Extra-Geld vom Chef als Inflationsausgleich

| Zahlen & Fakten Zahlen & Fakten

Millionen Arbeitnehmer in Deutschland haben bereits eine steuer- und abgabenfreie «Inflationsausgleichsprämie» erhalten oder zugesagt bekommen. Alle anderen können weiter hoffen: Noch zwei Jahre lang haben Unternehmen die Chance, ihren Beschäftigten bis zu 3000 Euro netto auszuzahlen. Bei den ab Januar beginnenden Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst, die Post, die Lebensmittelindustrie und das Gastgewerbe gehört die Prämie zur Verhandlungsmasse.

«Wir gehen davon aus, dass die Inflationsausgleichsprämie auch Bestandteil weiterer Tarifabschlüsse sein und somit noch vielen Beschäftigten zugutekommen wird», sagt Michael Schrodi, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Die Einmalzahlungen sollen den Beschäftigten in Zeiten explodierender Preise helfen - ohne die Betriebe mit dauerhaft höheren Personalkosten zu belasten und eine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen, die die Inflation weiter anheizt.

Die 4,5 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie und der Chemie- und Pharmaindustrie erhalten 3000 Euro netto in zwei Tranchen 2023 und 2024 ausbezahlt - zusätzlich zu Lohnerhöhungen. So haben es Gewerkschaften und Arbeitgeber in den neuen Tarifverträgen der Branchen vereinbart. Von der Prämie profitieren damit nicht nur die Mitarbeiter von Dax-Konzernen wie BASF, Bayer, BMW, Fresenius, Henkel, Mercedes und Siemens, sondern auch die Beschäftigten unzähliger kleiner Betriebe.

Vor zwei Wochen beschloss auch der katholische Wohlfahrtsverband Caritas, seinen 650 000 Mitarbeitern 3000 Euro netto zu zahlen. Das sei ein erster Teilabschluss der anstehenden Tarifrunde 2023, «wir haben das bei den Verhandlungen auf jeden Fall im Blick», sagte Caritas-Manager Norbert Altmann.

Die Gewerkschaft Verdi begrüßt Einmalzahlungen, wie sie zum Beispiel die Deutsche Bank, die Commerzbank und die ING-Diba außerhalb der Tarifrunde leisten. «Allerdings sehen wir diese Zahlungen nicht als Alternative oder gar Ersatz zu tabellenwirksamen Entgelterhöhungen, da sie schnell «verpuffen» und auf Dauer nichts bleibt», sagt Norbert Reuter, Leiter der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei Verdi. Bei den im Januar beginnenden Tarifverhandlungen für die 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen fordert Verdi 10,5 Prozent mehr Lohn. «Unser Ziel ist es, Einmalzahlung «on top» zu verhandeln.»

Ifo-Präsident Clemens Fuest dagegen sagt: «Tarifpolitisch ist es sinnvoll, angesichts der hohen wirtschaftlichen Unsicherheit Einmalzahlungen statt permanenter Lohnerhöhungen vorzusehen.» Er kritisiert aber, dass der Staat dies subventioniert: «Die Steuer- und Abgabenfreiheit der 3000 Euro Einmalzahlung ist finanzpolitisch nicht sinnvoll. Derartige Boni erhalten vor allem Beschäftigte mit mittleren und hohen Einkommen, staatliche Hilfen sollten sich in der aktuellen Lage aber auf den Bereich niedriger Einkommen beschränken», sagt der Wirtschaftsforscher.

Dass dem Staat und den Sozialversicherungen Beiträge entgehen, stört auch Gewerkschafter Reuter. Wie die Beschäftigten sparten auch die Unternehmen, sie seien «aber nicht von daraus resultierenden Leistungseinschränkungen bei sozialen Ausgaben und Sozialversicherungsleistungen betroffen».

Gastgewerbe, Handwerk und Gesundheitsdienste suchen händeringend Fachkräfte, im Gütertransport fehlen laut Branchenverband BGL annähernd 90 000 Fahrer. Vereinzelt zumindest nutzen Unternehmen die Möglichkeit, mit der Prämie für sich zu werben. Der Logistikkonzern Kühne + Nagel zum Beispiel zahlt zweimal 500 Euro netto. BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhard sagt aber, das könne kein Maßstab sein für den kleinen Durchschnittsbetrieb. Und dass «auch ein solcher «Gigant» bei Weitem nicht die volle Höhe des gesetzlich Möglichen ausschöpft, kann zweifelsohne als Fingerzeig im Hinblick auf die für 2023 drohende Rezession gedeutet werden».

