hat und - in der sich niemand größer macht, wenn er andere klein macht. Stattdessen begegnet man sich mit Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Verantwortung - auch für die Menschen, die man nicht kennt. Eigenschaften, für die übrigens Angela Merkel (man mag von ihrem Regierungsstil halten, was man will) selbst in härtesten politischen Verhandlungen stets von ihren Gegenspielern hochgeschätzt wurde.

Fehlender Respekt verursacht dramatische Schäden an unserer Gesellschaft

Finden Sie nicht auch, dass der Alltag mit den kleinen Worten „Bitte“ und „Danke“ erheblich runder läuft? Oder wenn wir unsere Mitmenschen mit ihrem Namen ansprechen? Oder, statt leerem Dampfgeplauder und wortreichen Versprechungen auch Taten folgen lassen? Für das Miteinander im Business-Leben ebenso wie im Privaten sind Respekt und Höflichkeit das wahre Schmieröl im Getriebe. Schließlich drücken wir damit aus, dass wir eine Leistung, ein Entgegenkommen, einen Auftrag, eine Hilfe oder auch nur einen Gruß würdigen. Ganz zu schweigen von dem, was derlei Respekt, Anerkennung und Wertschätzung für ein Betriebsklima leisten können. Kommt dazu noch die Würdigung von Einsatz und Engagement durch eine faire Entlohnung, erfüllen wir das, was Mitarbeiter sonst so schmerzlich vermissen.

Ganz nebenbei: Die Initiative „Gesundheit und Arbeit“ (IGA) ermittelte kürzlich in einer repräsentativen Studie, dass mindestens 20 bis 30 % der Produktivität von Beschäftigten durch fehlendes gutes Benehmen, Mistkerle auf der Chefetage oder im Kollegenkreis verloren gehen. Aber auch anderweitig schlägt es in unserer Gesellschaft zu Buche, keine Manieren zu haben. Etwa bei den Millionenbeträgen, die wir alle mit unseren Steuern für teure Einsätze von Sicherheitskräften, die Beseitigung von Vandalismus oder achtlos entsorgtem Müll aufbringen müssen. Ja, es kostet sogar Leben. Schließlich sind doch Drängeln auf der Autobahn oder Sätze wie „Sollen sich doch die anderen impfen lassen – ich nicht!“ ein Zeichen von Respektlosigkeit, Egoismus und schlechten Umgangsformen.

Sag gerne SIE zu mir

Die Pandemie war und ist ein Innovationstreiber, um Arbeitswelten neu zu definieren. Der Ruf nach „New Work“ und „Neuer FÜHRUNG“ wird lauter. Alle preschen voran, stellen Forderungen, rücken näher zusammen und werfen den Turbo fürs Duzen an. Doch das wird schnell distanzlos und öffnet der Respektlosigkeit Tür und Tor. Ich frage mich: Was hindert in einer offenen Gesellschaft daran, im Zweifel das Gegenüber höflich zu fragen, wie er oder sie angeredet werden möchte? Sind Sie z.B. von den gängigen Social Media Plattformen wie Facebook & Co. je gefragt worden? Nein, Sie werden einfach geduzt – ob Ihnen das gefällt oder nicht.

Die vielzitierte Wahrheit bleibt: „Du Depp!“ kommt den meisten schneller über die Lippen als ein „Sie Depp!“ Das Du unter Kollegen (z.B. bei einer Beförderung zum Chef des Teams) zurückzunehmen, dem anderen wieder zu entziehen, ist so lächerlich, wie es klingt und bringt manchen Führungsnachwuchs in die Bredouille. Die falschverstandene Adaption des „You“ aus dem angelsächsischen Sprachraum kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass rund ein Drittel aller Weltsprachen die Unterscheidung zwischen „Du“ und „Sie“ sehr wohl kennt und nutzt. Die anderen bauen sich elegante Umwege, um respektvolle Distanz und Höflichkeit auszudrücken.

Mit gutem Grund wird Respekt als das „symbolische Kapital“ einer Gesellschaft bezeichnet. „Das sollte man nicht mit einem allzu flotten DU verspielen“, sagte mit neulich ein bekannter CEO. „Und schon gar nicht mit Pöbelei und Mangel an Rücksicht und Wertschätzung“.

Dem stimme ich zu. Bin ich deshalb ein Dino?

Autor

Albrecht von Bonin

avb Management Consulting

www.avb-consulting.de

VON BONIN + PARTNER Personalberatung

www.von-bonin.de


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