«Ein Bäcker, der statt 1500 plötzlich 15 000 Euro pro Monat für Strom und Gas bezahlen muss, braucht über Lohnerhöhungen oder Einmalzahlungen nicht mehr nachzudenken», hatte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gesagt. Auf der anderen Seite haben laut Ifo-Institut viele Unternehmen die gestiegenen Energiekosten als Vorwand genutzt, um Preise zu erhöhen und ihre Gewinne auszuweiten - etwa im Baugewerbe, im Handel, in der Verkehrsbranche und im Gastgewerbe.

Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Freddy Adjan, zählt auch Nestlé, Unilever und Coca-Cola dazu: «Das sind Krisengewinnler.» In den 2023 anstehenden Tarifrunden in der Lebensmittelindustrie und im Gastgewerbe mit insgesamt über zwei Millionen Beschäftigten fordert die NGG mindestens 10 Prozent mehr Lohn. «Wenn das in den Tarifverhandlungen passt, kann oben drauf noch eine Inflationsprämie kommen. Aber nicht umgekehrt», sagt Adjan. «Und überall dort, wo wir gerade nicht in Tarifverhandlungen sind, erwarten wir, dass die Konzerne jetzt schnell eine Inflationsausgleichsprämie auszahlen.»

Der Kaffeeröster Jacobs, die Schokoladenhersteller Ferrero, Lindt und Storck, die Molkerei Meggle und die Hotelkette Steigenberger zum Beispiel zahlen laut NGG zwischen 300 und 1000 Euro. Auch die Beschäftigten bei Lidl und Rewe, den Sana-Kliniken, RWE und der Deutschen Bahn bekommen Prämien. Für eine Zwischenbilanz sei es aber noch zu früh - da sind sich Adjan und Schrodi einig. (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Neue Studienergebnisse zeigen einen deutlichen Wandel im Trinkgeldverhalten der Deutschen. Während es im Restaurant stabil bleibt, sinkt die Bereitschaft in anderen Dienstleistungsbereichen massiv.

Deutschland zählt so viele Firmenpleiten wie seit 2014 nicht - und trotz Konjunkturhoffnungen gibt es keine Entwarnung für das kommende Jahr. Die zahlenmäßig meisten Insolvenzen entfielen auf das Dienstleistungsgewerbe.

Die Zuversicht der Verbraucher in Deutschland bezüglich ihrer eigenen finanziellen Lage stagniert. Das aktuelle Postbank Stimmungsbarometer beleuchtet die Hauptsorgen der Bevölkerung und zeigt auf, wie die gestiegenen Kosten die Spar- und Konsumpläne beeinflussen.

Aktuelle Daten des Statistischen Bundesamts zeigen, dass die Niedriglohnquote in Deutschland konstant bei 16 Prozent liegt. Besonders betroffen ist das Gastgewerbe, wo über die Hälfte der Jobs dem Niedriglohnsektor zuzuordnen sind.

Im Büro, auf der Bühne oder an der Maschine: Macht das einen Unterschied, wenn Medikamente die Leistungsfähigkeit einschränken? Und was passiert, wenn ein Fehler passiert? Fragen und Antworten.

Die anstehende Erhöhung des Mindestlohns auf 13,90 Euro pro Stunde zum 1. Januar 2026 hat für das Gastgewerbe die größten Auswirkungen. Das geht aus einer neuen Studie des ifo Instituts hervor. Die Branche weist die höchste Betroffenheit auf und plant entsprechende Reaktionen auf den signifikanten Lohnkostenanstieg.

Kinder weltweit essen immer mehr hochverarbeitete Lebensmittel – mit gefährlichen Folgen für Gesundheit, Wachstum und Psyche. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Unicef-Analyse, die zusammenfasst, wie sehr sogenannte ultra-verarbeitete Produkte (UPFs) den Alltag von Kindern und Jugendlichen bestimmen.

Fit Reisen das Suchverhalten in den 200 größten deutschen Städten untersucht, um die tatsächliche Nachfrage nach Wellnessangeboten zu analysieren. Die Auswertung zeigt, dass dabei die Nähe zu Angeboten, regionale Gegebenheiten und das Einkommen entscheidend sind.

Eigentlich gibt es Kinderkrankentage nur bis das Kind zwölf Jahre alt ist. Wann Eltern trotzdem bezahlt zu Hause bleiben dürfen – und warum der Arbeitsvertrag zum Stolperstein werden kann.

Zum 1. Januar steigt der Mindestlohn um 1,08 Euro - 22 Prozent der direkt betroffenen Unternehmen wollen daher Jobs streichen. Eine Umfrage des Ifo zeigt, wo besonders oft Mindestlohn gezahlt wird.